
Zweites Nein für Nationalpark Reichswald
Gegner und Befürworter demonstrierten vor dem Kreistag/ Abgeordnete stimmen gegen Bewerbung
KLEVE. Immer wenn im Kreis Kleve das Wort „Nationalpark“ fällt, fangen die Gemüter an zu kochen. Seit nun fast einem Jahr wird darüber debattiert, ob der Kreistag einer Bewerbung des Klever Reichswaldes um den Titel „Nationalpark“ zustimmen soll. Einmal wurde dieses Vorhaben bereits bei einer Kreistagssitzung im Frühjahr abgelehnt, daraufhin engagierten sich jedoch zahlreiche Bürger und sammelten mehr als 15.500 Unterschriften: Ein Zeichen, dass den Kreistag am Donnerstag zu einer erneuten Abstimmung bewegte.
Auffallend weit voneinander entfernt tummeln sich zwei Gruppen vor dem Kreistag auf der Nassauerallee in Kleve. Die einen mit Warnwesten, großen Plakaten und Traktoren; die Gegner eines möglichen Nationalparks in Kleve. Direkt vor dem Eingang haben sich die Befürworter des Nationalparks postiert, niemand kommt rein oder hinaus, ohne ihre Banner mit dem Schriftzug „Waldschutz = Klimaschutz“ zu sehen. Aufeinander zu geht hier niemand. Zu unterschiedlich sind die Ansichten, dabei geht es allen um dasselbe: den Reichswald zu schützen.
Für die Nationalparkgegner geht es besonders um die befürchteten Einschränkungen für Wanderer, Fahrradfahrer oder Reiter. Silvia Janßen vom Kreispferdesportverband beschreibt das so: „Kommt der Nationalpark, werden die Wirtschaftswege zurückgebaut. Das bedeutet, man darf sich nur noch auf ausgewiesenen Routen bewegen, Hunde müssen angeleint bleiben, und ein freier Ritt mit dem Pferd in der Natur wäre nicht mehr möglich.“ Der Reichswald mit 5.100 Hektar Fläche auf deutscher Seite sei außerdem viel zu klein. „Andere Nationalparks wie der Nationalpark Eifel sind fast doppelt so groß wie der Reichswald. Die Menschen haben also im Vergleich viel mehr Platz auszuweichen und verschiedene Routen zu nehmen“, erläutert Janßen weiter. Dazu komme eine aufwendige Bürokratie sowie viele Kosten, nicht zuletzt um die Regelungen, die in einem Nationalpark gelten, durchzusetzen. „Es wird sehr viele Ranger geben, die umherfahren und den ganzen Tag nichts Besseres es zu tun haben als Bußgelder zu verteilen, wenn sich jemand nicht an die Bestimmungen hält“, sagt Janßen.
Für Max von Elverfeldt, der unter anderem Mitgründer des Vereins „Unser Reichswald“ ist und auch stellvertretend für die Sorgen der Landwirte im Bezug auf einen Nationalpark spricht, ist unklar, wieso der Reichswald überhaupt als Kandidat vorgeschlagen worden ist. „Der Reichswald ist aktuell 85 Prozent Wirtschaftswald. Damit, und weil er für einen Nationalpark eigentlich viel zu klein ist, ist er schon gesetzlich nicht geeignet. Vielleicht wird entschieden, dass diese 5.100 Hektar Fläche erst mal reichen. Aber wir fragen uns: wie lange noch?“ Er befürchtet, dass der Umgebungsschutz sich irgendwann auch auf die umgebenden Flächen und Feldern der Landwirte ausdehnen wird und ihnen damit Land weggenommen werden könnte.
Die Befürworter sehen das anders. „Die Leute, die sagen, dass ein Nationalpark mit vielen Einschränkungen verbunden ist, sollen erst mal einen Nationalpark besuchen“, hört man in der Gruppe vor dem Kreistag. Für sie bestehe der Schutz von Pflanzen und Tieren in der Ruhe, die mit den neuen Regeln einhergehen würde. „Es ist jetzt schon kaum mehr möglich, im Reichswald zu reiten oder Ausflüge zu machen. Mountainbiker und Motorräder machen die Wege kaputt und können nicht belangt werden, weil jeder einfach so in den Wald hinein darf“, sagt Ine van de Kerkhof. Die Niederländerin lebt wenige Kilometer hinter der Grenze, ihr gehe der Reichswald dennoch ans Herz. Besonders große Sorgen mache sie sich über einen möglichen Windkraftpark, der schon länger im Gespräch ist: „Die Eigentümer des Reichswaldes überlegen dort Windräder zu bauen. Und wenn das passiert, sind der Wald und die Tiere erst recht in Gefahr.“ Dann, so van de Kerkhof, müsse man sich auch Gedanken um das im Reichswald verortete Trinkwasser machen. Durch Bodenverdichtungen für die Windkraftanlagen seien diese Wasserquellen ebenfalls gefährdet. Aus diesem Grund sei das von der Gegenseite genutzte Argument, die Trinkwasserversorgung könnte aufgrund eines Nationalparks in der Umgebung Kleve und Goch gestört werden, für die Niederländerin nicht zutreffend. „Sie machen sich Sorgen um ihr Wasser, wollen aber gleichzeitig alles so belassen, wie es jetzt ist, obwohl das wegen der Windkraftanlagen nicht geht. Ein Nationalpark soll aber auch nicht kommen, obwohl die Windanlagen so verhindert werden könnten.“ Weiter entkräften die Befürworter des Nationalparks die Sorge um das Wasser damit, dass eine gesetzliche Verordnung zum „Wasserrecht“ ohnehin die Nutzung des Trinkwassers kontrolliere und eine Versorgung auch mit Nationalpark damit nicht gefährdet sei. „Der Reichswald ist jetzt schon ein sehr artenreicher Wald und sehr wertvoll für Mensch und Tier. Wir brauchen hier einen Ort, der sich ohne Einflüsse von außen frei entwickeln darf“, betont die Kreistagsabgeordnete Ute Sickelmann. Auf die Frage, ob sie eine Prognose zu dem Ergebnis der zweiten Kreistagssitzung zum Thema Nationalpark Reichswald geben könne, antwortet sie pessimistisch: „Ich habe noch nie erlebt, dass die Natur gewonnen hat.“
Tatsächlich stimmten die Abgeordneten erneut mehrheitlich gegen eine Bewerbung zum Nationalpark. Trotzdem gibt es noch Hoffnung für die Befürworter, denn jetzt dürfen die Bürger entscheiden. Bei einer finalen Briefwahl im November dürfen alle Bürger im Kreis Kleve ab 16 Jahren für oder gegen eine Bewerbung des Reichswaldes zum Nationalpark stimmen. Der Bürgerentscheid ist erfolgreich, wenn es unter den gültigen Stimmen mehr „Ja“- als „Nein“-Stimmen gibt und wenn die Anzahl der gültigen „Ja“-Stimmen mindestens 15 Prozent aller Abstimmungsberechtigten beträgt. Die Briefwahl läuft bis zum 11. Dezember. Danach steht das finale Ergebnis.

Einschränkungen im Erholungsgebiet Reichswald möchten die Nationalparkgegner nicht in Kauf nehmen.
Die Befürworter des Nationalparks stellen Umweltschutz vor wirtschaftliche Interessen. NN-Fotos: Rüdiger Dehnen