
„Der Wandel ist da“
Zum Ende ihrer Friedhofsgärtnerei blicken Klaus und Maria Nielen zurück auf die Veränderungen in der Friedhofskultur
Grabgestaltung, Grabpflege, Rückschnitt von Gehölz, Reinigungsarbeiten, Kundenservice und Verkauf im Blumenladen: Nur ein paar Beispiele für die breitgefächerte Arbeit, um die sich die Friedhofsgärtnerei Nielen wie viele andere in ihrer Branche gekümmert hat. Aber so überraschend es klingen mag, ihre Kunden waren teils über die ganze Welt verstreut. „Malaysia, Spanien, die USA, Kanada, Belgien“, Klaus Nielen könnte noch viel mehr Länder aufzählen. „Es sind alles Klever, die ausgewandert sind“.
Die Angelegenheiten ihrer Angehörigen mussten sie dennoch jemandem in ihrer alten Heimat anvertrauen. Das Ehepaar Nielen wollte diesem Vertrauen stets nach Kräften gerecht werden und lernte so ganz automatisch zahlreiche Charaktere auf persönlicher Ebene kennen. Im Gespräch mit beiden wird deutlich, dass sich ihr Alltag nicht einfach nur um Dienstleistungen drehte. Immer wieder ging es auch darum, Trost zu spenden, Wünsche zu erfüllen, für Würde zu sorgen.
Die auf diese Weise entstandene Nähe – zu den Hinterbliebenen wie auch zu den Verstorbenen – und die damit einhergehenden Emotionen und Erfahrungen werden den beiden auch im Ruhestand noch lange erhalten bleiben, da ist sich Maria Nielen sicher. „Dahinter steckt immerhin eine Menge Herzblut und viele Lebensgeschichten.“
Der Wandel setzt sich fort
Mit der Übergabe der Dauergrabpflegeverträge über die Rheinische Treuhandstelle an einen Kollegen hat das Ehepaar vor wenigen Tagen den letzten großen Schlussstrich gezogen. Aber der Wandel in der Friedhofskultur geht weiter, so viel steht fest. Maria und Klaus Nielen erleben es seit vielen Jahren an verschiedenen Stellen. „Zu Anfang haben wir uns um circa 500 Gräber gekümmert, heute hat sich die Anzahl um einiges reduziert“, sagt Klaus Nielen. Das habe mehrere Gründe. Viele Menschen zögen heute häufiger an andere Orte, während viele der Älteren ihren Angehörigen nicht zur Last fallen wollten. Daher laufe es immer häufiger auf pflegeleichtere Bestattungsformen hinaus: Urnengräber, Rasenbestattungen, Baumbestattungen, Friedwälder.
Das alles macht sich außerdem bei den Friedhofsbesuchen bemerkbar. Vor allem an den einschlägigen Gedenktagen seien die Friedhöfe heute deutlich leerer als früher. „Heute kommen die Leute einfach früher oder später“, sagt Klaus Nielen. Seine Frau ergänzt: „Die Grundeinstellung im westeuropäischen Bereich hat sich dahingehend gelockert.“ Bei den Osteuropäern oder den Menschen aus der Türkei sei das weniger zu beobachten. Hier hätten die Gedenktage nach wie vor einen hohen Stellenwert. „Hier herrscht generell eine andere Friedhofskultur“, das sehe man auch an den Grabstätten.
Tatsächlich zögen sich die Veränderungen sogar bis zu den verschiedensten Akteuren durch die ganze Bestattungsbranche, berichtet das Ehepaar Nielen. Ein Beispiel: Der Wegfall des Sterbegelds hat die finanzielle Bestattungsvorsorge schon länger zur Privatsache erhoben. Dadurch und weil die Grabflächen immer häufiger kleiner ausfallen, stehen Geldgaben oder Spenden bei Bestattungen heute höher im Kurs als Grabschmuck wie großformatige Kränze. Das wirke sich laut Maria Nielen direkt auf die Auftragslage der Floristen aus. „Der Wandel ist da: Sie arbeiten in kleinerem Format und haben damit unterm Strich weniger zu tun. Die Leute brauchen heute einfach weniger“, fasst sie zusammen. In der Wertschöpfungskette setze sich das weiter fort, bis zu Zulieferern wie den Herstellen der Kranzschleifen.
Bei ihrer eigenen Zunft sieht Familie Nielen aber noch weitere Herausforderungen. Eine davon ist die Konkurrenz durch Friedwälder. Hier ist die Arbeit der Gärtner naturgemäß nicht mehr gefragt. Aber auch beim Thema Nachwuchs werde es nicht leichter. „Man ist bei Wind und Wetter draußen, das hindert viele, den Beruf zu ergreifen“, sagt Klaus Nielen.
Ein weiteres Stichwort: Grabsteine. „Noch um 1908 herum sind in Kleve echte Kunstwerke entstanden.“ Klaus Nielen kann sich dazu noch gut an die thematischen Führungen aus den 60er Jahren erinnern. „Aber so eine Handwerkskunst hat man heute nicht mehr.“ Kreativität sei zwar nach wie vor noch zu sehen, aber eher in einem gewissen Rahmen, in dem die Grabsteine einander immer noch ähnelten.
Dennoch sind die alten Denkmäler bis heute erhalten geblieben und werden sogar sinnvoll eingebunden: In ihrem Schatten werden nämlich, zumindest in Kleve, Gemeinschaftsgräber angelegt – neben den Partnergräbern einer der aktuellen Trends in der Bestattungskultur, sagen die Nielens. Das erfülle den Wunsch nach leichter Pflege und erhalte gleichzeitig einen Anlaufpunkt, um den Verstorbenen zu gedenken. Für das Beispiel Kleve kann das Ehepaar noch eine andere große Veränderung bezeugen: Durch die sinkende Zahl größerer Sarggräber und generell vermehrter Freiflächen habe der Friedhof zunehmend an Parkcharakter gewonnen. Viele der Anwohner wüssten ihn daher als Erholungsort für sich zu nutzen – oder sogar als Treffpunkt. Selbst Geschichtsführungen würden hier hin und wieder noch organisiert. Man sieht also: in den Friedhöfen des Landes steckt mehr, als es den Anschein hat.
Im Gespräch hört man schnell heraus, wie schwer es Maria und Klaus Nielen fällt, ihr Geschäft aufzugeben. „Es ist sehr emotional für uns und tut auch weh“, da sind sich beide einig. Und trotzdem haben sie nun ungewohnte Möglichkeiten, die sie definitiv nutzen wollen: Klaus Nielen plant, seine beruflichen Fähigkeiten im privaten Hochbeet einzusetzen. „Ich werde versuchen, eigene Erdbeeren, Salat und Zucchini zu ziehen.“ Auch für seine Modelleisenbahnen bleibe nun mehr Zeit – oder für einen spontanen Trip an die See.
Maria Nielen möchte nebenbei zwar noch einige Gräber betreuen, freut sich aber trotzdem darauf, endlich die neue Hollywoodschaukel einzuweihen, die ihr Mann ihr geschenkt hat. „Wir werden die schönen Momente genießen und das Wort ‚muss‘ aus unserem Wortschatz streichen.“ So haben die beiden nun ein neues Lebensmotto für sich etabliert: „Alles darf, nichts muss!“Klaus und Maria Nielen blicken zum Ende ihres Arbeitslebens auf die Veränderungen in den letzten Jahrzehnten. NN-Foto: Rüdiger Dehnen