Am Dienstagmorgen gegen 5.40 Uhr kam es im Ortsteil Winterswick zu einem tragischen Verkehrsunfall, bei dem sich ein 37-jähriger Rheinberger so schwer verletzte, dass er später im Krankenhaus starb. Nach bisherigen Erkenntnissen befuhr ein 22-jähriger Mann aus Bochum mit einem Audi A 6 die Moerser Straße in Richtung Rheinberg. Aus bislang ungeklärter Ursache kam er kurz hinter der Einmündung zur Alten Landstraße in einer langgezogenen Rechtskurve nach links von der Fahrbahn ab und prallte frontal gegen den entgegen kommenden Opel Astra des 37-Jährigen. (PRESSEMITTEILUNG
DER KREISPOLIZEIBEHÖRDE WESEL VOM 27. OKTOBER)

Für Yvonne und ihre Familie änderte sich an diesem Tag alles.

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Paul und Emma werden sich schon bald nicht mehr an ihren Vater erinnern können. Mit 14 Monaten sind sie noch viel zu jung, um zu begreifen, was da geschehen ist. Lenny ist fünf Jahre alt. Sein größter Wunsch: Die Mama soll nicht mehr so traurig sein. Auch Louis (13), Celina (17) und Eileen (18) leiden, wenn Mutter Yvonne weint. Sie ziehen sich zurück. Eileen ist bei ihrem Freund. Celina auch. Sie ist zum ersten Mal verliebt. Louis spielt stundenlang in seinem Zimmer mit der x-box. In der Schule wird nicht viel über den Tod des Vaters gesprochen. Seine Klassenkameraden behandeln ihn so wie immer. „Das ist gut für mich“, sagt Louis. Zuhause reden alle darüber. Die Oma sagt: Das Leben geht weiter. Natürlich geht es das.

„Es gibt Halt, wenn einiges so bleibt, wie es war und wie man es kennt“, weiß Bianca van Hardeveld. Sie ist ausgebildete Trauerbegleiterin und kümmert sich beim Verein Herzenswunsch Niederrhein um viele Kinder und Jugendliche, die ein Elternteil, Bruder oder Schwester verloren haben. Man könne lernen, mit dem Verlust umzugehen. Sagt sie. Vergessen wird man den geliebten Menschen nicht.

Wenn Yvonne an ihren Mann denkt, dann erinnert sie sich gern an die vielen schönen Dinge, die sie gemeinsam erlebt haben. Dann kommen wieder die Tränen. Auch wenn sie für ihre Kinder lieber stark sein würde. Die erste Woche nach dem Unfall war die schlimmste. „Alle wollten mich trösten und mir ihre Hilfe anbieten“, erinnert sich die 37-Jährige. Sie weiß, dass es alle gut gemeint haben. Trotzdem fühlte sie sich überfordert. Sie hatte kaum Zeit, zur Ruhe zu kommen.

Und dann war da auch noch der ganze Papierkram. Die Geburtsurkunden mussten angefordert, die Versicherungen, Behörden und die Berufsgenossenschaft (es geschah auf dem Weg zur Arbeit) informiert werden. Und die Beisetzung, die galt es auch zu organisieren. Yvonne ist froh, dass ihr die Menschen von Herzenswunsch zur Seite gestanden haben. Allein hätte sie es nicht geschafft.

Der erste Kontakt zu Herzenswunsch fand wenige Tage nach dem Unfall statt. Der zuständige Seelsorger bat den Verein, sich der Familie anzunehmen. „Wir können gemeinsam mit und auch neben den Trauernden gehen – laufen müssen sie aber selber“, sagt Bianca van Hardeveld. Es braucht Zeit, bis das Unvorstellbare verarbeitet ist. Auf dem Weg dahin wird es viele Aufs und Abs geben. „Das ist ganz normal“, weiß sie. Ein Tiefpunkt war die Urnenbeisetzung. Vorher gab es noch eine Trauerfeier im kleinen Kreis. Eine weitere emotionale Herausforderung werden die bevorstehenden Feiertage ohne den Vater sein. An Heiligabend ging es immer mit der ganzen Familie zum Chinesen. Danach gab es die Bescherung und dann wurden Weihnachtsfilme angeschaut. „Den Tisch hatten wir schon bestellt“, sagt Yvonne. Eigentlich soll es so ablaufen wie immer. So wünscht es sich Yvonne. Am ersten Weihnachtstag stand stets der Besuch bei ihren Schwiegereltern an. „Wir haben abends immer Karten gespielt. Im letzten Jahr habe ich den Pott abgeräumt – als jüngste Gewinnerin aller Zeiten“, sagt Celina und lächelt dabei kurz. Sie ist traurig, dass der Besuch bei Oma und Opa in diesem Jahr ohne Papa stattfinden wird.

„Vielleicht könntet ihr euch auch neue Rituale überlegen“, ist van Hardevelds Rat. „Vielleicht könnte man einen Zweig vom Tannenbaum abschneiden, ihn schmücken und zum Friedhof bringen. Ihr könntet Bänder daran befestigen, auf denen ihr eure Gedanken festhaltet.“ Die Trauerbegleiterin weiß, dass sie weder Yvonne noch den Kindern die Last nehmen kann, die sie momentan zu erdrücken scheint. „Wir können einen Tisch mit Möglichkeiten decken und dazu ermutigen, sich an dem Tisch zu bedienen. Ob man sich darauf einlässt und was am besten passt, entscheidet jeder für sich selbst“, sagt sie.

Zu sehen, dass man nicht allein ist und viele andere das Schicksal teilen, ist auch Bestandteil der Trauergruppen für Kinder und Jugendliche. Eigentlich finden regelmäßig Gruppentreffen in den Räumlichkeiten an der Wallstraße 10 in Kalkar statt. Wegen Corona aktuell leider nur eingeschränkt. „Louis wird die Gruppe gut tun“, ist Bianca van Hardeveld überzeugt. Mit Celina trifft sich Rita Menke, die ebenfalls Trauerbegleiterin beim Verein Herzenswunsch Niederrhein ist, lieber zu Einzelgesprächen. Noch vor der Einschulung wird auch Lenny in die Kinder-Trauergruppe gehen. „Die Einschulung wird so ein Moment sein, in dem ihm bewusst wird, dass etwas anders ist. Er kann eben nicht mit Mama und Papa gemeinsam seinen ersten Schultag feiern.“

In den Gruppen wird viel miteinander geredet – aber auch viel gelacht. „Manchmal ist Ablenkung wichtig und an anderen Tagen ist der Gesprächsbedarf groß“, weiß Bianca van Hardeveld. Wichtig sei, dass alle verstehen: Wir sind nicht allein. Das ist es auch, was Mutter Yvonne tröstet. „Es gibt mir Hoffnung, das alles irgendwann wieder gut wird“, sagt sie.
Einen Wunsch hat Yvonne zu Weihnachten. Sie möchte Gedenkschmuck aus der Asche ihres Mannes anfertigen lassen. Für sich und die Kinder. „Damit wir ihn immer ganz nah bei uns tragen können“, sagt sie. Eine bleibende Erinnerung. Für die Zwillinge wahrscheinlich die einzige Erinnerung überhaupt. Zumindest dieser Wunsch wird ihr erfüllt.

Der Verein
2004 gründete sich auf Initiative von Reinhold Kohls, praktischer Arzt für Allgemeinmedizin und Naturheilkunde in Bedburg-Hau, ein Hospizverein. Immer häufiger wurde das Anliegen an den Verein herangetragen, man möge nicht nur würdevolle Sterbebegleitung leisten, sondern auch einen besonderen Wunsch erfüllen. Dies sah der Verein fortan als Schwerpunkt seiner Tätigkeit an und benannte sich 2010 in „Herzenswunsch Niederrhein“ um. Heute ist die Trauerbegleitung ein Schwerpunkt des Vereins. Begleitet werden Kinder und Jugendliche, die ein Elternteil oder Geschwister verloren haben. Der Verein bietet Trauergruppen und Einzelbegleitung, organisiert Ferienfreizeiten und Projekte für die betroffenen Familien, aber auch Fortbildungsveranstaltungen für Lehrer und Erzieher. Der Verein ist gemeinnützig und wird ausschließlich von ehrenamtlichen Mitarbeitern getragen.
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