Sie erläutern den Gesundheitsreport 2024, von links: Dr. Volquart Stoy, Referent Steuerung und Versorgungsentwicklung der AOK Rheinland/Hamburg, Pascal Wieners, Leiter Regionales Gesundheitsmanagement der AOK Kleve-Wesel, und Manrico Preissel, Regionaldirektor der AOK-Regionaldirektion Kleve-Wesel. NN-Foto: Kerstin Kahrl
12. August 2024 · Kevelaer

Bei Hausärzten droht eine Unterversorgung

AOK Rheinland/Hamburg stellt Gesundheitsreport 2024 für den Kreis Kleve vor

KREIS KLEVE. Mit dem Gesundheitsreport 2024 legt die AOK Rheinland/Hamburg eine umfangreiche Faktensammlung zur Gesundheits- und Versorgungssituation im Kreis Kleve vor. Der Schwerpunkt des aktuellen Reports liegt auf Versicherten mit chronischen Erkrankungen. Im Kreis Kleve sind rund 90.000 Menschen bei der AOK Rheinland/Hamburg versichert. „Die Ergebnisse sind eine fundierte und wertvolle Grundlage für Diskussionen rund um die Versorgung in den Regionen“, sagt Manrico Preissel, Regionaldirektor der AOK Kleve-Wesel.

Die Faktensammlung offenbart eine bittere Erkenntnis für den Kreis Kleve: die unzureichende Anzahl an Haus- und Fachärzten verschärft viele der erkannten Probleme. Eine Besserung ist in absehbarer Zeit nicht in Sicht. Der ländliche Bereich sei in Konkurrenz zu den Großstädten nach wie vor für junge Mediziner nicht attraktiv genug, so Manrico Preissel.

Herzerkrankungen

9,5 Prozent der Kreisbevölkerung ab 30 Jahre leiden an einer koronaren Herzkrankheit (KHK). Von ihnen nehmen nur etwa 41 Prozent an einem strukturierten Behandlungsprogramm (DMP) teil. 57 Prozent erhalten ausreichend empfohlene Medikamente. Im Kreis Kleve ist es bei 7,7 Prozent der Versicherten mit einer KHK innerhalb von sechs Jahren zu einem Herzinfarkt gekommen. Das entspricht dem rheinlandweiten Durchschnitt. Im Kreis Kleve leiden 8,6 Prozent der AOK-Versicherten ab 50 Jahren an Vorhofflimmern. Bei dieser Herzrhythmusstörung schlägt das Herz unregelmäßig und häufig zu schnell. Dadurch können Blutgerinnsel entstehen, die die Gefahr für Schlaganfälle erhöhen. Im Mittel des Rheinlandes ist bei 6,8 Prozent der Betroffenen innerhalb von sechs Jahren ein Schlaganfall durch ein Blutgerinnsel ausgelöst worden. Im Kreis Kleve sind die Zahlen bedenklich: 23 Prozent mehr Versicherte als im Durchschnitt sind betroffen.

Durch die Einnahme gerinnungshemmender Medikamente könnten etwa zwei Drittel der blutgefäßbedingten Schlaganfälle verhindert werden. Nur 63 Prozent der Risikopatienten im Kreis Kleve werden ausreichend mit diesen Medikamenten versorgt. Das ist die niedrigste Quote im gesamten Rheinland. Die beste Quote hat Krefeld mit 70 Prozent.

Eine weitere Möglichkeit, das Vorhofflimmern zu behandeln ist die Katheterablation. Dabei werden mittels feiner Elektrodenkatheter krankhafte Erregungsherde oder Leitungsbahnen zerstört. Im Betrachtungszeitraum von sechs Jahren belegte der Kreis Kleve mit dem Wert von 1,0 Prozent Anteil an dieser Behandlungsmethode den letzten Platz. Obwohl die Katheterablation mittlerweile „state of the art“ sei, so Dr. Volquart Stoy, Referent Steuerung und Versorgungsentwicklung der AOK Rheinland/Hamburg.

Diabetes-Erkrankte

Der Bericht untersucht auch die Versorgungssituation bei Typ-2-Diabetikern. Jede zehnte Erwachsene im Kreis Kleve ist daran erkrankt. Nur 67 Prozent der betroffenen Kreisbevölkerung nehmen am strukturierten Behandlungsprogramm (DMP) teil. Unter allen Kreisen und kreisfreien Städten des Rheinlandes ist das der geringste Anteil. Nur knapp die Hälfte der Betroffenen hat Medikamente in ausreichender Menge gegen dieses Erkrankung erhalten. Im Kreis Kleve hat die Erkrankung bei nahezu jeder dritten Person bereits Gefäße oder Nerven dauerhaft geschädigt. In vielen Fällen wären diese Folgeerkrankungen durch einen gut eingestellten Blutzucker und Blutdruck vermeidbar, so die Schlussfolgerung im Gesundheitsreport.

Ambulante Versorgung

In der hausärztlichen Versorgung droht im Kreis Kleve in den nächsten Jahren eine Unterversorgung. Derzeit liegt der Versorgungsgrad im Kreis Kleve unter 100 Prozent (Geldern 98,7 Prozent, Goch 95,7 Prozent, Emmerich 91,6 Prozent, Kleve 87,4 Prozent, Kevelaer 85,1 Prozent). 83 Prozent der Behandlungsfälle finden in einer Praxis statt, die von der Wohnung der Versicherten mit dem Auto innerhalb von 15 Minuten Fahrtzeit erreicht werden kann.

Dringend benötigt werden Kinderärzte im Kreis Kleve. Da sie zu den Fachärzten gehören, berechnet die Kassenärztliche Vereinigung ihre Verteilung kreisweit und nicht für jede Kommune einzeln. Derzeit gibt es in Goch keinen Kinderarzt. Eltern müssen längere Anfahrtswege in eine andere Kommune in Kauf nehmen. In 81 Prozent der Kontakte war die Praxis mit dem Auto innerhalb von 20 Minuten Fahrzeit zu erreichen. Da wundert es nicht, dass „fast 30 Prozent der Behandlungsfälle von Kindern und Jugendlichen im Kreis Kleve in einer Hausarztpraxis durchgeführt“, wie Pascal Wieners, Leiter des Teams Gesundheitsmanagement bei der AOK Kleve-Wesel, berichtet. „In Emmerich und Rees beträgt der Anteil sogar 50 Prozent.

In Goch zeigt sich möglicherweise ein Silberstreif am Horizont. Hier könnte ein Kinderarzt in einem medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) integriert werden, so Manrico Preissel.

Notfallversorgung

Außerhalb der Öffnungszeiten der Arztpraxen steht den Patienten der Bereitschaftsdienst der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein zur Verfügung. Dieser ist inzwischen flächendeckend in sogenannten Portalpraxen direkt an Krankenhäusern eingerichtet. Im Zentrum der Auswertungen steht die Frage, warum Menschen in diesem Zeitraum zur Behandlung ins Krankenhaus gehen und nicht den vertragsärztlichen Notdienst aufsuchen.

Während der Öffnungszeiten der Portalpraxen gab es im Kreis Kleve durchschnittlich 15 Notfälle je 100 Versicherte. Mehr als die Hälfte davon (56,3 Prozent) wurden in den Notfallambulanzen der Krankenhäuser behandelt. Die Trennung zwischen ambulanter und stationärer Versorgung im Notfall-Bereich sei für die Betroffenen verwirrend, so Erkenntnis im Gesundheitsreport. Im Notfall brauchen sie eine zentrale Anlaufstelle, die für die richtige Behandlung sorgt. Im Kreis Kleve wurden ein Fünftel mehr ambulante Notfälle im Krankenhaus behandelt als im Durchschnitt.

Notfälle werden in Krankenhäusern oft stationär aufgenommen werden. Am häufigsten unter allen Kreisen und kreisfreien Städten kam dies mit 15,6 Prozent der Fälle im Kreis Kleve vor. Mit einem Anteil von 44,7 Fällen je 1.000 Versicherte steht der Kreis Kleve auch bei den potenziellen Fehlbelegungen an der Spitze der Rangliste.

Vorsorgeuntersuchungen

Wie der Report zeigt, ist bei der Nutzung von Vorsorgeuntersuchungen zur Früherkennung von Krebserkrankungen bei Männern und Frauen deutlicher Verbesserungsbedarf. Bekanntlich lassen sich mit der frühzeitigen Entdeckung von Krebserkrankungen deren Heilungschancen deutlich verbessern. Vielleicht würden mehr Patienten diese Vorsorge-Angebote nutzen, wenn sie schneller einen Termin beim Haus- oder Facharzt bekämen.
Eine erschreckende Erkenntnis des Gesundheitsreports ist: „Der sozioökonomische Status eines Patienten hat maßgeblichen Einfluss auf den Verlauf chronischer Erkrankungen. Bei Beziehern von Bürgergeld ist im Gegensatz zu Arbeitnehmern die Wahrscheinlichkeit, bei einer chronischen Nierenerkrankung dialysepflichtig zu werden, um 76 Prozent höher. Auch das Risiko für Akutereignisse wie Schlaganfall (+45 Prozent) und Herzinfarkt (+38 Prozent) ist deutlich höher.
Kerstin Kahrl

Sie erläutern den Gesundheitsreport 2024, von links: Dr. Volquart Stoy, Referent Steuerung und Versorgungsentwicklung der AOK Rheinland/Hamburg, Pascal Wieners, Leiter Regionales Gesundheitsmanagement der AOK Kleve-Wesel, und Manrico Preissel, Regionaldirektor der AOK-Regionaldirektion Kleve-Wesel. NN-Foto: Kerstin Kahrl