Wenn ich Tränen der Rührung sehe, fühlt sich das richtig an
Seit 25 Jahren spielt Elmar Lehnen (60) die Orgel in der Kevelaerer Basilika
KEVELAER. Eigentlich ist der Gottesdienst, den die polnische Pilgergruppe gerade in der Marienbasilika in Kevelaer gefeiert hat, schon zu Ende. Doch dann kommt eine Pilgerin zum Orgeltisch, drückt Elmar Lehnen einen Notenzettel in die Hand und spricht leise auf ihn ein. Der Organist schaut kurz auf das Blatt, nickt und greift dann in die Tasten. Die Melodie eines polnischen Kirchenliedes erfüllt die Basilika, die überraschte Gemeinde stimmt sofort mit ein. Drei Lieder später ist die Ergriffenheit der Menschen spürbar, deren vertraute Musik den Niederrhein für einige Minuten zu ihrer Heimat gemacht hat.
Minuten später tritt Lehnen aus der Basilika, entschuldigt sich, dass er zum verabredeten Termin zu spät kommt. „Die Gruppe war gar nicht angemeldet, aber wenn die Kirche voll ist, dann spiele ich spontan“, sagt er. Weit hat er es nicht, der Garten seines Hauses, in dem er mit seiner Frau wohnt, grenzt an den Garten des Priesterhauses. Ein mit feinem weißem Kies gestreute Pfad ist Lehnens täglicher Arbeitsweg. „Wenn man so nah an seiner Arbeitsstelle wohnt, kann es schon vorkommen, dass man sehr kurzfristig einspringen muss“, sagt er. Das aber, betont der Organist, gehöre in seinem Beruf dazu. Und wenn er dann, statt im Supermarkt die geplanten Einkäufe zu erledigen, an der Orgel sitzt und die Emotionen spürt, die seine Musik hervorruft, dann macht das auch was mit ihm: „Wenn ich Tränen der Rührung in den Augen der Menschen sehe, die ihre vertrauten Lieder singen, dann fühlt sich das richtig an.“
Was so einfach aussieht, ist das Ergebnis ungezählter Übungsstunden. „Den größten Teil meiner Arbeitszeit verbringe ich mit Üben“, erklärt Lehnen, „das bekommt nur kaum jemand mit. Aber wenn ich nicht jeden Tag mehrere Stunden an der Orgel sitze, dann macht sich das schnell bemerkbar.“ Das geht natürlich nicht immer an der großen Basilika-Orgel, daher hat der Musiker auch zuhause ein Instrument aufgebaut. „Das ist eine 2,80 Meter hohe Pfeifenorgel – die dafür gesorgt hat, dass die Wohnungssuche damals gar nicht so einfach war, als wir nach Kevelaer gezogen sind. Es gibt kaum Wohnungen, die eine passende Deckenhöhe für solch ein Instrument haben“, erzählt Lehnen lachend.
Dass er die Musik zu seinem Beruf gemacht hat, ist vor allen Dingen das Verdienst von Wolfgang Seifen, dem Organisten und Komponisten, den Lehnen als Jugendlicher in seiner Heimatpfarrei in Nettetal-Lobberich kennenlernte und der später Basilika-Organist in Kevelaer war. „Als Kind hatte ich zunächst Klavierunterricht, über meinen Musiklehrer bin ich dann aber zur Kirchenorgel gekommen, wo ich Wolfgang Seifen begegnet bin. Das hat mich damals total fasziniert, ich durfte Konzertreisen begleiten, Chöre dirigieren und einfach alles mitmachen.“ Die Bewunderung für seinen damaligen Lehrer ist Lehnen auch heute noch anzumerken. „Seifen ist nicht nur mein Idol“, gibt er unverblümt zu, „er ist ein Musiker, an dem ich mich Zeit meines Lebens orientiert habe. Er hat Freude an jedem Ton, der gespielt wird, die Begegnungen mit ihm haben mich sehr geprägt.“
Entsprechend groß waren Freude und Überraschung, als eben jener Wolfgang Seifen zum Wallfahrtsende in Kevelaer zu Besuch war, ebenso wie Lehnens fünf Kinder. Schon im Gottesdienst lobte Weihbischof Dr. Stefan Zekorn, ehemals Wallfahrtsrektor in Kevelaer, den Organisten in den höchsten Tönen, gab es minutenlangen Applaus in der Basilika – beim anschließenden Mittagessen wurde Lehnen für sein 25-jähriges Dienstjubiläum geehrt und vom Cäcilienverband ausgezeichnet. „Ich war ehrlich zu Tränen gerührt“, sagt er rückblickend, „nicht nur, weil es eine Ehre für mich war, sondern auch ein Zeichen dafür, dass die Kirchenmusik in Kevelaer sehr geschätzt wird.“ Das sei gerade für die festlichen Liturgien, die in der Wallfahrtsstadt oft gefeiert werden, besonders wichtig. „Es passt einfach zusammen, weil hier alle Beteiligten miteinander arbeiten und die Gottesdienste feiern. Ich muss die Stimmung in der Liturgie tragen und verstärken, dann kann ich mich mit der Musik in die Herzen der Menschen spielen, damit sie offen werden für das Wort.“
Bis zum Ruhestand sind es noch ein paar Jahre hin, doch Lehnen kann schon jetzt auf viele abgeschlossene Großprojekte zurückblicken. Das überaus erfolgreiche Mysterienspiel „Mensch! Maria!“ etwa zum Wallfahrtsjubiläum, das selbst komponierte Magnificat, vor allen Dingen aber die umfassende Restaurierung der großen Seifert-Orgel. „Die Gelegenheit, an einem solchen Projekt an dieser bedeutenden Orgel teilhaben zu dürfen, die ergibt sich nur einmal im Leben“, weiß Lehnen. In Angriff nehmen will er noch die Säuberung der Orgel in der Kerzenkapelle, die besonders stark unter dem Ruß unzähliger Pilgerkerzen zu leiden hat. „Wenn ich in ein paar Jahren in Rente gehe, dann möchte ich meinem Nachfolger die Instrumente renoviert übergeben“, sagt der Organist. Bis dahin wird er aber wohl noch einige Male den Kiesweg von seiner Wohnung zur Basilika gehen, Notenblätter und ein Gebetbuch unter den Arm geklemmt. „Das geht nur, weil meine Frau mich dabei voll unterstützt und immer Verständnis hat, wenn ich kurzfristig alles stehen und liegen lasse, um an der Orgel zu sitzen. Für ihre Unterstützung und die meiner Kinder bin ich sehr dankbar.“
Seit 25 Jahren ist Elmar Lehnen (2. v. l.) der Organist in Kevelaer, ihm gratulierten (v.l.) Wallfahrtsrektor Stefan Dördelmann sowie die Weihbischöfe Rolf Lohmann und Stefan Zekorn, die jeweils vor ihrer Weihe Rektoren der Wallfahrt waren.Foto: Bischöfliche Pressestelle / Christian Breuer