100 #3 Blauer Käfer, rote Zwiebeln

Jürgen Vogdt war um die 20. Ein Piefke. Seine Freundin Uta: 25. „Wir waren ein bedröppeltes Pärchen“, sagt Vogdt und meint die Kultur. Entfernung zur Kunst: Irgendwie fast unendlich.

NN-Fotos: Rüdiger Dehnen

3 Semester

„Dann haben wir – ich weiß nicht mehr, bei welcher Gelegenheit das war – zum ersten Mal von Beuys gehört.“ Ein Name aus dem Nichts der Ahnungslosigkeit. Vogdt sagt zu Uta: „Lass ma gucken. Da müssen wir hin.“ Es war in der Gegend von 1970.
Vogdt: In Düsseldorf fand damals eine Ausstellung statt. Wir da hin. Und als ich da rein komme, steh‘ ich vor dem ‚Stuhl mit Fett‘.“ Vogdt atmet durch: „Der erste Kultur-Schock meines Lebens. Ich hatte doch keine Ahnung. Nie Kunst gesehen. Zwei Stunden lang habe ich den ‚Stuhl mit Fett‘ umkreist. Als ich mit dem Umrunden fertig war, habe ich der Uta gesagt: Ich glaube, das waren meine ersten drei Semester.“ Ende des ersten Teils.

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Ein Anfang

„Jetzt hatte ich also einen Beuys-Begriff und habe den Mann angerufen. Damals ging das noch. Nummer besorgt – einfach angerufen. Ich hab dem Beuys von mir und dem Stuhl erzählt. Darauf sagt der: ‚Da hast du aber ein schönes Erlebnis gehabt.‘ Das war der erste Kontakt.“ Nichts Großartiges. Ein Anfang …

Jürgen Vogdt. NN-Foto: Rüdiger Dehnen

Frühschoppen

Zwei, drei Wochen später fuhren die Vogdts nach Kranenburg – zu van der Grinten. „Cer Beuys lebte, glaube ich, damals schon in Düsseldorf, aber er war sehr oft bei den van der Grintens. Da gibt es also bestimmt Kunst zu gucken, dachte ich.“ Die beiden fuhren los. Es war ein Sonntag. Anreise im blauen Käfer. Kleines Rückfensterbullauge – mit Kreuz. (Na bitte.)
„Als wir vor dem Haus standen – die Tür war offen – hörten wir von drinnen totalen Lärm. Ich habe dann reingerufen. Im Wohnzimmer saß vor dem Fernseher die alte Frau van der Grinten und sah Höfers Internationalen Frühschoppen – der Ton war auf maximal gestellt. Die alte Frau war wohl schwerhörig.“ Vogdt fragt nach – eigentlich schreit er, ob sie mal gucken dürften. „Könnt ihr machen“, sagt die alte Dame und die Vogdts streifen durchs Haus. Überall Kunst. Alles Beuys. „Beinah wäre ich zum Dieb geworden und hätte eine der Zeichnungen eingesteckt. Beinah.“

Die Zwiebelkiste

Nach der „Rundschau“ suchte Vogdt ein stilles Örtchen und fragte die alte Dame: „Musst du hinten in die Scheune.“ Vogdt zieht los. „Ich geh in die Scheune und da stehen so an die 15 Tische. Richtig große Tische – jeder um die zweieinhalb mal drei Meter, schätze ich. Auf den Tischen: lauter Beuys-Arbeiten. Das sah aus, als würde für eine Ausstellung geprobt. Alle diese Arbeiten: Das kannst du dir nicht vorstellen. Du gehst in eine Scheune und dann das – da stehst wie verwandelt.“ Wieder ein Kulturschock. Diesmal fast schon mit Ansage. Ende des zweiten Teils.
„An einem der Tische stand – unten am Tischbein – eine Kiste mit roten Zwiebeln. Das war der Augenblick, als der Blitz einschlug. Ich dachte: Ist das jetzt ein Beuys-Objekt oder ist das eine Kiste mit roten Zwiebeln? Das war ein entscheidender Augenblick“ Vogdt zu Uta: „Das waren jetzt die letzten drei Semester.“ Der Einbruch ins Allerheiligste des Kunstbegriffs. Sonne über Kranenburg.
Wieder rief der Vogdt den Beuys an und erzählte eine Geschichte. Beuys sagt: „Jung, dat interessiert mich. Komm mal vorbei.“ Das erste Treffen. Akademie Düsseldorf. „Da wurde der ja behandelt wie ein Heiliger. Und noch was: Ich habe nie wieder einen Menschen mit einer solchen Ausstrahlung erlebt.“

Umstieg

Als Vogdt sich verabschiedet, sucht er in der Altstadt vergebens nach seinem blauen Käfer. „Ich zurück in die Akademie. Hab‘ dem Beuys das erzählt und der sagt: Jung, ich helf dir suchen.“ Die beiden fahren in Beuys‘ Bentley durch die Altstadt, bis das Auto gefunden ist. Umstieg vom Bentley in den Käfer. „Jung, wir seh‘n uns.“

Jürgen Vogdt: Zwiebeln
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