„Frieden entsteht, wenn wir Verantwortung teilen“
Buchvorstellung zu Menno ter Braak stößt auf großes Interesse
KLEVE. Mehr als 50 Gäste kamen ins Euregio-Forum, um die Präsentation der erstmals auf Deutsch erschienenen Ausgabe von Menno ter Braaks Essay „Nationalsozialismus als Rankünelehre“ zu erleben. Die Veranstaltung war Teil des deutsch-niederländischen Interreg-Projekts „Gedenken, Nachdenken, Handeln / Herdenken, Bezinnen, Handelen“ und zeigte eindrucksvoll, wie eng historische Analyse und heutige demokratische Herausforderungen miteinander verwoben sind.
Zugleich war die Buchvorstellung in Kleve – ebenso wie das Buch selbst – eine deutliche Warnung vor dem Erstarken des Nationalpopulismus und unterstrich die Bedeutung einer aktiven grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, wie sie im Euregio-Raum täglich gelebt wird. Das zugrunde liegende Werk des niederländischen Publizisten Menno ter Braak stammt aus dem Jahr 1937 – ein Text, der die nationalsozialistische Ideologie nicht in erster Linie politisch, sondern psychologisch deutet: als Ausdruck eines tief sitzenden Grolls, gespeist aus Kränkung, Neid und Ressentiment. Fast neun Jahrzehnte später wirkt diese Diagnose erstaunlich gegenwärtig. Genau aus diesem Grund wurde die damals entstandene Übersetzung von Albert Vigoleis Thelen, ergänzt durch ein Vorwort des niederländischen Autors Bas Heijne, nun erstmals veröffentlicht. Ter Braaks Essay, das bereits 1937 entstand und damit drei Jahre vor seinem Tod geschrieben wurde, liegt nun zum ersten Mal in deutscher Sprache vor – und löst seit Erscheinen im Jahr 2025 breite Diskussionen aus.
Zu Beginn der Veranstaltung bot der Künstler Martin Lersch, der auch das Buchcover gestaltet hat, eine eindrucksvolle Lesung aus dem Originaltext. Seine Auswahl machte deutlich, wie klar ter Braak bereits 1937 die emotionale Logik autoritärer Bewegungen beschrieb. Im Anschluss führte Daniel Boumanns, Historiker aus Kleve, in die gesellschaftliche und politische Relevanz des Essays ein. Er hob hervor, dass ter Braaks Analyse eine kaum bequeme Wahrheit benennt: die menschliche Fähigkeit zu Missgunst, Neid und Feindseligkeit – Kräfte, die politische Entwicklungen bis heute prägen. Die Demokratie sei zwar nicht frei von solchen Emotionen, aber sie ermögliche, sie zu erkennen, einzuhegen und korrigierbar zu machen. Gerade das mache sie so wertvoll. Der Politikwissenschaftler Siebo Janssen stellte das Werk anschließend in einen größeren historischen Rahmen. Er erinnerte an die Hoffnungen der 1920er Jahre, etwa an die Verträge von Locarno, die eine friedlichere europäische Zukunft möglich erscheinen ließen. Zugleich warnte er vor aktuellen Entwicklungen: Hass, Irrationalität und politisch motivierte Ranküne fänden heute wieder breiten Raum – in Deutschland, den Niederlanden und weltweit. Entscheidend sei daher, sich aktiv für eine offene und freiheitliche Gesellschaft einzusetzen. Wie ter Braaks Gedanken im Unterricht aufgegriffen werden können, zeigte Franziska Frankfurth vom Freiherr-vom-Stein-Gymnasium. Gemeinsam mit Schülern des Stedelijk Gymnasium Nijmegen entstanden deutsch-niederländische Lernprojekte, die politische Bildung grenzüberschreitend stärken. Eine musikalische Einlage von Martin Lersch setzte einen stimmungsvollen Akzent.
Die anschließende Diskussion zeigte, wie sehr der Text die Besucher bewegt. Zahlreiche Fragen drehten sich um die Ursachen von politischem Groll, um den Umgang mit populistischen Strömungen und die Rolle der Demokratie im digitalen Zeitalter. Die lebhaften Wortmeldungen verlängerten den Abend weit über die geplante Zeit hinaus. Moderator Josef Gietemann, Vorsitzender der Vereinigung für Kultur und Wohlfahrtspflege Kleve, betonte in seinem Beitrag, wie aktuell ter Braaks Analyse sei. Der Begriff „Ranküne“, im deutschen Sprachraum kaum noch gebräuchlich, beschreibe eine Form des Grolls, die aus sich selbst heraus zerstörerisch wirkt. „Dieses Grundgefühl ist nicht verschwunden“, erklärte Gietemann. Umso wichtiger sei eine Institution wie die Euregio, „denn nur wenn Nachbarn sich kennen und schätzen, entsteht Frieden“.
Organisiert wurde die Buchvorstellung von der Vereinigung für Kultur und Wohlfahrtspflege Kleve und der Stichting voor Cultuur en Solidariteit aus Nijmegen – unterstützt durch das Interreg-Programm Deutschland–Nederland und kofinanziert von der Europäischen Union. Die Veranstaltung verdeutlichte, wie politische Bildung, historische Reflexion und grenzüberschreitende Zusammenarbeit miteinander verbunden werden können. Zum Abschluss sagte Gietemann: „Frieden entsteht, wenn wir Verantwortung teilen. Ter Braaks Text erinnert uns daran, wie wichtig Wachsamkeit und Dialog bleiben.“ Die Buchvorstellung bestätigte eindrucksvoll, wie relevant der fast 90 Jahre alte Essay heute wieder ist – und wie notwendig die gemeinsame Verteidigung liberaler Demokratie bleibt.
Bei der Buchvorstellung (v.l.): Nils Looschelders, Siebo Janssen, Franziska Frankfurth, Daniel Boumanns, Heidi de Ruiter, Martin Lersch, Josef Gietemann und Willem van het Hekke. Foto: Markus van Offeren