Wenn Stalking den Alltag bestimmt
Drei Kervenheimer berichten von ihren Erfahrungen mit ständiger Verfolgung
Auf die Frage nach dem Warum hat Anne Brey eine einfache Antwort: verletzter Stolz. „Dieser Mann wollte mich immer haben“, berichtet sie – ein einseitiges Interesse. Seit das Paar zu Anfang einmal von ihrem Stalker mit einer nicht haltbaren Klage wegen Hausfriedensbruch konfrontiert wurde, ging es für die Beteiligten schon zweimal vor Gericht. Eine einstweilige Verfügung gebe es zwar, berichten sie, die helfe im Alltag des Trios aber kaum weiter. „Dagegen ist er angegangen und dann wurde es immer schlimmer“, sagt Anne Brey und fügt hinzu: „Einen Mindestabstand in Metern gibt es nicht, weil er auf der gleichen Straße wohnt. Trotzdem sollten wir gucken, dass wir uns aus dem Weg gehen.“ Trotz des Verbots, Fotos und Videos sowie überhaupt in irgendeiner Form Kontakt aufzunehmen, gehe die Verfolgung weiter – auf unterschiedlichen Ebenen.
„Es ist wie im Film“, sagt Anne Brey. Wenn sie nicht direkt mit dem Auto verfolgt oder mal mehr, mal weniger versteckt belauert und fotografiert werde, sei ihr Stalker offenbar in Kevelaer auf der Suche nach ihr. „Da wir zwei Autos haben, kontrolliert er, welches Auto weg ist“, sagt ihr Mann. Und selbst in den eigenen vier Wänden hört der Spuk nicht auf: Anne Brey erzählt von einem Zettel vor ihrer Haustür, der von einer angeblichen Affäre kündete. „Den geschrieben zu haben, hat er natürlich abgestritten“, erzählt sie. Wieder ein anderes Mal habe es lautstark an den Rollläden geklopft. Nicht nur auf ihren Gemütszustand und den ihres Mannes haben sich die Ereignisse längst hör- und sichtbar ausgewirkt, sondern auch auf den ihres Hundes Happy. „Sie hat schon gar keine Lust mehr, draußen zu laufen“, berichtet Anne Brey. „Das ist einfach kein Leben so. Du wachst auf und denkst: Was passiert heute wieder? Wo steht er jetzt?“
Ähnlich geht es Hans Jürgen Krug. Er kann nicht nur zahllose Anrufe auf seinem Handy vorweisen, sondern auch viele Sprachnachrichten auf seiner Mailbox. Wie Krug erzählt, gehören auch Beleidigungen und Drohgebärden dazu, die er ebenso in direktem Kontakt mit dem Stalker erlebt habe. In den Nachrichten, die Krug im Gespräch beispielhaft abspielt, hört man so einiges: „Eins ist sicher: Ich schreibe alles auf. Wann du da nächtigst, wann du wegfährst, wann sie mit deinem Auto fährt“, sagt eine Männerstimme, ehe sie die angeblichen intimen, „verbotenen Videos“ erwähnt und verspricht, dass diese auch vor Gericht gezeigt würden. „Die zeigen alles. Wirklich alles“, erläutert die Stimme mit Nachdruck. Auch den neuen Anwalt erwähnt sie: „Der ist top.“ Georg Brey will all das nicht mehr hören. „Komm, mach das aus“, sagt er mit ausladender Geste zu seinem Freund. Anrufe, wenn auch mit unterdrückter Nummer – vor Gericht seien diese deshalb nicht zu verwenden – habe auch er schon mehr als genug bekommen.
Ein Ende der Angelegenheit vor Gericht ist für die drei Betroffenen noch immer nicht in Sicht, gleiches gilt für das Stalking. Zumal laut Anne Brey für die Polizei immer wieder Aussage gegen Aussage stehe. Dennoch: Zu unbedachten Aktionen provozieren oder sich gar entzweien lassen, das wollen die drei definitiv nicht. „Wir reden stattdessen offen über alles“, sagt Anne Brey mit kämpferischer Stimme.
Das kann die Polizei tun
Laut de.statista.com gab es 2024 24.743 Fälle polizeilich erfassten Stalkings in Deutschland – ein kontinuierlicher Anstieg seit 2019. Häufig hört man, dass die Polizei bei Stalking-Vorfällen und Drohungen erst dann einschreiten kann, wenn etwas passiert ist. Aber welche rechtliche Handhabe hat die Polizei in solchen Fällen tatsächlich? Was braucht es, damit die Polizei gegen vermeintliche Stalker vorgehen kann?
Eine Anzeige allein reiche nicht, um einen vermeintlichen Stalker dingfest zu machen, erklärt Stefan Sparberg, Polizeihauptkommissar und Pressesprecher der Polizei im Kreis Kleve, auf Nachfrage der NN. „Gerade was den Freiheitsentzug angeht, sind uns klare Grenzen gesetzt. Wir sind natürlich an Recht und Gesetz gebunden.“
Den Sachverhalt erklärt er mit Verweis auf Paragraf 238 des Strafgesetzbuchs (www.gesetze-im-internet.de/stgb/__238.html): Demnach müsse es nicht erst zu Gewalttaten kommen, bevor das (bedrohliche) Verhalten von Stalkern eine Straftat darstellen könne. Entsprechend würden bei Kenntnis über ein solches, die Lebensgestaltung beeinträchtigendes Verhalten – unter anderem wiederholtes Aufsuchen der Nähe einer Person, sei es persönlich oder über verschiedene Mittel der Kommunikation – Strafanzeige aufgenommen und Ermittlungen eingeleitet. „Es muss also nicht erst etwas passieren. Wir ermitteln auf jeden Fall“, sagt Sparberg. „In der Regel werden die Opfer auch durch unseren Opferschutz beraten und Verhaltenshinweise gegeben“, sagt Sparberg.
Aber auch wenn eine 24/7-Überwachung oder dauerhafte Festnahme für die Polizei nicht ohne Weiteres möglich ist: „Das Herausholen aus der Anonymität kann ein Mitteln sein und viel bringen.“ Dazu gehöre immer eine Gefährderansprache: „Dem Tatverdächtigen wird dabei deutlich gemacht, dass wir ihn im Blick haben.“
Für die Gefahrenabwehr stünden der Polizei laut Stefan Sparberg durch das Landespolizeigesetz ebenfalls einige Maßnahmen zur Verfügung – „in konkreten Einzelfällen, wenn der Stalker sich nachvollziehbar, beharrlich in der Nähe aufhält, obwohl bereits Annäherungsverbot besteht.“ So etwas könne zum Beispiel mit einer Ingewahrsamnahme enden – auf richterliche Anweisung auch längerfristig bis zu 14 Tage. Doch auch hier gebe es Grenzen: „Das ist keine Strafe im eigentlichen Sinne. Wir müssen sie irgendwann auch wieder laufen lassen. Das sollte aber in der Regel zeigen, dass der Staat das Verhalten nicht toleriert“, erläutert Sparberg. Lasse der Stalker dann immer noch nicht ab, gehe es schnell wieder vor Gericht: „Ist nach dem Gewaltschutzgesetz eine richterliche Anordnung ergangen, gegen die verstoßen wird, ist das in jedem Fall eine neue Straftat.“ Die mögliche Folge: ein Haftbefehl, gefolgt von Untersuchungshaft und einer möglichen Gefängnisstrafe.
Ganz allgemein rät die Polizei bei Stalking, vor Gericht ein Annäherungsverbot zu erwirken. Wichtig: „Je nachdem, was vorgefallen ist, sollte man diese ‚Annäherung‘ immer dokumentieren.“ Das bedeutet: aufschreiben, wann und wie lange der Stalker was getan hat. „Man darf in solchen Fällen auch ein Foto machen. Das darf man zwar nicht veröffentlichen, aber der Polizei als Beweismittel zur Verfügung stellen, um die Vorwürfe zu dokumentieren.“ Doch so wichtig die Dokumentation, vielleicht sogar mithilfe von Zeugen, auch sei: Unter Umständen stehe immer noch Aussage gegen Aussage.
Potenziell gefährlichen Situationen sollte man laut Stefan Sparberg stets aus dem Weg gehen. Gerate man dennoch allein in eine bedrohliche Situation, „sollte man die 110 anrufen. Wir werden uns bemühen, so schnell wie möglich zu kommen.“
Wie Sparberg erläutert, stehe Stalking häufig in Verbindung mit Trennungen: In solchen Fällen sollte man sich jedoch niemals aus Mitleid auf ein Gespräch einlassen – im Regelfall ermutige das die Stalker nur noch mehr. „Man sollte dem Kontakt klar sagen: ‚Ich möchte keinen Kontakt mit dir. Das ist meine letzte Nachricht an dich. Ich möchte nicht, dass du mich in irgendeiner Weise kontaktierst.‘ Dann sollte man den Kontakt komplett ignorieren und vielleicht die Telefonnummer wechseln.“Stalking hat weitreichende Folgen für die Betroffenen. Foto: The Yuri Arcurs Collection / Freepik