Reinhold Kohls stößt die Diskussion um ein MVZ an. NN-Foto: vs
28. März 2025 · Bedburg-Hau

„Das Modell der Zukunft“

Hausarzt Reinhold Kohls will seine Praxis aufgeben, hat aber auch eine Idee, wie es weitergehen kann

BEDBURG-HAU. Im ehemaligen Tertiarinnenkloster in Goch gibt es seit Januar ein Medizinisches Versorgungszentrum in Trägerschaft der Stadt. Knapp zwei Millionen Euro hat die Kommune in das Ärztehaus investiert. „Eine gute Work-Life-Balance ist wichtig“, weiß Reinhold Kohls, seit 1989 Hausarzt in Bedburg-Hau, was heute für viele Menschen Priorität hat und bald auch für ihn gelten soll. Zum 1. Juli will der 67-Jährige seine Praxis schließen, um mehr Zeit für seine Enkelkinder zu haben. Einen Nachfolger findet er nicht. Für die ärztliche Versorgung vor Ort stünden somit nur noch zwei Hausarztpraxen zur Verfügung. „Als ich angefangen habe, waren es noch fünf“, sagt Kohls, der aktuell um die 4000 Patienten versorgt. Die Lösung des Problems liegt für ihn allerdings auf der Hand: Die Gemeinde soll sich ein Beispiel an Goch nehmen und ein MVZ gründen.

Es geht um geregelte Arbeitszeiten, flexibles Arbeiten in Anstellung, auch in Teilzeit, und vor allem geht es um Entlastung in Sachen überbordende Bürokratie. „Die bringt vor allem auch meine Mitarbeiter an ihre Grenzen“, sagt Kohls. Hinzu käme, dass den meisten jungen Medizinern das wirtschaftliche Risiko einer eigenen Praxis zu hoch sei. Auch die langfristige Bindung an einen Standort schrecke viele ab. Vier Mal war Kohls bei der „Landpartie“ der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein und des Kreis Kleve dabei. „Ich hätte sofort einen Arzt anstellen können, aber eine Praxis übernehmen? Das wollte keiner.“ Ein MVZ in kommunaler Trägerschaft könnte da Abhilfe schaffen und ist aus seiner Sicht „das Modell der Zukunft“. Kohls wäre bereit, seinen Arztsitz an das MVZ abzutreten und würde dann auch gern weiter als Hausarzt arbeiten. Nur eben als Angestellter, in Teilzeit und ohne das unternehmerische Beiwerk, das mit seinem eigentlichen Beruf nichts zu tun hat. „Das fängt bei der Lohnabrechnung an und hört beim Kopierpapier nicht auf“, sagt Kohls, der mittlerweile sogar einen Nachmittag in der Woche allein die Stellung hält, um sein Personal nicht zu überfordern. Die Kommune ist seiner Meinung nach auch deshalb der perfekte Träger, weil sie nicht auf Profit aus ist. „Da steht die Versorgung der Menschen im Mittelpunkt“, sagt er.

Seit 2015 erlaubt das Versorgungsstärkungsgesetz Kommunen, ein MVZ zu betreiben. Vorher war das nur Vertragsärzten, Krankenhäusern und Dialyseträgern möglich. Als Trägerform können Kommunen für das MVZ die Anstalt öffentlichen Rechts (AöR), den Eigenbetrieb, die GmbH oder die Genossenschaft wählen. Geleitet wird das MVZ von einem Arzt, der in medizinischen Fragen weisungsfrei handelt. So schreibt es der Gesetzgeber vor. Mit Bürgermeister Stephan Reinders hat Kohls sich in der vergangenen Woche getroffen und ihm seinen Vorschlag unterbreitet. „Es war ein sehr gutes Gespräch“, sagt Kohls: „Er sieht das Problem und scheint prinzipiell nicht abgeneigt.“ Allerdings habe Reinders auch eingeräumt, dass man sehen müsse, was „politischer Wille“ sei. Für Kohls ein klarer Auftrag. „Den politischen Willen formt ja der Bürger – und der steht schlimmstenfalls bald ohne Hausarzt da“, sagt er. Um das einfach mal grundsätzlich zu klären, hat er eine Unterschriftenaktion gestartet. Wer unterschreibt, ist dafür, dass Kohls als Angestellter weiter arbeitet. Bislang liegen die Listen nur in seiner Praxis aus, „aber immer mehr Leute fragen, ob sie mein Anliegen auch in ihrem Umfeld unterstützen dürfen.“ Zu viel Druck möchte Kohls nicht machen, aber die Zeit drängt, denn ohne eine verbindliche Perspektive setzt er sich zur Ruhe. „Meine Angestellten wollen auch zeitnah wissen, ob sie sich eine neue Stelle suchen müssen und meine Patienten müssten sich dann auch einen neuen Hausarzt suchen“, sieht er sich in der Pflicht, Fakten zu schaffen. Das fordere auch seine Familie. „Meine Enkelkinder sind jetzt zwischen eineinhalb und sieben Jahren alt und ich möchte diese Zeit nicht verpassen“, sagt er. Auch der plötzliche Tod eines guten Freundes Anfang des Jahres bestärke ihn darin, den wirklich wichtigen Dinge in seinem Leben mehr Platz einzuräumen. Kürzer zu treten und etwa nur noch Privatpatienten zu behandeln, ist für ihn keine Alternative. „Das entspricht nicht meinen Vorstellungen“, sagt er. Schließlich habe er sich für den Beruf entschieden, weil er helfen wolle. Auch den Kassenpatienten. Bestenfalls übrigens ganzheitlich auf Basis der Naturheilkunde und ohne (allzu große) Unterstützung der Pharmaindustrie. Akupunktur, Kneipp-Kuren und Bioresonanz gehören für ihn dazu. „Ich bin sehr dankbar für diese andere Sichtweise auf die Medizin“, sagt er und würde seinen reichen Erfahrungsschatz auch gern weitergeben an den oder vielleicht sogar die Kollegen im MVZ. „Ich muss aber auch nicht zwingend mitmachen“, stellt er klar, dass die Gemeinde natürlich auch andere Ärzte anstellen könne. Für ihn ist am wichtigsten, dass alle versorgt sind.

„Ich nehme das sehr ernst“, sagt Bürgermeister Reinders und verweist darauf, dass man im Rathaus stets bereit sei, Ärzte bei einer Praxisgründung zu unterstützen. Mit Blick auf ein MVZ könne man aber nichts übers Knie brechen. „Da gibt es eine klare Vorgehensweise“, sagt er und will „die Politik mit ins Boot holen“. Man müsse darüber reden und gemeinsam eine Lösung finden. „Wir werden uns bemühen, aber so etwas geht nun einmal nicht von jetzt auf gleich.“

Reinhold Kohls stößt die Diskussion um ein MVZ an. NN-Foto: vs