Made in Geldern

T minus 22. Der Countdown läuft. Im Turm wird geschafft – aber anders als in den letzten Wochen: Das Turmstipendium ist auf der Zielgeraden. Noch 22 Stunden bis zur Eröffnung. Es geht um die finale Inszenierung. Aus Vergangenheit wird verschwindende Gegenwart. Das ist die Kunst.
Seit dem 1. August haben Daniela Baumann, Christian Krieter und Jelke Reems gearbeitet. Die Arbeit vor dem Ziel ist eine andere. Es geht jetzt darum, das Geschaffene zu präsentieren und in der Suche nach der Form liegt schon eine Suche nach dem Loslassen – nach dem Abschied. Was in der Zeit des Stipendiums entstand, ist „Made in Geldern“.
Sie würden alle noch gern bleiben, haben sich und den Raum gefunden und haben aus den Fragen Antworten gemacht. Kunstwerke sind Problemlösungsansätze – mindestens. Und auch, wenn noch nicht alles fertig ist, ist schon klar: Baumann, Krieter und Reems sind ein starker Jahrgang, einer, der sich im Gegensätzlichen ergänzt. Man darf nicht vergleichen. Man darf feststellen: Das Trio hat den Ort ins Arbeiten integriert. Natürlich geschieht das in jedem Jahr, aber man hat selten ein derart starkes Zusammenspiel empfunden. Da sind drei am Werk, die keine Geschenke verteilen, sondern Mitdenken einfordern. Man darf konstatieren: Der Turm ist mehr als ein Ort. Er wird – jedes Jahr aufs Neue – zur Gedankenzentrifuge, zur Gegengewichtsmaschine. Das zeigt sich gleich in der ersten Etage, wo Jelke Reems am Rande der Zerbrechlichkeit ein Innenleben von Turm und Landschaft inszeniert hat. Man soll Bilder nicht beschreiben. Reems‘ Arbeit entsteht erst im Nachglühen auf der Netzhaut der Gedanken und setzt sich fort in den Bildern von Christian Krieter. Gerade ist er dabei, die Titel für die Bilder anzubringen. Die Botschaft: „Titel müssen.“ Sie sind die Botschaft außerhalb der bespielten Fläche. Was Krieter gemalt hat, wirkt wie aus einem Guss: Bilder aus einem aufrechterhaltenen Gedanken, die, obwohl sie nur das Rund der Wand besetzen, die ganze Fläche in Beschlag nehmen, weil sie irgendwie ins Denken eingreifen.
Dann: Zwei Baumann-Etagen. Zeichnungen, die sich ins Hirn brennen, Installationen, Objekte – eine Inszenierung des Raums. Der Raum hat diktiert und hat das Diktat mit Ideen belohnt. Baumann hat sich auf den Dialog eingelassen wie die anderen aus dem Trio und es ist spannend zu sehen, wie Raum und Atmosphäre in die Arbeit eingegriffen haben. Die drei haben, gleich nachdem sie angereist waren, ihre Claims abgesteckt und wenn man (T minus 21) ein letztes Mal durch die werdende Präsentation geht, steht fest: Alle haben sich genau richtig entschieden. Die Präsentation: Eine Verdichtung zur Spitze hin – eine, die etwas Wunderbares schafft: Man steigt nach oben und hat das Gefühl, dass die Gedanken anwachsen, dass man im Zeitraffer das Stipendium durchmisst. Alles wächst Richtung Dach.
Und dann das Wunder: Auf dem Rückweg, denkt man, müsste doch die Spannung nachlassen: Man hat‘s doch gesehen. Aber irgendwie wird plötzlich klar, dass sich, was man sieht, auch im Abwärts verdichtet, dass die Kopfnote zur Fußnote wird, das Finale zum Präludium und dass da ein Trio sehr besondere Spuren gelegt hat, die draußen, wo nichts mehr stattfindet, im Kopf explodieren. Plötzlich begreift man, dass Reems‘ Bebauungen in der ersten Etage eine Art Psychogramm von Raum und Zeit anbieten: Made in Geldern. Ihre Arbeit saugt alle Kraft aus dem Gedanken, dass Kunst erst im Hirn des Betrachters Auferstehung feiern kann. So wirft man – fast unbemerkt – einen Blick ins eigene Denken und findet – längst hat man den Eingang in Richtung draußen durchschritten – im Kopf die Erinnerungen an die Rest-Etagen wieder, schreitet die Einsamkeiten in Krieters Bildern ab, schwärzt die Gedanken an Bücherbrandruinen von Daniela Baumann und genießt am Schluss die Sonne vor dem Turm.
Es bleibt ein starker Jahrgang – einer, der das Draußen nur innen inszeniert und dabei doch eine Gesamtbelichtung geschafft hat.
Die Ausstellung ist noch bis zum 9. September, jeweils samstags und sonntags zwischen 11 und 17 Uhr oder nach Absprache (Telefonnummer 02831/1563)zu sehen.

Vorheriger ArtikelVerbindendes in der Kultur betonen und ausbauen
Nächster ArtikelUnfallverursacher flüchtete unerkannt