
Mehr Respekt für Einsatzkräfte
Wegen steigender Übergriffe haben Schüler des Friedrich-Spee-Gymnasiums eine Kampagne gestartet
Nachdem sie durch einen Artikel in der „Zeit“ auf das Thema aufmerksam geworden waren, vertieften die Schüler es mit einer Umfrage in der Stadt Geldern. So zeigte sich unter anderem, dass die Mehrheit der Befragten positive Erfahrungen mit Einsatzkräften gemacht hat und zwei Drittel von deren Arbeit überzeugt sind. „Das bedeutet aber auch, dass ein Drittel nicht zufrieden ist“, sagen die Schüler. Auch seien viele der Befragten davon überzeugt, dass nicht wenige Mitbürger respektlos gegenüber Einsatzkräften seien. Nicht nur haben die Gymnasiasten daraufhin ihre Kampagne gestartet. Um offene Fragen zu klären, luden sie gleich verschiedene Gäste zu einem Austausch an die Schule ein.
„Die Übergriffe haben tatsächlich zugenommen“, sagte Dr. Daniela Lesmeister, die früher nicht nur selbst Polizeibeamtin war, sondern als Leiterin der Abteilung 4 – Polizei im Ministerium des Inneren des Landes NRW von 2017 bis 2022 auch Chefin von 57.000 Polizisten in NRW. Welche Ausmaße das Problem annehmen kann, verdeutlichte sie an einem Fall in Duisburg-Marxloh, wo einmal die Räder eines Rettungswagens aufgestochen und ein anderes Mal sogar abmontiert worden seien. Bei Einsatzkräften hören die Entwicklung aber offenbar nicht auf. So sei zu beobachten, dass selbst Mitarbeiter der Verwaltung, etwa des Straßenverkehrsamts, öfter angegangen werden würden.
Dass die Mitarbeiter des Ordnungsdiensts manchmal auf Widerstand stoßen, berichtete auch Gelderns Bürgermeister Sven Kaiser. „Zum Glück hatten wir aber noch keine tätlichen Übergriffe.“ Gegenüber der Feuerwehr zum Beispiel handle die Bevölkerung vor Ort nach wie vor sehr respektvoll. Ähnlich sei die Situation in Kevelaer, sagt Bürgermeister Dr. Dominik Pichler. „Was Gewalt gegen die Feuerwehr angeht, haben wir derzeit zum Glück kein Problem.“
Als Leiter der Feuerwehr in Geldern kann André Bardoun zwar ebenfalls nicht von Übergriffen gewalttätiger Natur berichten, neben Beleidigungen sei jedoch auffällig, dass die Menschen keinen großen Bogen mehr um Einsatzstellen machen würden. „Heute sind sie mit der Kamera dabei, machen Fotos und stellen Fragen. Und wenn man nicht antwortet, wird penetrant nachgebohrt.“ Es gebe sogar Fälle, in denen es um Menschenleben gehe und Nachbarn dennoch dazu aufforderten, leiser zu sein. „Wir werden nicht gerufen, wenn nichts ist“, stellte er klar. Seine Vermutung angesichts der sinkenden Hemmschwelle: „Die Bevölkerung wirkt gestresster. Es fehlt zunehmend die Geduld.“
Einen etwas größeren Überblick brachte Christoph Gerwers als Landrat mit ein, als er aus seiner Perspektive von vermehrter Gewalt gegen Einsatzkräfte berichtete. Hier schränkt er dennoch etwas ein: „Im Kreis Kleve sind wir nicht so weit, wie es vielleicht in Großstädten der Fall ist. Aber auch hier fängt es an.“ Wenn es soweit komme, reiche die Spanne von Beleidigungen bis hin zu Schlägen und Tritten. Erklären könne er sich diese Entwicklung aber nicht. Auch Pichler ist sich da nicht sicher. „Je nachdem, wen man fragt, bekommt man unterschiedliche Antworten.“
Beide wiesen aber auf eine Unterscheidung hin: „Die Polizei kommt ohnehin meist dann, wenn Konflikte auftreten“, sagt Gerwers. Entsprechend komme es häufiger bei ihr zu Zwischenfällen, zumal auch Drogen oft eine Rolle spielten. Inwiefern sich die Grenzen dennoch zum Negativen zu verschieben scheinen, untermauerte Gerwers mit ein paar Zahlen. Habe es im Kreis Kleve 2021 94 tätliche Angriffe gegen Vollstreckungsbeamte gegeben, sei die Zahl 2022 auf 100 gestiegen. Bis Ende November 2023 habe es 89 Vorfälle gegeben, jedoch sei die Statistik noch nicht ganz abgeschlossen.
Michael Ermers, Dienstgruppenleiter der Polizeiwache in Geldern, arbeitet bereits seit 33 Jahren als Polizeibeamter, dementsprechend ist ihm Widerstand nicht fremd. Dass etwaige Vorfälle einem bestimmten Milieu zugeschrieben werden können, kann er allerdings nicht bestätigen. „Respektlosigkeiten, Beleidigungen oder Angriffe kommen überall vor. Herkunft, Alter und Geschlecht sind dabei egal.“ Ursachen sieht er vor allem im Alkohol, Drogen und psychischen Erkrankungen. Traurig findet er, wie alltäglich all das geworden sei. „Eine Kollegin erzählte mir kürzlich, dass sie Beleidigungen gar nicht mehr richtig wahrnimmt.“
Auch Polizeirat Björn Mölleken beobachtet eine nachteilige Entwicklung in vielen Teilen der Gesellschaft und spricht vor allem von einer verstärkten Ich-Bezogenheit. „Es würde uns allen guttun, wenn wir mehr miteinander sprechen und aufeinander Acht geben.“ Er verweist darauf, dass die Regeln in der demokratischen Gesellschaft dem Allgemeinwohl dienen würden und das Zusammenleben vereinfachen und stärken sollen. „Dazu gehört, dass man seine eigenen Bedürfnisse manchmal hinten anstellt und Rücksicht nimmt.“
Video online
Voranbringen möchten die Schüler ihre Kampagne unter anderem mit Plakaten, Einkaufs-Chips und einem selbstgedrehten Video. Abrufbar ist es unter fsggeldern.de. Bei den Gästen kam das Engagement ausnahmslos hervorragend an. Alle Anwesenden haben daher ihre Bereitschaft bekundet, die Kampagne als Multiplikatoren zu unterstützen: zum Beispiel über die eigenen Social-Media-Kanäle, die Videoleinwände der Stadt Geldern und über eine Einladung zur Präsentation am „Tag der offenen Tür“ der hiesigen Feuerwehr. Thomas Langer
Dieses Plakat haben die Gymnasiasten gestaltet. Foto: privat
Verschiedene Experten kamen zur Gesprächsrunde in das Friedrich-Spee-Gymnasium. Foto: Langer