Ein Biedermann als Brandstifter

KLEVE. Auf roten Teppichen wird man so empfangen: in Cannes, Berlin, Venedig – auf dem „Walk of Fame“. Wenn einem vorgeworfen wird, mithilfe von Benzin Brandstiftung betrieben zu haben, erwartet ihn der Walk of Shame. Kameras: Fernsehen, Presse – der ganz große Bahnhof.

120 Millionen

Am 29. Dezember 2019 hat es in Uedem gebrannt. Das klingt alltäglich, solange man keine Fakten beimischt: Rund 340 Einsatzkräfte waren mit dem Brand beschäftigt. Der Sachschaden, so wurde es während des 1. Verhandlungstages beziffert, liegt bei 120 Millionen Euro – aufzuteilen in 60 Millionen Euro Sachschaden und weitere 60 Millionen Folgekosten. Ein Pappenstiel ist etwas anderes.

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Vorgeschichten

Dass einer so handelt, scheint nicht denkbar ohne eine Vorgeschichte. Der mutmaßliche Täter kam zunächst als Leiharbeiter zu der Uedemer Firma – bekam später einen Arbeitsvertrag. Das klingt gut … und das war gut, bis der Mann auf Lücken in der Arbeitssicherheit hinwies.
„Von da an wurde ich gemobbt“, erzählt er dem Richter. Er wird krank. Er geht in Kur. Er erleidet einen Herzinfarkt. Dazwischen: Stationen eines Kampfes. Abmahnungen, Kündigungen. Unter anderem wirft man ihm die Verletzung der Persönlichkeitsrechte von Arbeitskollegen vor. Um der Geschäftsführung Sicherheitsmängel vor Augen zu führen, macht der Angeklagte Videos mit seinem Smartphone. Er zeigt sie dem Geschäftsführer. Der soll – erzählt der Angeklagte – entsetzt gewesen sein und gesagt haben: „Soll ich die alle entlassen?“ Die Geschäftsführung entscheidet anders und entlässt den, der jetzt angeklagt ist. Er zieht vors Arbeitsgericht und bekommt Recht. Zur Sache will sich der Mann, so sagt es einer der beiden Verteidiger, „zunächst nicht einlassen“. Der Mann ist ein unbeschriebenes Blatt: Keine Schulden, keine Vorstrafen. Verheiratet ist er und hat einen Sohn.

Fragen

Die Verteidiger tun ihre Arbeit: Sie fragen immer wieder nach bei den Zeugen des ersten Tages. Wer die Akten nicht kennt, könnte auf die Idee kommen, dass ein Täter allein all das nicht bewältigen konnte. Am Ende brannte ein Verwaltungsgebäude. Dazu noch – man kommt mit dem Zählen nicht nach – zehn Hallen (oder mehr). Das Gericht hat mehrere Gutachter bestellt. Ein Brandsachverständiger ist dabei. Auch ein Psychiater ist anwesend. Es wird wohl, denkt man, um die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zum Tatzeitpunkt gehen. Ist da einer zum Kohlhaas geworden?
Der erste Verhandlungstag hinterlässt Fragen und offenbart „Ungenauigkeiten“ bei der Tataufarbeitung. Das Gericht hat drei weitere Termine, um den Sachverhalt zu klären. Die nächste Verhandlung findet am 5. Oktober um 9 Uhr statt.

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