Verstehen kann man’s nicht

KREIS KLEVE. Manches klingt größer als man vermutet hätte. „Ich versteh‘s nicht mehr“, sagt Anja Speh, Klavierlehrerin an der Kreismusikschule Kleve und – damit das klar ist – Frau des Verfassers dieses Textes.

Anders interpretiert

Als in den Nachrichten am Freitag gemeldet wurde, dass in Nordrhein-Westfalen (und wohlgemerkt nur in Nordrhein-Westfalen) mit dem Lockdown-Light auch die Musikschulen schließen müssen, wuchs die Ratlosigkeit. „Ich habe die Verordnung gelesen und muss sagen, dass ich das so nicht interpretieren würde“, sagt Anja Speh.

-Anzeige-

Irgendwie nicht logisch

Ihr erschließt sich die Logik hinter dieser Maßnahme nicht wirklich. Und man kann es sehr gut nachvollziehen. Kindergärten und Schulen weiterhin geöffnet – Musikschulen nicht? Speh: „Wir bilden auch aus. Wo liegt da der Sinn – wo der Unterschied?“ Gut, es lässt sich nachvollziehen, dass Orchester- oder Chorproben sowie Tanzkurse nicht stattfinden, „aber beim Einzelunterricht sieht die Sache doch ganz anders aus“, sagt Speh. „Wenn ich an den Raum denke, in dem ich unterrichte, dann macht das alles keinen Sinn: Wir haben eine Trennscheibe – wie in allen Unterrichtsräumen – und es treffen sich im Einzelunterricht ja nicht mehr als Menschen aus zwei Haushalten.“

Freizeitgestaltung

Wirft man einen Blick in den Maßnahmenkatalog aus der „Telefonkonferenz der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefs der Länder am 28. Oktober 2020“, findet sich unter Punkt 5 folgende Anordnung: „Institutionen und Einrichtungen, die der Freizeitgestaltung zuzuordnen sind, werden geschlossen.“
Alsdann wird definiert, welche Einrichtungen gemeint sind: „Theater, Opern, Konzerthäuser und ähnliche Einrichtungen …“ (unter Punkt a). Musikschulen sind nicht hier erwähnt, aber man kann sie natürlich unter „und ähnliche“ vermuten, denn es ist unstrittig, dass Musikschulen keine (Punkt b) „Messen, Kinos oder Freizeitparks“ sind. Allerdings gibt auch beim Punkt b ein „und Anbieter von Freizeitaktivitäten“.
Zu klären wäre also die Frage, ob Musikunterricht eine reine Freizeitaktivität ist. Immerhin tragen Musikschulen das Wort „Schule“ im Namen. Punkt 10 der Verordnung: „Schulen und Kindergärten bleiben offen. Angesichts der hohen Infektionszahlen werden weitere Schutzmaßnahmen durch die Länder eingeführt.“

Volkshochschule

Wie sieht es eigentlich bei den Volkshochschulen aus? Anruf beim Klever VHS-Chef Alf-Thorsten Hausmann. „Bei uns finden weiterhin bestimmte Angebote statt. Dazu gehören beispielsweise Schulabschlusslehrgänge, Alphabetisierungskurse, Kurse zum Thema Deutsch als Fremdsprache und berufsbezogene Angebote wie Bildungswochen“, erklärt Hausmann.
Wer legt denn eigentlich fest, warum eine Bildungswoche stattfinden kann, ein Acrylmalkurs aber nicht? Hausmann: „Zunächst einmal geht es da natürlich um die Coronaschutzverordnung und da wiederum um den Paragraf 7.“ Der Paragraf 7 befasst sich mit „außerschulischen Angeboten“, zu denen (Punkt 2) Volkshochschulen gehören. „Zusätzlich sind wir natürlich in ständigem Kontakt mit dem Fachbereich 40, (Schule, Kultur, Sport) der Stadt Kleve. Die VHS habe schon im Vorfeld die Räume vermessen. Welche Angebote weiterhin stattfinden und welche derzeit pausieren, kommuniziert die VHS über die Dozenten, Aushänge an den Unterrichtsräumen und das Internet (beispielsweise über die hauseigene Facebook-Seite).

Bildungsstätten

Nach wie vor unklar ist, wieso die Musikschule ihre Räume schließen muss. Liest man Paragraf 7 der Coronaschutzverordnung, ließe das den Schluss zu, dass es sich bei Angeboten von Musikschulen nicht um ausbildungs- und berufsbezogene Aus- und Weiterbildungsangebote handelt. Musikschulen gehören – zumindest in NRW – zum Kulturangebot, was natürlich nicht falsch ist, aber sie sind eben auch (Weiter-)Bildungsstätten für Kinder und Jugendliche und es sind ja die gleichen Kinder und Jugendlichen, die morgens zur Schule gehen und dort in (unübersehbar) größeren Gruppen unterrichten werden als in Musikschulen.

Beschämend

Der Musikpädagoge Georg Michel aus Haldern schreibt in einem Leserbrief zum Thema Corona-Schutzverordnung: „Zu den vielen Ungereimtheiten der Corona-Schutzverordnung gehört seit dem 2. November, dass Schüler, die vormittags klassenweise die Schule besuchen, nachmittags nicht in den Einzel-Unterricht an Musikschulen dürfen. während Gruppenunterricht im Rahmen der Volkshochschule wiederum erlaubt ist. Abgesehen von der mangelnden Logik stellt die Landesregierung NRW erneut unter Beweis, dass Musikschulen ihr nicht relevant, schon gar nicht systemrelevant erscheinen, sondern mit ‚Tagesausflüge, Ferienfreizeiten, Stadtranderholungen und Ferienreisen‘ (§7 der Corona-Schutzverordnung) als entbehrlich gelten. Beschämend!“
Übrigens finden die JeKits (Jedem Kind Instrumente, Tanzen, Singen) weiterhin statt. Anbieter sind unter anderem die Musikschulen. Aktuelle Mitteilung auf www.jekits.de: „Nach der heute veröffentlichten Coronaschutzverordnung müssen die Musikschulen ab Montag, den 2. November 2020, in Nordrhein-Westfalen schließen. Was bedeutet dies für die Umsetzung des JeKits-Programms durch Lehrkräfte der außerschulischen Bildungspartner in den Schulen?
Wir sind der Auffassung, dass sich aus der aktuellen Coronaschutzverordnung keine weiteren Einschränkungen für den Schulbetrieb und damit für JeKits ergeben. Unter § 7 Abs. 1 Nr. 3 der Verordnung heißt es: „Die besonderen Regelungen der Coronabetreuungsverordnung insbesondere für den Betrieb von (…) Schulen bleiben unberührt.“ Aus der Coronabetreuungsverordnung wiederum ergab sich bisher kein Verbot von außerschulischen Angeboten beziehungsweise dem entsprechenden Zutritt der externen Lehrkräfte. Abgesehen von den flächendeckenden Schließungen im März hat es ein solches Betretungsverbot für externe Lehrkräfte unserer Einschätzung nach zu keinem Zeitpunkt gegeben. Zum aktuellen Zeitpunkt gibt es insofern keine neuen Regelungen, die JeKits betreffen. Das JeKits-Programm kann – nach jetzigem Stand der Regelungen und nach unserer Kenntnis – in den Schulen weiter stattfinden.“

Petition

Georg Michel: “Zum Thema Einzelunterricht an Musikschulen gibt es übrigens eine Petition im Internet.” (https://www.openpetition.de/petition/online/kein-corona-lockdown-des-einzelunterrichts-an-musikschulen).

In zwei Wochen

Am ersten Tag des Lockdowns stellte sich Armin Laschet im WDR den Fragen von Bürgern. Dabei kam auch das Thema „Musikschulen“ zur Sprache. Man werde sich, so Laschet, des Themas in zwei Wochen nochmals annehmen. Es werde überall im Land Fälle geben, bei denen Menschen sagen könnten, dass Vieles ungerecht sei, so Laschet. „Jetzt einmal vier Wochen nicht in die Musikschule gehen, ist wieder Kontakt weniger“, so Laschet. Es gehe darum, unnötige Kontakte zu vermeiden, so Laschet.
Man bleibt unzufrieden zurück und fragt, wer denn bestimmt, was nötig und unnötig ist und findet sich in der feuderalen Grauzone wieder. NRW ist mit seiner Entscheidung, die Musikschulen zu schließen, allein auf weiter Flur, aber in zwei Wochen will Laschet wieder über Musikschulen nachdenken.

 

Antwortbrief des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales Leben des Landes NRW auf eine Anfrage:

Sehr geehrte Bürgerin, sehr geehrter Bürger, vielen Dank, dass Sie sich mit uns in Verbindung gesetzt haben.

Das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales NRW hat bezüglich der derzeitig geltenden Maßnahmen zur Bekämpfung des Corona Virus eine Möglichkeit für die Bürgerinnen und Bürger geschaffen, schriftliche Anfragen zu senden. Bei der Beantwortung müssen wir uns insbesondere auf Grund der großen Anzahl eingehender Anfragen darauf beschränken, die geltenden Regelungen zu vermitteln und zu erläutern wie diese im Allgemeinen ausgelegt werden können.

Grundsätzlich gilt:

Privater Musik-Einzelunterricht (ebenso Gruppenunterricht) fällt unter die Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 der Coronaschutzverordnung (CoronaSchVO) in der ab dem 02.11.2020 geltenden Fassung. Nach dieser Vorschrift sind andere (nicht in § 7 Abs. 1 Satz 1 CoronaSchVO) genannte Bildungsangebote bis zum 30.11.2020 untersagt.

Die Untersagung des privaten Musikunterrichts gilt unabhängig davon, in welchen Räumlichkeiten der Unterricht erteilt wird, also etwa in den Räumen einer Hochschule, einer Musikschule (die bis zum 30.11.2020 geschlossen ist) oder in privaten Räumen.

Allerdings ist digitaler Distanz-Unterricht nach dem Sinn und Zweck der Verordnung weiterhin möglich.

Ich weise darauf hin, dass die vorstehenden Ausführungen zur Auslegung der CoroanSchVO für die Behörden und Gerichte nicht bindend sind. Alle Angaben sind zur allgemeinen Information bestimmt und stellen keine geschäftliche, rechtliche oder sonstige Beratungsdienstleistung dar. Es handelt sich nicht um eine rechtsverbindliche Auskunft. Das Ministerium übernimmt keine Gewähr oder Haftung.

Es gibt mehrere Internetauftritte der Landesregierung, die Ihnen ebenfalls weiterhelfen könnten:

Zum einen die Internetseite der Staatskanzlei Nordrhein-Westfalen, dort gibt es sehr umfangreiche Frage-und-Antwort-Kataloge (FAQ) zum Thema „Bekämpfung des Coronavirus“. Die Adresse:
https://www.land.nrw/de/wichtige-fragen-und-antworten-zum-corona-virus

Zum anderen die Internetseite des NRW-Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales (MAGS), auf der Sie die komplette Sammlung der rechtlichen Regelungen finden.
Dort werden alle aktuellen Verordnungen und Erlasse veröffentlicht, in denen die stufenweise Öffnung der Maßnahmen in der Corona-Pandemie geregelt wird. Die Adresse:
https://www.mags.nrw/coronavirus

Unsere Sonderseite mit den wichtigsten Änderungen ab dem 01. November: https://www.mags.nrw/corona-regeln-fuer-nordrhein-westfalen-im-november-2020

Wichtig ist, dass sich alle Bürgerinnen und Bürger an die Regeln halten und Informationen beachten, die von den öffentlichen Dienststellen in Nordrhein-Westfalen ausgegeben werden.

Wenn wir uns alle danach richten, werden wir diese außergewöhnliche Situation bestmöglich bestehen – bitte helfen Sie uns dabei durch Ihre Unterstützung. Vielen Dank!

Vorheriger ArtikelCorona-Fall an der St. Georg-Grundschule in Goch
Nächster ArtikelSeit 40 Jahren gut beraten