Der Arbeitsmarkt erholt sich

Die Arbeitslosenzahlen sinken weiter / Deckung des Arbeitskräftebedarfs ist jedoch schwierig

NIEDERRHEIN. Die Herausforderungen wachsen, aber der Arbeitsmarkt hält den Krisen stand. „Er konnte sich sogar weiter erholen. Die durchschnittliche Arbeitslosigkeit ist mit 5,6 Prozent auf dem Vorkrisenniveau“, sagt Barbara Ossyra, Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Wesel. 250.889 Menschen hatten zum Stichtag am 30. Juni 2022 in den Kreisen Wesel und Kleve einen sozialversicherungspflichtigen Job. Damit wuchs die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten um 1,8 Prozent auf ein neues Rekord-Niveau an.

Ossyra schätzt, dass der Arbeitsmarkt trotz unsicherer Rahmenbedingungen auch weiterhin stabil bleiben wird. „Allerdings ist unsere Normalität in den vergangenen drei Jahren eine andere geworden. Ich glaube nicht daran, dass so schnell nochmal Zeiten kommen, in denen man einen Dreijahresplan machen kann, ohne ihn stetig anpassen zu müssen. Wir werden mit Unsicherheiten künftig leben und lernen müssen, mit dieser Ungewissheit umzugehen“, sagt Ossyra. Dies habe bereits das vergangene Jahr beispiellos gezeigt. „Anfang 2022 sind wir verhältnismäßig optimistisch ins neue Jahr gestartet. Mit der abflauenden Pandemie und der konjunkturellen Belebung im Frühjahr ging die Arbeitslosenzahl weiter zurück. Kurzarbeit war für die Unternehmen immer seltener erforderlich“, berichtet Ossyra.

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Der Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine im Februar sei jedoch abermals eine Zäsur gewesen. „Die sich dadurch erneut verändernden Rahmenbedingungen wie steigende Energie- und Rohstoffkosten, hohe Inflation, Lieferprobleme und der Regelung, dass die ukrainischen geflüchteten Menschen seit dem Sommer von den Jobcentern betreut werden, führte dennoch nicht zu erhöhten Arbeitslosenzahlen, sodass die Arbeitslosigkeit im Jahresdurchschnitt sogar weiter gesunken ist“, sagt Ossyra. Im vergangenen Jahr seien durchschnittlich 23.140 Personen (5,6 Prozent) im Agenturbezirk Wesel arbeitslos gewesen. Das seien 1.431 Personen (5,8 Prozent) weniger als 2021. Im Kreis Wesel waren 2022 mit 14.958 Personen (6,2 Prozent) allerdings deutlich mehr Menschen arbeitslos gemeldet als im Kreis Kleve mit 8.156 Personen (4,9 Prozent).

Herausforderungen gab und gibt es natürlich dennoch. „Schwierig ist inzwischen die Deckung des Arbeitskräftebedarfs, insbesondere des Fachkräftebedarfs“, sagt Ossyra. Mehr als die Hälfte aller gemeldeten Arbeitsstellen richten sich laut der Agentur für Arbeit nach Fachkräften. Gleichzeitig liege jedoch der Anteil der Hilfskräfte, die arbeitslos gemeldet seien, bei 58,5 Prozent, während nur 28,4 Prozent der Fachkräfte nach einer neuen Arbeit suchen müssten.

Bewerber-Förderung

Aufgrund dieses Ungleichgewichtes hat sich die Arbeitsagentur im zurückliegenden Jahr dazu entschieden, verstärkt auf Qualifizierung und Förderung zu setzen. Dazu hat sie das Angebot im Kommunalen Integrationszentrum deutlich gesteigert. Ein Vollzeit-Berater kümmert sich dort nun um 68 Bewerber, während es sonst 150 bis 200 Bewerber seien, so Ossyra: „Diese Angebote brauchen natürlich Zeit. Sie sind aber eine Investition in die Zukunft, sowohl individuell für die betroffene Person als auch für den Wirtschaftsstandort hier in der Region.“

Positive Beispiele gebe es schon: So habe eine zweifache Mutter und studierte Marketingmanagerin, die nach dem Ende des elterlichen Betriebes einen Teilzeit-Job suchte, nach einer Teilzeit-Ausbildung zur Steuerfachangestellten nun eine Anstellung in einem Steuerbüro gefunden. „Marketing-Managerinnen werden in Teilzeit kaum gesucht. Aber mit unserer Integrationsberatung konnten wir ihr helfen“, sagt Carsten Struwe von der Agentur für Arbeit Wesel. Unternehmen könnten sogar Förderungen erhalten, wenn sie bei so einer Weiterbildungsmaßnahme mitwirken. Das sei eine große Chance für beide Seiten. „Unternehmen müssen sich heutzutage vielleicht fragen, ob es nicht erstmal ausreicht, wenn der Bewerber zunächst nur eine achtzigprozentige Hilfe darstellt, wenn er zusätzlich noch eine Weiterbildung macht, damit die hundertprozentige Leistung später kommt“, sagt Ossyra.

In den nächsten Jahren werde ohnehin jede Arbeitskraft gebraucht. Denn der demografische Wandel sei zunehmend spürbar. „Dabei sind wir jetzt erst am Anfang. Die geburtenstarken Jahrgänge gehen erst allmählich in Rente“, sagt Ossyra. Eine Hilfe könnte unter anderem eine Zuwanderung darstellen. „Unter den ukrainischen Flüchtlingen gibt es sehr viele mit Studien- und Ausbildungsabschlüssen. Momentan ist die Sprache noch eine Barriere, aber wir hoffen, dass sie diese möglichst schnell überwinden können“, sagt Ossyra.

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