
Claudia Lindlahr über ihre Ziele
Emmerichs neue Bürgermeisterin spricht im Interview über ihre Schwerpunkte in den nächsten Jahren
Frau Lindlahr, wie war der Wahlabend für Sie und wie geht es Ihnen nach dem doch sehr knappen Ergebnis?
Claudia Lindlahr: Der Wahlabend war tatsächlich ausgesprochen spannend. Es war ein Auf und Ab der Gefühle. Am Ende, als ich dann, wenn auch sehr knapp, gewonnen hatte, war ich unglaublich erleichtert. Jetzt bin ich im Moment damit beschäftigt, alles sacken zu lassen.
Inwiefern denken Sie, wird Ihnen Ihre Erfahrung als Diplom-Verwaltungsbetriebswirtin in Ihrem neuen Amt helfen?
Lindlahr: Mit diesem Titel habe ich mir erarbeitet, dass ich die Verwaltung sehr gut kenne. Ich bin seit über 30 Jahren in der kommunalen Verwaltung tätig und habe mit dem Eintritt in den gehobenen Dienst den Abschluss als Diplom-Verwaltungsbetriebswirtin erworben. Damals konnte man zwischen verschiedenen Fachrichtungen wählen – ich habe mich bewusst für den betriebswirtschaftlichen Zweig entschieden, weil er mich besonders interessierte. Diese Kenntnisse helfen mir auch heute: Sie bedeuten, dass ich haushälterische Zusammenhänge von Grund auf verstehe. In Köln habe ich viele Jahre einen Finanzbereich geleitet und weiß daher sehr genau, wie Haushaltsplanung, Controlling und unterjährige Bewirtschaftung funktionieren. Dieses Wissen ist für die Arbeit als Bürgermeisterin von großem Vorteil.Bereiten Sie sich irgendwie auf das Bürgermeisteramt vor? Kann man das überhaupt?
Lindlahr: (lacht) Das ist eine gute Frage. Ich bin ja seit über 30 Jahren im öffentlichen Dienst tätig, als Kommunalbeamtin mittlerweile im höheren Dienst. Seit zwei Jahren bin ich jetzt in der Kommunalverwaltung im Emmericher Rathaus tätig, leite hier den Fachbereich Jugend, Schule und Sport. Dadurch, dass die Verwaltung in Emmerich nicht so groß ist, lernt man die einzelnen Sparten durchaus gut kennen. In meiner derzeitigen Führungsrolle arbeite ich jetzt schon sehr eng mit den dazugehörigen Beigeordneten zusammen und kenne daher die Schnittstellen, die Knackpunkte und die gewachsenen Strukturen schon recht gut. Ich weiß im Grunde, wo man ansetzen muss und das ist ein elementarer Vorteil. Natürlich arbeite ich mich weiterhin in einzelne Fachgebiete tiefer ein, habe aber bereits jetzt einen sehr guten Gesamtüberblick. Das ist mein Vorteil: Ich brauche einfach nicht so lange wie jemand, der etwas völlig anderes getan hat, bevor er Bürgermeister wurde. Ich brauche die Strukturen und die grundsätzlichen Wege nicht mehr zu lernen. Ich bin in der Lage, recht zügig Gesetzestexte zu erfassen. Das ist etwas, was ich grundlegend gelernt habe.
Wie starten Sie in Ihr neues Amt? Was möchten Sie als erstes angehen?
Lindlahr: Mein Start wird bewusst niederschwellig sein. Ab November möchte ich allen rund 400 Mitarbeitenden der Stadtverwaltung die Möglichkeit geben, mich persönlich kennenzulernen. Das halte ich für eine wichtige Grundlage, um Vertrauen aufzubauen. Denn nicht alle kennen mich und ich kenne auch nicht alle. Schritt für Schritt möchte ich so eine Arbeitskultur fördern, die von einem guten, aber auch zielorientierten Miteinander geprägt ist.
Im Rat sitzen künftig 46 Personen plus der Bürgermeisterin. Alle eint das Ziel, für Emmerich etwas zu erreichen. Damit das gelingt, brauchen wir klare Spielregeln für die Zusammenarbeit. Wichtig ist mir außerdem noch, eine gute Nachfolge für meine derzeitige Funktion als Fachbereichsleiterin zu finden.
In unserem Steckbrief haben Sie zuletzt ja schon einige Punkte erwähnt, wo Sie mit Emmerich langfristig hinmöchten. Einer der Punkte war eine lebendige Innenstadt und eine solide wirtschaftliche Entwicklung. Haben Sie hierzu schon konkrete Pläne oder Ideen, wie Sie das angehen wollen bzw. wie man das angehen könnte?
Lindlahr: Für die wirtschaftliche Entwicklung ist ein offener Austausch unverzichtbar. Schon im Wahlkampf habe ich zahlreiche Unternehmen besucht – kleine, mittelständische und große –, um ihre Bedarfe direkt vor Ort kennenzulernen. Um Emmerich attraktiv und lebendig zu halten, braucht es Arbeitsplätze, Ausbildungsangebote und eine enge Zusammenarbeit zwischen Verwaltung und Wirtschaft. Das ist für mich Chefsache, und ich werde den direkten Kontakt weiter pflegen.
Ich bin überzeugt, dass hier ein Kreislauf entsteht: Wenn Unternehmen Arbeitsplätze bieten, ziehen Familien und Fachkräfte nach Emmerich. Diese benötigen verlässliche Kinderbetreuung und eine gute Schulinfrastruktur und bringen zugleich Kaufkraft in die Stadt. Das wiederum stärkt den Einzelhandel und trägt mittelbar dazu bei, Leerstände zu verringern. Klar ist aber auch: Solche Entwicklungen brauchen Zeit und geschehen nicht von heute auf morgen.
Ein großes Problem sind die vielen Leerstände in privater Hand. Oft gehören die Immobilien Eigentümern, die gar nicht in Emmerich leben und deshalb wenig Interesse daran haben, ihre Gebäude zu vermieten oder zu sanieren. Vermieten bedeutet Aufwand und im Zweifel auch Investitionen.
Um hier Bewegung hineinzubringen, braucht es Kommunikation; aber auch Anreize. Über das ISEK 2035 hat die Stadt beispielsweise ein Fassadenprogramm aufgelegt. Eigentümer können darüber Zuschüsse erhalten, um ihre Fassaden instand zu setzen. Häufig führt dieser erste Schritt dazu, dass auch innen renoviert wird, sodass Leerstände wieder nutzbar werden. Gleichwohl glaube ich nicht, dass Emmerich noch einmal eine klassische Einkaufsstadt wird. Wir müssen neue Wege finden, die Innenstadt lebendig zu gestalten.
Schulen und Kitas waren ein anderer Ihrer Schwerpunkte: Was planen Sie für die Schullandschaft?
Lindlahr: In der Schullandschaft ist derzeit das Thema Ganztag wieder sehr präsent. Ab 2026 sind wir gesetzlich verpflichtet, für jedes Kind sukzessive ab der ersten Klasse einen Ganztagsplatz bereitzustellen. Dafür braucht es vor allem Raum und wir haben bereits damit begonnen, Schulen dort zu erweitern, wo Flächen fehlen. Aber es geht nicht nur um Quantität. Entscheidend ist auch, geeignete Träger zu halten und zu finden, die ein tragfähiges Konzept anbieten. Ganztag ist nicht allein eine Frage von Plätzen, sondern ebenso von Qualität.
Sie erwähnten im Steckbrief auch, dass es für die Umsetzung der Ziele tragfähige Finanzen brauche: Wie sieht aktuell die Finanzlage in Emmerich aus und welche Möglichkeiten sehen Sie, die Finanzlage noch tragfähiger zu machen, um Ihre Ziele umzusetzen?
Lindlahr: Ich sehe hier mehrere Stellschrauben. Zum einen fehlt es in meinen Augen an einem tragfähigen Controlling-System, sowohl im Finanz- als auch im Fachcontrolling. Ein solches System ist in dieser Form bislang nicht flächendeckend vorhanden. Damit wäre künftig besser erkennbar, wo man steuern oder gegensteuern muss. Ein Beispiel: Wenn im Haushaltsplan zu viele Mittel angemeldet werden, die am Ende gar nicht benötigt werden, muss das frühzeitig sichtbar werden, um Entwicklung zu erkennen und in der nächsten Planungsperiode zu berücksichtigen.
Zum anderen müssen wir unsere Einnahmesituation stärken, dies beispielhaft durch die Gewerbesteuer. Damit sind wir wieder bei der Wirtschaft, die für Emmerich von zentraler Bedeutung ist. Ebenso wichtig ist ein professionelles Fördermittelmanagement. Fördermittel eröffnen die Chance, zusätzliche Projekte zu finanzieren, erfordern aber fast immer einen Eigenanteil. Das ist keine Aufgabe, die man nebenbei erledigen kann, sondern eine, die dauerhaft installiert werden muss. Wenn uns das gelingt, sind wir auf einem sehr guten Weg.
Um die gesteckten Ziele zu erreichen, wollen Sie ja ebenfalls mit der gesamten Stadtgesellschaft zusammenarbeiten. Wie soll diese Zusammenarbeit aussehen? Gibt es diesbezüglich Dinge, die Sie ändern möchten oder anders machen möchten als Ihr Vorgänger?
Lindlahr: Stadtgesellschaft umfasst für mich alle, die in Emmerich leben, arbeiten oder die Stadt besuchen. Entscheidend ist, diese unterschiedlichen Gruppen mitzunehmen – ob Unternehmer, Besucher oder Bürgerinnen und Bürger mit ganz konkreten Anliegen. Solange man nicht miteinander ins Gespräch kommt, bleibt der tatsächliche Bedarf unklar. Deshalb braucht es Austausch und Zusammenarbeit, um die Stadt gemeinsam weiterzuentwickeln.
Also wollen Sie ein offenes Ohr für alle Gruppen haben?
Lindlahr: Das ist grundsätzlich meine Haltung. Ich bin durchaus ein kommunikativer Mensch. Ich habe vor zwei Jahren einen Fachbereich im Rathaus übernommen, der diese Art von Miteinander auch erst einmal neu leben lernen musste. Das hat sehr gut funktioniert. Aber es funktioniert nur, wenn man auch offen bleibt.
Vielleicht lässt sich das erst später wirklich beantworten, aber: Rechnen Sie damit, dass das neue Amt Ihr Privatleben sehr umkrempeln wird? Stehen Familienleben und Freizeit nun vor sehr großen Veränderungen oder halten sich die Veränderungen voraussichtlich in Grenzen?
Lindlahr: (lacht) Die Veränderungen habe ich in den vergangenen Monaten schon deutlich gespürt. Bürgermeisterin zu sein ist ein 24/7-Amt. Man ist immer in dieser Rolle, und das darf man nicht unterschätzen. Umso wichtiger ist es, bewusst Freiräume zu schaffen und diese auch für die Partnerschaft zu bewahren.
Ich habe immer sehr gerne gearbeitet und empfinde vieles nicht nur als Arbeit, sondern als Teil meines Lebens. Natürlich wird sich manches verändern, doch darauf kann man sich einstellen, wenn man vorher offen darüber spricht. Das habe ich getan. Ich lebe mit meinem Partner zusammen, wir haben keine eigenen Kinder, aber viel Familie mit kleinen Kindern um uns herum. Wir haben die Belastungen und Veränderungen gemeinsam bedacht, und für mich gehört genau das zu einer Partnerschaft: dass beide den Weg mitgehen. Dafür bin ich ihm sehr dankbar. Er hat die letzten Monate mit mir unglaublich stark und selbstverständlich mitgetragen.Claudia Lindlahr ist Emmerichs neue Bürgermeisterin. Foto: privat