Auf Wiederhören. Der Jazz-Pianist Stefan Schöler

KLEVE. Das ist doch mal ein Anfang: „Ich erinnere mich an eine Unterhaltung mit Stefan. Er studierte damals Klavier an der ArtEZ University of the Arts, wo ich seit dem 17. Jahrhundert Leiter Abteilung Jazz & Pop bin.“ So beginnt der Klappentext von „Wiedersehen“, der neuen CD des Stefan Schöler Trios (Stefan Schöler, Klavier; Finn Wiest, Schlagzeug; Lukas Keller, Bass). Das mit dem 17. Jahrhundert sei kein Druckfehler – es sei natürlich ironisch gemeint und stehe für eine unfassbar lange Zeit. Seit der Steinzeit also, denke ich.

Piano zum Frühstück

Ich treffe Schöler im Café Samocca in Kleve. Dort habe ich ihn – ein paar Jahre ist das her – an einem Samstag Klavier spielen hören: Piano zum Frühstück. Wenn einer wie Schöler spielt, fällt das auf: er öffnet Pforten zu anderen Tönen. Da saß einer – versunken in sich und die Musik. Da versteht es einer, das Klavier zu unterhalten – mit Jazz. Vielleicht nichts für den Durchschnittsgeschmack (Durchschnitzgeschmack). Was Schöler am Klavier Ton werden lässt, ist kein Schnellimbiss der Töne.

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Freude und Sentiment

Jetzt also: „Wiedersehen“. Das klingt schon als Wort nach einer Mischung aus Freude und Sentiment. Gleich mal hineinhören in den Titeltrack: Wiedersehen. Müsste man einen Film drehen zu diesem Stück, es wäre nicht das rückhaltlose Freudenfest nach jahrelanger Funkstille. Schölers Musik kommt nachdenklich daher. Fast immer. Da gibt einer nicht den Kabinettstückchenpianist. Virtuosität ist bei einem wie Schöler nicht Selbstzweck – nicht Teil der Visitenkarte. Schölers Musik wird besser, je öfter man sich auf sie einlässt.
Nicht alles auf „Wiedersehen“ stammt aus Schölers Feder. Das erste Stück der CD – „So Tender“ – wurde von Keith Jarrett komponiert, „Bye Bye Blackbird“ von Ray Henderson und „Moon and Sand“ ist von Alec Wilder. Dass einer die Stücke von anderen spielt, ist immer auch Teil einer Respektsbekundung. Schölers Version von Jarretts Stück ist weit mehr als ein Cover – das Trio liefert eine kongeniale Umschreibung.

Walzer in Verkleidung

Schöler als Komponist ist nicht weniger interessant. Hört man das zweite Stück des Albums, „Kleiner Walzer“, wird klar, dass dieser Titel auch ein Stück Glatteiswanderung ist, denn wer nach Walzerplattiduden sucht, wird (natürlich) entzaubert. Das wäre zu einfach. Schölers Walzer ist eine Sinfonie für Drei. Man kriecht den Harmonien hinterher und den melodischen Verflechtungen, die da ausgebreitet werden: Wiedersehen.
Da trifft man einen nach Jahren der Abwesenheit und muss zweimal hinschauen. Da begegnet einem der Koch, den man optisch nur in Weiß und mit Kochmütze abgespeichert hatte, plötzlich in einem anderen Zusammenhang und das Gehirn muss ein bisschen arbeiten, bis es die Zuordnung hergestellt hat. Schölers „Kleiner Walzer“ ist der Koch, den man in der Spielbar trifft oder der Briefträger im Karate-Club. Eben das macht das Hören so spannend. An Schölers Musik ist nichts einfach vordergründig – nichts ist belanglos. Jeder Ton ist auf dem Weg zum nächsten. Nichts ist zu viel – nichts zu wenig. So wird alles zum Extrakt – alles ist dicht, aber niemals Dickicht, niemals undurchdringlich. Und ja: „Wiedersehen“ – das ist nicht die Musik, die man beim Joggen hören würde: man käme aus dem Tritt. Man müsste zu viel nachdenken.

Showdown

Und dann doch der Showdown: das Aufblitzen von Virtuosität: „Johannes“ – das ist die Begegnung mit dem Gedanken an das Virtuose. Schöler wäre nicht Schöler, wenn es das Virtuose unverpackt und frei Haus gäbe.
„Irene“, der letzte Track des Albums, spült ein letztes Mal Traurigkeit in die Töne, von denen jeder einzelne daherkommt, als wüsste er nicht, ob er der Letzte ist. Was Schöler und sein Trio da aufgenommen haben, ist das große Kino des Sentiments. Würde man das Stück verfilmen, man sähe jemanden, der sich im Nebel ein letztes Mal umdreht und zurückschaut auf das Gewesene.

Alles Gute

„Wiedersehen“ – so viel steht fest – ist ein Album, dem man alles Gute wünschen kann, weil es alle Gute enthält. „Wiedersehen“ – auch das steht fest – ist nicht die Musik fürs Nebenher. Wer sich einlässt, wird belohnt. „Wiedersehen“ ist die tolle Zusammenarbeit von drei Musikern, die von der Ergänzung lebt und von der Präzision des Miteinander.
Beim letzten Blick auf die Titel fallen zwei Zahlen auf. Da steht hinter „Johannes“ noch „16,33“. Das sieht nach einer Bibelstelle aus: „Dies habe ich zu euch geredet, damit ihr Frieden in mir habt. In der Welt habt ihr Bedrängnis; aber seid guten Mutes, ich habe die Welt überwunden.“

Seelenverwandtschaft

Auf Schölers Internetseite finden sich als Einleitung zur Biografie folgende Sätze: „Wenn improvisierte Musik lyrisch klingt, dann steckt wahrscheinlich eine bestimmte Weltsicht oder ein Gottesbild dahinter. Es werden Hintergründe zu Gehör gebracht, Klänge mit denen sich jemand Stunden um Stunden zum eigenen Gefallen umgeben hat. Wenn diese dann einem Zuhörer gefallen, dann meint dieser zu Recht, er stünde mit dem Musiker in einer Art Seelenverwandtschaft.“
Man muss nicht gläubig sein, um sich Schölers Tönen zu nähern. Man darf an das Gute in den Tönen glauben und wird nicht enttäuscht. Weicht man auf die Worte der Titel aus, ergibt sich, möchte man meinen, ein melancholischer Wunsch nach der Rückkehr zum Glück. Eine Seele auf dem Präsentierteller. Auf Wiederhören …Heiner Frost
Infos

Wer in Schölers Album hineinhören möchte, klickt den folgenden Link an: „Das Album zum Reinhörden“. Infos zu Stefan Schöler.
Wer „Wiedersehen“ live erleben möchte, merkt sich den 28. Januar vor. Dann ist das Trio um 20 Uhr auf Burg Boetselaer in Kalkar zu hören.

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