EMMERICH. Eine Bühne in der Pausenhalle eines Gymnasiums, geschmückt in schlichtem schwarz. Nur eine große rote Flagge, auf der drei scharfkantige Balken eine schwarze Welle auf weißem Untergrund darstellen, thront über allem. Schüler tragen einheitlich weiße Hemden, einer von ihnen eine rote Armbinde mit demselben Symbol. Ein mulmiges Gefühl, verursacht durch ein bizarres Bild und jemand sagt: „Nennt mich euren Führer.“

“Die Welle”

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Was so klingt wie das Wiederaufleben der deutschen NS-Diktatur, die 1945 nach jahrelangem Krieg und systematischer Ermordung unschuldiger Menschen durch den Holocaust ihr Ende fand, ist in Wahrheit die Inszenierung des Buches „Die Welle“ mit gleichnamiger Verfilmung.

Die Probe ist in vollem Gange.

In dem 1981 erschienenen Roman von Morton Rhue geht es um eine Gruppe von Schülern, die sich im Rahmen einer Projektwoche mit dem Thema Autokratie beschäftigt. Da die Jungen und Mädchen Schwierigkeiten haben zu verstehen, wie Diktaturen wie das Nazi-Regime unter Adolf Hitler ein derartiges Ausmaß annehmen und so viel Zuspruch finden können, beschließt ihr Lehrer Ben Ross (in der deutschen Verfilmung Rainer Wenger), ein Experiment zu starten, die zeigen soll, wie durch Mundpropaganda und Manipulation eine Diktatur entstehen kann.

In drei Phasen wird die Bewegung „Die Welle“ gegründet: 1. Macht durch Disziplin. 2. Macht durch Gemeinschaft. 3. Macht durch Handeln. Der Wendepunkt des Stücks ist ein Kontrollverlust, der allen Beteiligten auf brutale Weise vor Augen führt, wie negativ sie sich unter dem Einfluss von „Die Welle“ verändert haben.

Bühnenreif: Die Produktion

„Alle auf ihre Plätze!“, ruft Thomas Brokamp in das PZ hinein. Der Lehrer für Deutsch und Philosophie leitet den Kurs „Literatur“ der Q1 am Willibrord-Gymnasium in Emmerich. Schnell gehen alle wieder auf Position: Szene eins, alles auf Anfang. Die Idee, das Stück „Die Welle“ auf der Bühne zu inszenieren, hatte Louisa: „Ich habe mir die Verfilmung angesehen und fand sie sehr interessant. Meiner Meinung nach ist es leichter, politische Themen auf diese Art darzustellen. Auch für den Zuschauer ist es dann einfacher verständlich.“

Nur der Text sei von den Vorlagen übernommen worden. Der Rest konnte mit Kreativität von den Schülern selbst gestaltet werden. Männliche Rollen werden manchmal von Frauen gespielt und Themen wie Homosexualität normalisiert. So gibt es beispielsweise ein lesbisches Paar, das von Jana und Isabel gespielt wird. Sie verkörpern Frau Wenger, die Zweitbesetzung des Lehrers Herr Wenger, und ihre Partnerin. „Wir wollen damit zeigen, dass so etwas ganz normal ist. Wenn jemand Lust hatte, eine bestimmte Rolle zu spielen, dann konnte er das, egal welches Geschlecht er oder sie hatte“, erläutert Louisa.

Theater: Diskursförderung und Sozialkritik

Auch der Bezug zu aktuellen Ereignissen war den Schülern sehr wichtig, wie Jasper erklärt: „Wenn man an den Krieg in der Ukraine denkt oder den Anstieg von Rechtsextremismus in Deutschland, dann ist es sehr wichtig, sich damit auseinanderzusetzen, wie schnell man in ein autokratisches Denken rutschen kann.“ Mit dem Stück will Thomas Brokamp auch auf dieses Problem aufmerksam machen: „Man muss davor auf der Hut sein, wie leicht man für Ideologien verführbar sein kann.“

Seit Anfang Oktober läuft die Produktion des Stücks. In dieser Zeit konnten sich die darstellenden Schüler an ihre Rollen gewöhnen. „Zuerst fühlte sich alles sehr befremdlich an. Besonders die Flagge zu sehen und Wörter wie ,Führer‘ zu benutzen. Erschreckenderweise hat man sich irgendwann aber daran gewöhnt“, erzählen Isabel und Jana.

Kursleiter Thomas Brokamp führt bei der Generalprobe Regie

“Es ist nur eine Rolle…”

Trotz der mulmigen Gefühle, die speziell am Anfang mit „Die Welle“ verbunden waren, habe es Spaß gemacht, bei dem Theater mitzuwirken und es sei für die meisten auch nicht schwierig gewesen, sich von ihrem Charakter zu distanzieren. „Mein Charakter wird von seiner Art her sehr extrem und auch gewalttätig. Weil ich nicht so bin, ist es mir leichter gefallen, mich von ihm zu distanzieren und die Rolle als eine Rolle zu betrachten“, sagt Jasper. Er spielt Tim, einen Außenseiter in der Schule, der durch die Bewegung „Die Welle“ zum ersten Mal merkt, wie es ist, Zugehörigkeit zu empfinden.

Fiona und Louisa, die das Paar Karo und Marco spielen, beschreiben allerdings auch, wie es ist, wenn man Parallelen zu seinem Charakter findet. „Karo ist der einzige Charakter, der sich nicht alles gefallen lässt und Widerstand leistet.“ So trage Karo zum Beispiel das weiße Hemd nicht und verteile Flyer, die auf die negative Seite der Welle aufmerksam machen sollen. Dazu sagt Fiona weiter: „Damit kann ich mich sehr identifizieren. Ich konnte mir von Anfang an auch nicht vorstellen, mich in etwas hineinreißen zu lassen, das ich nicht unterstütze.“

Louisa erklärt ihre Parallelen zu Marco so: „Marco ist sehr im Zwiespalt. Er sieht das Positive der Welle und unterstützt sie, aber merkt trotzdem schnell, dass sich alles negativ dadurch verändert. Ich kann mich mit seiner impulsiven Art identifizieren. Ich springe auch schnell auf und mache bei etwas mit, ohne nachzudenken. Das ist manchmal nicht gut.“

Warum “Die Welle” wichtig ist

Das ernste Thema ging nicht spurenlos an den Schülern vorbei. Brokamp beschreibt die Stimmung als eine „unheimliche Aura“. Die Schüler selbst beschreiben vielfältig, was sie aus ihrem Mitwirken in dem Theaterstück „Die Welle“ alles gelernt haben.

Allem voran steht hier die Bedeutung von Gruppenzwang und die Erkenntnis, dass man sich diesem aus verschiedenen Gründen nicht entziehen kann. Wer nicht mitmacht, wird zum Feindbild. Außerdem seien die Schüler erstaunt, wie schnell sich eine Diktatur entwickeln kann. „Man wird hineingezogen, ohne es zu merken. Manche Menschen sagen, dass dies heutzutage nicht mehr so leicht möglich ist, aber das ist es“, sagen die Schüler.

Darüber hinaus erkenne man klare Risikofaktoren, die eine gute Andockstelle für autokratische Regime darstellen. „Wenn jemand sehr isoliert ist oder ein Außenseiter, dann ist es auf jeden Fall leichter, in so etwas reinzugeraten.“

Ein plötzliches Gefühl, dass man gesehen und verstanden wird, man strebt nach Anerkennung und bekommt die Möglichkeit, diese Bestätigung und Macht zu erhalten: So kann man sich leicht im Positiven und der Illusion, dass unter dem neuen System alles besser wird, verlieren. Die wohl wichtigste Erkenntnis sei allerdings eine andere: Es lohne sich immer, für etwas zu kämpfen und sich gegen Ausgrenzung und für Gerechtigkeit einzusetzen.

Termine

Die Premiere des Stücks ist am Dienstag, 6. Juni, um 19 Uhr. Eine weitere Aufführung findet am 13. Juni um 16.30 Uhr statt. Aufgeführt werden beide Termine in der Bühnenhalle des Willibrord-Gymnasiums. Der Eintritt ist frei und wird ab zwölf Jahren empfohlen.

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