Johanna ist fassungslos: Ihre Krankenkasse erhielt eine Rechnung über 3.500 Euro für Leistungen, die nie erbracht wurden. NN-Foto: Rüdiger Dehnen
5. September 2025 · Kleve

„Aber der ließ nicht locker...“

Johanna ist 75 und einem Telefonbetrug zum Opfer gefallen, jetzt möchte sie andere warnen

NIEDERRHEIN. „Ich habe immer gedacht: Mir kann das nicht passieren.“ Und dann ist es doch passiert. Johanna ist 75 Jahre alt und wusste gleich, nachdem sie aufgelegt hatte: Da stimmt etwas nicht. „Wissen Sie, das ging alles so schnell“, sagt sie. Nach einer unruhigen Nacht bat sie per E-Mail um Löschung ihrer Daten. Keine Reaktion. Auch der Versuch per Telefon scheiterte: Der Teilnehmer ist nicht erreichbar. „Da war für mich klar, dass ich einem Telefonbetrug zum Opfer gefallen bin“, sagt sie.

Professionell wirkende Täuschung

„Der Anruf kam aus Mönchengladbach“, weiß Johanna, die früher am Empfang einer großen Firma gearbeitet hat. „Ich achte auf solche Dinge und mache mir beim Telefonieren stets Notizen“, sagt sie. Das sitzt so drin. Der Anrufer, ein Mann, der seinen Namen nicht genannt und sich als „Alltagsassistent“ ausgegeben hat, erzählte ihr, dass es seit Januar ein neues Gesetz gebe und ihr pro Jahr nun 400 Euro „Verhinderungspflege“ zustünden. Man könne sich darum kümmern und ihre Ansprüche geltend machen. Johanna leidet seit Jahren an einer seltenen Form der Nervenkrankheit ALS. „Manchmal fällt mir das Laufen schwer und ich habe Schmerzen in den Gliedern“, sagt sie. Das Angebot: verlockend.

Zwei Anrufe, ein Betrug – so schnell ging’s

„Der Mann sagte mir, es würde sich ein Kollege melden und das weitere Vorgehen besprechen“, erzählt Johanna und breitet ihre Notizen aus. Keine fünf Minuten später meldete sich ein „Christian Schneider“, ebenfalls mit Mönchengladbacher Vorwahl. „Die haben nebeneinander gestanden“, ist Johanna mittlerweile überzeugt. Er schickte ihr eine E-Mail mit einem Link und bat um eine Unterschrift. Johanna zögerte, „aber der ließ nicht locker“, sagt sie und ärgert sich: „Ich kann es einfach nicht fassen, dass ich nicht hellhörig geworden bin.“

Ihr Lebensgefährte, der das Telefonat mit wachsendem Interesse verfolgt hat, schüttelte den Kopf, riet davon ab und bat Johanna, nicht zu unterschreiben. „Der „Herr Schneider“ hat immer weiter gedrängt und auf den ersten Blick sah das Schreiben professionell aus“, rechtfertigt sich Johanna. Im Briefkopf: eine Firma aus Bremen. „Da habe ich später auch angerufen, aber es ging niemand ans Telefon“, sagt sie. Sie habe sich unter Druck gesetzt gefühlt und schließlich unterschrieben. „Die E-Mail habe ich sofort ausgedruckt, aber das Dokument hinter dem Link war gleich wieder weg.“

Der Schock: 3.500 Euro für nie erbrachte Leistungen

Nach den gescheiterten Bemühungen, den Vertrag rückgängig zu machen, hakte Johanna bei ihrer Krankenkasse nach. Dann die Gewissheit: „Da war bereits eine Rechnung über 3.500 Euro eingegangen.“ Aufgelistet waren Leistungen nach Paragraph 39 SGB XI, der die häusliche Pflege bei Verhinderung der Pflegeperson regelt. 70 Stunden zu je 50 Euro sollen geleistet worden sein. „Die wurden definitiv nicht erbracht“, sagt Johanna und bezweifelt zudem, dass es sich bei der Unterschrift unter der Rechnung um das digitale Original handelt. „Das „a“ schreibe ich ganz anders“, sagt sie.

Ob nun kopiert oder gefälscht, fest steht: Mehr als die beiden kurzen Anrufe hat es nicht gegeben. „Die Mitarbeiterin der Krankenkasse war ganz perplex, als ich gesagt habe, die dürften das auf gar keinen Fall bezahlen“, erinnert sich Johanna. Doch man glaubte ihr, legte den Vorgang auf Eis. „Ich habe dann gleich die Polizei informiert und Anzeige erstattet“, erzählt Johanna und zeigt ihre Fallnummer. Drei Polizeibeamte seien gleich nach ihrem Anruf zu ihr nach Hause gekommen und hätten sich alles notiert. Mehr sei aber bislang nicht geschehen.

„Ich will nicht, dass andere auch reinfallen“

„Das ist jetzt gut vier Wochen her“, sagt Johanna. „Ich habe nochmal nachgehakt, aber da sagte man mir, die zuständige Sachbearbeiterin habe noch Urlaub und ich müsse Geduld haben“, hat Johanna zwar Verständnis für personelle Engpässe, befürchtet aber auch, dass in der Zwischenzeit weitere Senioren dem Betrug zum Opfer fallen. „Ich habe alle meine Freunde und älteren Nachbarn informiert und sie vor dieser Betrugsmasche gewarnt, aber mit einem Zeitungsartikel erreicht man natürlich noch viel mehr Menschen“, ist es Johanna ein Anliegen, ihren Fall publik zu machen.

„Vielleicht kann man verhindern, dass noch mehr Leute darauf hereinfallen“, hofft die 75-Jährige. Ihren Nachnamen möchte sie nicht veröffentlicht sehen. Es ist ihr peinlich. „Ich kenne ziemlich viele Menschen und ich möchte nicht, dass man denkt, ich wäre dumm“, gibt sie offen zu. „Es ist jetzt nun mal passiert und mehr als meine Geschichte erzählen, kann ich nicht tun.“

Polizei warnt: „Diese Masche ist neu und gefährlich“

„Diese Masche ist noch neu – zumindest im Kreis Kleve“, sagt Kriminalhauptkommissar Joachim Verhoeven von der Abteilung Kriminalprävention und Opferschutz der Kreis-Polizei und spricht von „Sozialleistungsbetrug“. Er sagt auch: „Es ist sehr mutig von Johanna, das zu erzählen.“ Er weiß, dass viele Opfer schweigen. Aus Scham. Dabei sei es wichtig, das Thema immer wieder ins Bewusstsein zu rücken.

Aktuell nimmt die Zahl der betrügerischen Anrufe im gesamten Kreisgebiet stark zu. Allein am vergangenen Sonntag wurden über 100 Betrugsversuche bei der Leitstelle gemeldet. Doch wie kann man sich schützen?

Betrugsmasche rechtzeitig erkennen

„Das ist zwar nicht schön, aber ältere Menschen sollten bei Anrufen grundsätzlich misstrauisch sein. Ganz gleich, ob sich ein angeblicher Polizeibeamter oder ein Bankmitarbeiter meldet“, sagt Verhoeven. Generell gilt:

– niemals unter Druck setzen lassen

– keine sensiblen Daten am Telefon preisgeben

– bei Unsicherheit auflegen und zurückrufen

– mit Familie und Freunden darüber reden

„Ältere Angehörige sollte man immer wieder darauf ansprechen“, rät Verhoeven Kindern und Enkelkindern. „Die Täter suchen sich gezielt Opfer mit „älter“ klingenden Namen aus, weil sie auf die Vertrauensseligkeit der Senioren setzen“, weiß Verhoeven. Eben die sei das größte Problem. „Das nutzen die Betrüger schamlos aus“, sagt er. Die beste Reaktion in so einem Fall: „Sofort auflegen und die Polizei alarmieren!“

Prävention muss ankommen – bevor es zu spät ist

Verhoeven verweist auch auf die zahlreichen Präventionsschulungen, die von der Polizei angeboten werden. „Leider erreichen wir damit immer noch zu wenig Menschen und häufig auch nur diejenigen, die ohnehin an diesen Themen interessiert und entsprechend sensibilisiert sind“, bedauert Verhoeven.

Ein Tipp für Angehörige: Unter https://kleve.polizei.nrw/ findet man weitere Infos und Flyer zum weiten Feld des Telefonbetrugs. Die vielleicht einfach mal ausdrucken und neben das Telefon legen!

Johanna ist fassungslos: Ihre Krankenkasse erhielt eine Rechnung über 3.500 Euro für Leistungen, die nie erbracht wurden. NN-Foto: Rüdiger Dehnen