VdK-Kreisverbandsvorsitzender Horst Vöge sorgt sich vor allem um die Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum. Foto: privat
13. August 2024 · Niederrhein

Steigende Armut bei Jung und Alt

Der VdK-Kreisverband Niederrhein wächst zwar weiter, die Sorgen aber auch

NIEDERRHEIN. Die Mitgliederzahlen des VdK-Kreisverbandes am Niederrhein steigen weiter. Ein uneingeschränkter Grund zur Freude ist das für den Sozialverband aber nicht. „Die Verweildauer im VdK wird immer kürzer. Vor fünf oder sechs Jahren war der Solidargedanke noch weiterverbreitet als heute. Mittlerweile wird der VdK als Dienstleistungsgesellschafter gesehen. Dementsprechend wird die Dienstleistung in Anspruch genommen und kurz darauf gekündigt“, sagt Kreisverbandsgeschäftsführerin Svenja Weuster. Die Dienstleistung sei im Falle des VdK die Rechtsberatung, mit deren Hilfe viele Mitglieder Nachzahlungen gerichtlich erstreiten. Wenn jemand mit einem Verfahren in den VdK eintrete, bleibe er währenddessen zwischen drei und vier Jahre im Verband. Danach folge meist die Kündigung.

Dennoch wuchs der Sozialverband bis zum 31. August dieses Jahres auf insgesamt 31.781 Mitglieder an. 13.864 davon leben im Kreis Wesel, 8.722 im Kreis Kleve. Auf die Stadt Duisburg entfallen 9.195 Mitglieder. „In den ersten sieben Monaten des Jahres 2024 waren es schon mehr als 800 Neumitglieder. Das macht aktuell einen monatlichen Durchschnitt von 167 Neuaufnahmen pro Monat. Das wird sich bis zum Ende des Jahres auch so fortsetzen“, sagt Weuster.

Die Hauptthemen bei der Rechtsberatung seien zurzeit die Erwerbsminderungsrente, Schwerbehinderung, Pflegekasse, Krankenkasse und Berufsgenossenschaft. „Besonders der Bereich Pflege wird immer stärker“, sagt Weuster. Hier zeige sich die Angst vieler Menschen, wenn sie Hilfe in der Pflege bräuchten. „Deshalb haben wir zurzeit sehr viele Pflegeverfahren, die wir betreuen“, sagt Weuster. 647.495 Euro konnte der VdK 2023 für seine Mitglieder an Nachzahlungen in diesem Bereich erstreiten. Auf alle Bereiche gesehen waren es insgesamt sogar 4,5 Millionen Euro.

Etwa 100.000 pflegebedürftige Personen gebe es im Verbandsgebiet (im Kreis Kleve 23.000; im Kreis Wesel 39.000). „Der Eigenanteil bei der vollstationären Pflege beträgt 3.200 Euro im Monat. Das kann man nicht schultern. Das ist der unmittelbare Weg in die Armut“, betont Kreisverbandsvorsitzender Horst Vöge. Mit 86 Prozent werde jedoch der große Anteil der Pflegebedürftigen zu Hause gepflegt. Dabei sei jeder fünfte Haushalt armutsgefährdet. „Der VdK fordere deshalb eine steuerunterstützte Pflegevollversicherung. Denn die Pflege von Angehörigen darf nicht zur Pflegearmut führen“, sagt Vöge. Auch einen Rechtsanspruch auf Tages-und Kurzzeitpflegeplätze solle es geben.

Besorgniserregend sei jedoch auch die demographische Entwicklung bei den Pflegekräften. „Das wird sich in den nächsten Jahren, wenn ein Großteil von ihnen in Rente gehen wird, noch weiter zuspitzen“, sagt Vöge. Allgemein sei im Bereich Gesundheit eine starke Verunsicherung bei den Mitgliedern zu spüren. „Zahlreiche gesetzliche Krankenversicherungen haben oder werden ihre Zusatzbeiträge – zum Teil kräftig – erhöhen. Gleichzeitig wird es für die Versicherten immer schwieriger, zeitnahe Termine zu erhalten oder überhaupt Ärzte zu finden“, sagt Vöge.

Die Krankenhausreform, die der VdK eigentlich begrüße, fände jedoch unter dem gefühlten Ausschluss der Bevölkerung statt. „Dabei ist ein großes Thema diesbezüglich ja auch, welche gesundheitliche Versorgung man in der Zukunft noch haben wird, ob man sich im ländlichen Raum darauf verlassen kann, optimal versorgt zu werden und wie es mit der Notfallversorgung weitergeht“, ergänzt Vöge. Eine wirkliche Lösung sei noch nicht gefunden. Klar sei aber, dass vor allem im ländlichen Raum – insbesondere im Kreis Kleve und im Norden des Kreises Wesel – schon jetzt Hausärzte und medizinische Mitarbeiter fehlen würden. NRW-weit seien es etwa 1.000 Hausärzte und 11.000 medizinische Mitarbeiter. Eine Gesetzesvorlage plane jedoch eine Verlagerung zu den Hausärzten und dem medizinischen Personal.

Dietmar Hohmt, stellvertretender Kreisverbandsvorsitzender des VdK Niederrhein, sorgt sich derweil vor allem um die wachsende Armut im Land. „20.7 Prozent der Menschen in Duisburg sowie den Kreisen Kleve und Wesel sind von Armut bedroht. Sie haben weniger als 1.233 Euro im Monat zur Verfügung“, sagt Hohmt. Im Kreis Kleve seien 4.700 Personen und im Kreis Wesel 6400 Personen auf eine staatliche Grundsicherung im Alter angewiesen. Besonders traurig sei auch, dass die Kinderarmut im Kreis Kleve mittlerweile bei elf Prozent und im Kreis Wesel bei 15.5 Prozent liege. „Die Auswirkungen von Kinderarmut sind verheerend: Schlechte Ernährung, keine vernünftige Kleidung, geringe Bildungschancen und häufig der Ausschluss von sozialer Teilhabe. Dabei sind Kinder unsere Zukunft. Kinder müssen eine echte Perspektive fürs Leben erhalten“, fordert Hohmt. Der Sozialverband VdK befürchte jedoch, dass die Hilfe gegen Kinderarmut in Berlin versanden werde. Bei einem Fehlbetrag von 1,6 Milliarden Euro im Haushalt des Landes Nordrhein-Westfalen werde es in sozialen Bereichen wahrscheinlich auch zu erheblichen Streichungen kommen. „Die Sozialpolitik ist zugegeben schon sehr kompliziert. Es gibt da aber keine schwarz-weiß-Politik. Wir brauchen dringend einen gewissen Kontext und Hilfe“, sagt Hohmt.

Horst Vöge betont unterdessen, dass der Sozialverband zwar kein politisches Gremium sei, aber mit der Politik im Gespräch sein wolle. „Wir müssen problemorientiert Lösungen finden. Nicht alle Theorie ist grau“, meint Vöge. Dazu möchte der Kreisverbandsvorsitzende auch die Kommunen mit ins Boot holen: „Bei ihnen muss einmal ein Kassensturz gemacht werden. Sie müssen aufzeigen, was sie noch erfüllen können und wo sie Unterstützung brauchen.“ Denn die Kommunen seien schon längst an der Grenze des für sie Machbaren angelangt. Sabrina Peters

VdK-Kreisverbandsvorsitzender Horst Vöge sorgt sich vor allem um die Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum. Foto: privat