
„Trauer lässt sich nicht greifen“
Herzenswunsch Niederrhein hilft Kindern und Jugendlichen, die einen Verlust verkraften müssen
NIEDERRHEIN. Der Verlust eines Elternteils, eines Bruders oder einer Schwester kann Kindern und Jugendlichen von einem Augenblick zum nächsten den Boden unter den Füßen wegreißen. Von einem Moment auf den anderen ist nichts mehr, wie es war. Mit dem Tod eines geliebten Menschen umzugehen, müssen viele junge Menschen erst lernen – und oft mischt sich in die Traurigkeit auch Wut oder das Gefühl, völlig machtlos zu sein. „Kinder trauern anders als Erwachsene“, weiß Bianca van Hardeveld vom Verein Herzenswunsch Niederrhein, der sich seit einigen Jahren der Trauerbegleitung verschrieben hat. Der vor über 20 Jahren gegründete Verein ist gemeinnützig und wird ausschließlich von ehrenamtlichen Mitarbeitern getragen.
Ein ereignisreiches erstes Halbjahr liegt hinter dem „HW-Team“ und soeben ist die Planung für die kommenden Monate abgeschlossen. Ein Trommelworkshop, Meditation mit Klangschalen und auch ein Anti-Aggressions-Training stehen wieder auf dem Programm. „In den Sommerferien gab es auch eine Ferienfreizeit für unsere Jugendlichen und ein verlängertes Wochenende für die Jüngeren“, erzählt die Vereins-Vorsitzende van Hardeveld. Warum das so wichtig ist? „Weil es den Zusammenhalt stärkt und Vertrauen schafft.“ In diesen Momenten trete die eigentliche Trauerarbeit bewusst in den Hintergrund. Vor allem Jugendliche, die oft früh Verantwortung übernehmen müssen, genießen diese Auszeiten besonders. „Es ist schön zu sehen, wie Freundschaften entstehen und ganz nebenbei intensive Gespräche geführt werden“, sagt sie.
Mut machen – darum geht es auch beim nächsten großen Vorhaben. Im Oktober startet ein Musikprojekt für Jugendliche aus den Trauergruppen mit dem Bocholter Musiker Ralf Rademacher. Ziel: gemeinsam einen Song schreiben und komponieren. Der Titel: „Ein Lied für m-d-ich“ – für „mich, dich und ich“. Neben dem kreativen Prozess steht im Mittelpunkt, anderen Kindern und Jugendlichen zu zeigen: „Du bist nicht allein. Hol dir Hilfe, wenn du sie brauchst.“ Mit ähnlichen Projekten hat der Verein bereits gute Erfahrungen gemacht. Vor zwei Jahren entwickelten Kinder und Jugendliche sogar ein eigenes Theaterstück – mit professioneller Unterstützung. Van Hardeveld ist zuversichtlich, dass auch das Musikprojekt gut ankommt: „Solche kreativen Angebote helfen ungemein beim Verarbeiten der eigenen Gefühle.“
Ganz neu ist eine Gruppe für Kinder, die zwar nicht Mutter, Vater oder Geschwister verloren haben, aber trotzdem trauern – zum Beispiel um die beste Freundin oder die Großeltern, die im selben Haus gewohnt haben. Van Hardeveld erzählt von zwei Brüdern, fünf und sieben Jahre alt, die den Tod ihres totgeborenen Geschwisterchens verarbeiten müssen. „Die Eltern selbst sind tief betroffen und die Kinder nehmen automatisch Rücksicht und zeigen vielleicht nicht immer wie sehr auch sie trauern. Da hilft es, wenn jemand da ist, der nicht zur Familie gehört.“ Gerade der Jüngere könne das „nie mehr“ und „für immer“ noch nicht richtig begreifen. Er trauert anders als sein großer Bruder. Aktuell werden beide noch einzeln begleitet, doch beide Kinder sollen bald in eine der drei festen Gruppen wechseln. Diese Gruppen, die sich regelmäßig in den Vereinsräumen an der Wallstraße 10 in Kalkar treffen, haben nun auch eigene Namen bekommen: Die Kindergruppe heißt „Seelenstärker“, die Jugendlichen treffen sich bei den „Hoffnungslichtern“ und die neue Gruppe nennt sich „Sternenfreunde“. Feste Regeln gibt es für die Aufnahme nicht. „Wir sprechen mit den Kindern und Familien und entscheiden dann individuell, ob und in welcher Form wir helfen können“, sagt die Vorsitzende. Drei Trauerbegleiterinnen und Trauerhelfer unterstützen sie dabei. Ganz bewusst verzichtet der Verein auf Bezahlung und möchte auch die institutionelle Verordnung von Trauerbegleitung nicht fokussieren – um unabhängig zu bleiben. „Sobald es um Diagnosen und Verordnungen geht, wird alles sehr formal. Wir möchten aber flexibel helfen – so lange, wie die Kinder uns brauchen. Das können ein paar Wochen sein oder auch Jahre.“ Das Angebot ist für die Familien komplett kostenlos – dank Spenden und ehrenamtlicher Arbeit.
Beim Verein engagieren sich natürlich nicht nur ausgebildete Trauerbegleiter. Einige Helfer kochen während der Gruppentreffen oder betreuen Info-Stände bei Veranstaltungen. Aktuell sucht das Team noch eine weitere „Koch-Fee“ und ein bis zwei Unterstützer für die Gruppenstunden. Weil Öffentlichkeitsarbeit wichtig ist und oft helfende Hände fehlen, gibt es eine kleine Neuerung: Alle betreuten Familien werden eingeladen einmal im Jahr zwei Stunden mitzuhelfen – etwa beim Waffelverkauf oder am Glücksrad. Mehr ist gar nicht nötig.
„Trauer ist für Kinder und Jugendliche ein Gefühl, das sich nicht greifen lässt und sie müssen noch lernen, mit ihrer Trauer umzugehen“, sagt van Hardeveld. Mal ziehen sie sich zurück, mal werden sie laut und fordern Aufmerksamkeit. Das sei kein Fehlverhalten, sondern Ausdruck innerer Unsicherheit. Alle Kinder, die zukünftig zur Trauerbegleitung bei uns sind, werden mit einem Werkzeugkasten oder Schatztruhe ausgestattet. Dort können sie alles aufbewahren, was sie in der Einzelbegleitung oder in der Gruppe als „Werkzeug oder Schatz gegen Trauer“ selber gebastelt oder vom Verein erhalten haben. Eltern, Erzieher, Lehrer – sie alle sollten ein Gespür dafür entwickeln, dass hinter der Wut oder dem Rückzug meist tiefer Kummer steckt. Genau dafür gibt es auch den Eltern-Stammtisch beim Verein. Hier können sich die Erwachsenen austauschen und gegenseitig Kraft geben. Und wer als Bezugsperson Rat sucht oder an einem Vortrag interessiert ist , kann sich ebenfalls jederzeit ans HW-Team wenden.
Infos zum Verein findet man im Netz unter https://herzenswunsch-ndrh.de. Wer helfen möchte oder Hilfe benötigt, wendet sich an Bianca van Hardeveld, Telefon 01516/ 5625815 oder Trauerbegleitung.Niederrhein@outlook.de.

Bianca van Haderveld ist Vorsitzende des Vereins. Foto: privat
Alle Kinder werden mit einem Werkzeugkasten oder Schatztruhe ausgestattet. NN-Foto: Rüdiger Dehnen