GELDERN. Die Arbeitswelt wandelt sich, genauso wie die Lebenswirklichkeit der Menschen: Das hohe Gehalt ist für immer mehr Menschen nicht mehr das Entscheidende. Ein gutes Leben mit ausreichend Freizeit und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sind zunehmend bedeutsamer. Auch der Fachkräftemangel ist ein Problem. Deshalb müssen Unternehmen mit der Zeit gehen. Drei „Good-Practice Unternehmen“ berichten am Montag, 26. Oktober, von ihren flexiblen und familienbewussten Maßnahmen: Welche das sind, wie und warum sie sie umgesetzt haben und weshalb sich die Maßnahmen – auch in der Krise – bezahlt machen. 

Das geschieht nicht nur in starren Vorträgen, sondern innerhalb einer Podiumsdiskussion, bei der auch die Teilnehmer aufgerufen sind, Fragen zu stellen. Das war ursprünglich vor Ort geplant, die aktuellen Coronaentwicklungen zwingen die Veranstalter jedoch zum Umdenken. Abgesehen von den Podiumsteilnehmern nehmen alle anderen über einen Live-Stream samt Chat-Funktion teil.

-Anzeige-

Der Titel der Podiumsdiskussion bringt den Inhalt bereits auf den Punkt: „Familienfreundlichkeit und die passende Unternehmenskultur machen erfolgreich und stark – erst recht in Krisenzeiten!“ Interessant ist die Veranstaltung besonders für kleine und mittlere Unternehmen, die sich einen Berater nicht unbedingt leisten können. Johanna Hachmann vom Kompetenzzentrum Frau und Beruf Nieder­rhein sieht nicht wenige Unternehmen bereits in der Krise, ohne dass diese jedoch das Problem erkannt hätten. Und das könne schlecht enden. Zum Beispiel durch eine Überlastung der vorhandenen Mitarbeiter durch den Fachkräftemangel, bis die ersten sich krankmelden und schließlich kündigen.

Vorbilder aus Geldern

Trotzdem ist ein Bewusstsein für Familienfreundlichkeit da, wie Hachmann erzählt: „Eine aktuelle Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zeigt, dass Unternehmen durch die Krise die immense betriebswirtschaftliche Bedeutung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf stark verinnerlicht haben: 82 Prozent der Unternehmen sagen, dass Kinderbetreuung ein zentraler Faktor für die Produktivität ihres Unternehmens ist.“

Volker Wassermann, Inhaber von bridge4IT, hat seit der Firmengründung auf Familienfreundlichkeit, Flexibilität und den Wohlfühlfaktor gesetzt und ins Unternehmen integriert. Er wird bei der Diskussion seine Erfahrungen teilen. Er hat ein anderes Bild von Arbeitnehmerfreundlichkeit als den Obstkorb oder den Fitnessgutschein. Den Mitarbeitern Freiheit einräumen und dabei die volle Leistung bekommen: „Das motiviert alle. Ich denke, da ist ein Erfahrungsbericht ganz interessant.“

Da er und seine Firma sich gerade im hochsensiblen Themenbereich Datenschutz und IT-Forensik befänden, könne er zwar nicht alles erlauben, „aber ich kann mir heraussuchen, was motiviert.“ Damit zeigt er, was selbst mit Einschränkungen möglich ist.

„Es ist für uns als Wirtschaftsförderung eine große Chance zu zeigen, dass nicht nur Unternehmen in Düsseldorf familienfreundlich unterwegs sind“, sagt Wirtschaftsförderer Lucas van Stephoudt. Auch in Geldern sei es der Fall. „Wir haben ein Interesse daran, den Unternehmen die Brücken zu bauen und den Weg zu ebnen, um weiterhin Fachkräfte an Unternehmen binden und neue gewinnen zu können.“ Das Ruhrgebiet ziehe Arbeitnehmer auch vom Niederrhein an und spezialisierte Kräfte könnten sich die Arbeitsplätze oft aussuchen. „Es ist wichtig, dass die Unternehmen hier konkurrenzfähig sind“, sich als Marke mit Werten wirksam darstellen. „Wir wollen den Unternehmen Mut machen und zeigen, dass die Hürden gar nicht so groß sind. Und dass es sich lohnt“, ergänzt Wirtschaftsförderin Janine Segref.

Potenzial gegen Fachkräftemangel nutzen

Hinzu kommt auch, dass von zehn Menschen, die aus dem Arbeitsleben gehen, nur zwei Stellen nachbesetzt werden. Das Arbeitsmarktpotenzial sieht Hachmann daher vor allem bei den Frauen, die entweder noch nicht wieder arbeiten, nicht mehr damit angefangen haben oder in der Übergangsphase sind. „Die Männer sind in der Regel in der Vollbeschäftigung.“

Und Frauen haben im Vergleich zu früher auch verstärkt ihre Rentenabsicherung im Blick, sind vielleicht noch alleinerziehend und somit oft auf eine volle Stelle angewiesen. „Das bedeutet, die Unternehmen und die Familien sind darauf angewiesen, dass beide Partner arbeiten gehen“, sagt Hachmann. Hinzu kämen oft häusliche Aufgaben. Die große Herausforderung sei, wie Unternehmen und Familien das managen könnten. „Wie kann man diese Frau so ans Unternehmen binden, dass sie gerne wiederkommt?“, sagt Hachmann. Wichtig sei, dass sie ihre Potenziale auf dem Arbeitsmarkt leben könne und darüber Wertschätzung für sich erfahre.

Die notwendigen Schritte müssen laut Hachmann auf das Unternehmen gemünzt sein. „Ich glaube es ist wichtig, dass die Unternehmen einen Blick für ihre Mitarbeiter bekommen.“ Individuelle Lösungen für die Bedürfnisse vor Ort.

Wassermann spricht zudem die „nicht normalen Tage“ an, etwa wenn das Kind krank sei. „Das muss der Arbeitgeber ein Stück weit unterstützen können.“ Eine traditionelle Rollenverteilung, bei der die Frau zu Hause bleibt, sei heute nicht mehr der Fall. Auch der Luxus, der Lebensstandard habe sich vergrößert. „Das bedingt, dass beide arbeiten gehen.“

Teilnehmer und Anmeldung

An der Diskussion teilnehmen werden Dr. med. Lothar Beccu und Ilona Leis für das Institut für Pathologie am Niederrhein (mit dem Thema „Betriebliche Kinderbetreuung“), Volker Wassermann für bridge4IT (Familienbewusste Personalpolitik), Stephan Waerdt für Onergys (Teilzeitausbildung und Ausbildung von Geflüchteten), Christof Pilath und Julia Machwitz für die Stadt Geldern (Teilzeitausbildung), Johanna Hachmann für das Kompetenzzentrum Frau und Beruf Niederrhein (Unternehmenskultur) und Lucas van Stephoudt für die Wirtschaftsförderung der Stadt Geldern (Geldern kann was – Employer Branding Kampagne der Stadt). Unter www.coworking-geldern.de/events können sich Interessenten bis zum Veranstaltungstag für den Stream anmelden. Anschließend erhalten sie den Zugangslink. Die Diskussionsrunde findet statt zwischen 18 und 20 Uhr.

Die Wirtschaftsförderungsgesellschaft kooperiert für diese Veranstaltung mit dem Kompetenzzentrum Frau und Beruf, dass Unternehmen bei der Fachkräftesicherung mit Blick auf weibliche Fachkräfte unterstützt.

Vorheriger ArtikelLaunige Geschichten vom Glück und Pech des Andersseins
Nächster Artikel” … dann habt ihr ein Grab in den Wolken …”