Dorfroman
Schriftsteller Christoph Peters schreibt seit seiner Kindheit und ist bereits mit mehreren renommierten Preisen ausgezeichnet worden. Foto: privat

NIEDERRHEIN. Der Kaffeeklatsch fällt aus. Dorfbewohner wechseln die Straßenseite, wenn ihnen andere Spaziergänger begegnen, mit denen sie früher viel Lebenszeit teilten. Ein Atomkraftwerk spaltet das kleine Dorf am Niederrhein. Die einen sind Befürworter, die anderen absolute Gegner. Für die einen ist die atomare Energiegewinnung ein Symbol des Fortschritts und eine Chance auf Wohlstand, die sie unbedingt ergreifen wollen. Für die anderen ist es der Untergang.

Das geplante Atomkraftwerk im Kalkarer Stadtteil Hönnepel, das heute den Freizeitpark Wunderland Kalkar beheimatet, hat in den 1970er Jahre tatsächlich das kleine, beschauliche Dorf gespalten. Die Atomkraftgegner sorgten dafür, dass der „schnelle Brüter“ nie ans Netz ging und heute den Mittelpunkt eines Freizeitparkes bildet. Schriftsteller Christoph Peters ist 1966 in Kalkar geboren, in Hönnepel aufgewachsen und hat den Konflikt als Heranwachsender hautnah miterlebt. In seinem dieses Jahr erschienenen Buch „Dorfroman“ erzählt er vom „Niedergang des klassischen Dorflebens, dem Verlust der traditionellen Heimat und vom turbulenten Aufbruch in jene Bundesrepublik, in der wir heute leben“. „Es ist keine Autobiographie, sondern ein Roman, der sehr viel Autobiographisches enthält. Ich habe versucht, die Geschichte so präzise wie möglich zu erzählen. Wo es nötig war, habe ich die Erzählung jedoch fiktiv an den Roman angepasst“, berichtet Peters.

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Drei Zeitebenen

Dorfroman
Auf dem Cover des Buches ist der heutige Freizeitpark „Wunderland Kalkar“ abgebildet. Foto: Luchterhand-Verlag

Für den „Dorfroman“ hat der 54-Jährige auch nicht Hönnepel als Ort ausgewählt, sondern das fiktive Dorf „Hülkendonck“. Die umliegenden Städte „Cleve“ und „Calkar“, bewusst in der alten Schreibweise geschrieben, lassen jedoch keinen Zweifel zu, dass die Geschichte am Niederrhein spielt. Peters hat für seine Erzählung drei Zeitebenen gewählt, die er gekonnt miteinander verstrickt und die auch sein eigenes Leben widerspiegeln. Da ist zum einen die Sicht eines Kindes und Jugendlichen, „der die politische Meinung seines Elternhauses erstmal nicht groß hinterfragt“, sagt Peters. Er folge in seiner Naivität dem Optimismus seiner Eltern auch in Bezug auf das mögliche Atomkraftwerk. Als pubertierender 15-Jähriger hinterfragt der Erzähler wenig später die Denkweise seiner Eltern, bildet seine eigene Meinung und schließt sich der Anti-Atomkraftbewegung an. Auf einer dritten Erzählebene blickt der Erzähler schließlich 35 Jahre später als Erwachsener in der Gegenwart reflektiert auf das Geschehene zurück.

„Das passt auch zu meiner eigenen Biographie“, sagt Peters. Etwa 14 Jahre habe er an dem Buch gearbeitet. „Ich habe immer wieder recherchiert, Zeitungsberichte dazu gelesen und auch mit meinen eigenen Eltern und Zeitzeugen darüber gesprochen“, sagt der Autor, der nach Stationen in Mainz und Karlsruhe seit mittlerweile 20 Jahren in Berlin lebt. Die Roman-Erzählung sollte so stimmig wie möglich sein. Deshalb habe sich Peters auch zwei Jahre Zeit beim Schreiben gelassen.

Lesetour verschoben

Eine für dieses Jahr geplante Lesetour am Niederrhein musste Peters‘ coronabedingt auf den Frühjahr 2021 verschieben. Dabei war der Schriftsteller sehr gespannt auf die literarische Reise zum Ort des Geschehens. „Ich finde es sehr interessant mit Niederrheinern ins Gespräch zu kommen, welche die Zeit und die Proteste selbst erlebt haben. Ich möchte gerne ihre Meinung zum Roman und ihre Erlebnisse hören“, sagt Peters. Er hoffe, dass dies im nächsten Jahr möglich sein wird.

Für Christoph Peters war der „Dorfroman“ aber nicht das erste Buch, das in seiner Heimat am Niederrhein spielt. Auch „Stadt Land Fluss“, sein 1999 erschienener Debüt-Roman, spielte dort. „Da ging es aber mehr um ein Dorf-Homeporträt. Das Atomkraftwerk habe ich damals bewusst ausgelassen“, sagt Peters. „Stadt Land Fluss“ war jedoch Peters‘ Start einer beeindruckenden Schriftsteller-Karriere: Der heute 56-Jährige erhielt bereits mehrere Preise, unter anderem den Düsseldorfer Literaturpreis, den Deutschen Buchpreis und zuletzt den Wolfgang-Koeppen-Preis der Universitäts- und Hansestadt Greifswald.

Künstler auf der Durchreise

Dabei war es immer Peters‘ Wunsch, Romane zu schreiben. „Ich wollte immer ein Schriftsteller und Künstler auf der Durchreise werden“, sagt Peters. Seine Passionen entdeckte er bereits früh. „Es gibt noch alte Schulaufsätze von mir, wo ich Tiere vor Wilderern schütze. Bis ich zehn oder zwölf Jahre alt war, habe ich das gemacht“, berichtet Peters. Mit 14 oder 15 habe er begonnen Gedichte zu schreiben, mit 18 oder 19 seien Prosa-Texte hinzugekommen. „Da habe ich aber schnell gemerkt, dass ich das noch nicht konnte. Ab 20 wurde es dann besser. Es hat dann aber immer noch zehn Jahre gedauert, bis ich wirklich Autor wurde“, sagt Peters. Mit 33 Jahren veröffentlichte er sein Romandebüt „Stadt Land Fluss“. Sein neuester Roman erschien 2020 mit dem “Dorfroman”.

Neben dem Schreiben ist auch das Zeichnen eine Passion von ihm. „Dem Schreiben widme ich jedoch mehr Zeit und das mache ich auch öffentlich; das Zeichnen mache ich dagegen eher nur für mich“, sagt Peters, der auch schon an neuen Werken arbeitet. „Ich habe immer drei bis vier Romane im Kopf. Zunächst recherchiere ich allerdings gründlich, ehe ich mit dem Schreiben beginne“, erläutert Peters. Manchmal arbeite er fünf, manchmal aber auch zehn Stunden täglich an einem neuen Buch. „Ich schaue dabei nicht so sehr auf die Zeit, sondern mehr auf den Ertrag. Ich möchte am Ende des Tages eine neue Seite fertig haben. Die meiste Zeit bringe ich jedoch für das Korrigieren und Nachlesen auf“, berichtet Peters. Der Roman solle schließlich am Ende schlüssig sein. „Jeder Satz, den ich geschrieben habe, habe ich 60 bis 100 Mal gelesen, ehe er erscheint“, sagt Christoph Peters.

Der Autor
Christoph Peters wurde am 11. Oktober 1966 in Kalkar geboren. Sein Abitur legte er am Gocher Collegium Augustinianum Gaesdonck ab. Danach studierte er Malerei an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe. Seit 20 Jahren lebt er mittlerweile in Berlin und hat zahlreiche Romane und Erzählungsbände veröffentlicht. Seine Werke wurden unter anderem mit dem Friedrich-Hölderlin-Preis der Stadt Bad Homburg (2016) und dem Wolfgang-Koeppen-Preis (2018) ausgezeichnet. Zuletzt veröffentlichte Peters den Erzählungsband „Selfie mit Sheikh“ (2017) sowie der Roman „Das Jahr der Katze“ (2018). Sein Debütroman „Stadt Land Fluss“ erschien 1999. Der „Dorfroman“ ist im Luchterhand-Verlag erschienen und trägt die ISBN 978-3-630-87596-5. Die gebundene Ausgabe kostet 22 Euro.

Auch wenn für Peters laut eigener Aussage bereits mit 15 Jahren klar war, dass er Hönnepel eines Tages verlassen werde, ist die Liebe zum Niederrhein bis heute geblieben. „Der Rhein war für mich immer mein Zufluchtsort. Zudem liebe ich die Felder und Wiesen im Kreis Kleve“, sagt er. Regelmäßig habe er in den vergangenen Jahrzehnten seine Eltern am Niederrhein in seinem Elternhaus besucht. Auch habe er guten Kontakt zu dem im Oktober verstorbenen Klever Künstlers Franz Joseph van der Grinten gehalten, der sein Lehrer am Gocher Collegium Augustinianum Gaesdonck war. „Ich mag die Kunst und die Museen in Kleve sehr gerne“, sagt Peters, der sich auch eine Rückkehr an den Niederrhein vorstellen könnte.

Heimat: Niederrhein

„Meine Eltern sind im Herbst vergangenen Jahres zu meiner Schwester nach Leverkusen gezogen. Somit habe ich leider keine Möglichkeit mehr, am Niederrhein bei jemanden zu übernachten“, sagt Peters. Dabei habe er jede Rückkehr an den Niederrhein sehr geliebt: „Der Kreis Kleve ist der einzige Ort, an dem ich sagen kann: Das ist meine Heimat. Da kenne ich alles. In Berlin habe ich dieses Gefühl nicht.“ Das unterscheidet ihn zum einen von seinem Erzähler im „Dorfroman“, zum anderen verbindet es beide aber auch. Der Erzähler beendet den Roman nämlich mit den Sätzen: „Ich werde trotzdem ins Auto steigen, zurück nach Berlin fahren, wo ich auch nicht zu Hause bin. Es ist falsch.“

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