Frau Elbin und Herr Adrian

NIEDERRHEIN. Frau Elbins Alter lässt sich nur schätzen. Nichts Genaues weiß man nicht. Fest steht: Irgendwie dürfte die Elbin rekordverdächtig sein. Die Haare struppig, kommt sie, als wüsste sie, dass man wegen ihr anreiste aus der bodenbeheizten Einzimmerwohnung, ist fast taub und auf einem Auge erblindet – und nippt am Frühstück, das Adrian für sie vorbereitet hat.

Ein Rekord – vielleicht …

Frau Elbin – jetzt sei es gesagt – ist eine Katze und Adrian, ihr ‚Besitzer und Pfleger‘ sagt, die Elbin sei irgendwas zwischen 26 und 28 Jahre alt. „Genau lässt sich das nicht sagen.“ Was sich sagen beziehungsweise fragen lässt: Wie alt werden Katzen? Das Internet macht Angaben: Hauskatzen haben eine Lebenserwartung, die zwischen zwölf und 18 Jahren liegt. Die älteste Katze der Welt starb 2005 im biblischen Alter von 38 Jahren. Für Frau Elbin ist also noch Luft nach oben. Adrian sagt: „Frau Elbin ist wahrscheinlich die älteste Katze am Niederrhein.“

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Die Namenspatronin

Im Hier und Jetzt sei die Frage geklärt, wie die Elbin zu ihrem Namen kam. Adrian – er möchte nicht fotografiert und überdies auch nur vornamentlich genannt werden – hat, als er nach Goch kam, die Katze quasi übernommen. „Sie gehörte einer Malerin. Und die hieß Ursula Elbin.“ Die Namenspatronin ist längst verstorben. Adrian zeigt eines ihrer Bilder. Mann googelt: „Kunst, Elbin, Goch.“ Und tatsächlich lässt sich etwas finden: Ursula Elbin, Jahrgang 1923, studierte an der Folkwangschule in Essen und lebte seit 1973 als freiberufliche Malerin in Goch. Verheiratet war die Künstlerin mit dem Reiseschriftsteller und Kolumnist Günther Elbin. Ein Todesdatum der Künstlerin lässt sich auf die Schnelle nicht ermitteln. Das Internet schweigt – Adrian nicht.

Eine Geschichtensprudelstelle

Er erzählt und schnell hat man den Eindruck, hier den Geschichtenlieferanten für die nächsten Jahre gefunden zu haben. Dieser Ort, denkt man, ist eine Geschichtensprudelstelle. Im Zentrum: Frau Elbin. Adrian sorgt sich um Frau Elbin. Er hat ihre „Wohnung“ mit einer Heizdecke versehen, die auf dem Boden liegt und dafür sorgt, dass sich die greise Katze wohlfühlt. Das Alter ist ihr anzusehen und zu merken. Die Bewegungen: langsam, als seien die Gelenke längst vom Rost der Zeit befallen. Das Fell: struppig geworden. Frau Elbin erscheint kurz zum Fototermin und zieht sich dann wieder in ihr beheiztes Appartment zurück. Das Posen war vielleicht doch zu anstrengend.

Trini Trimpop

Adrian erzählt Geschichten – erzählt, dass seine Tochter ihn mal fragte „Papa, was machst du eigentlich?“, und er mit zahlreichen Antworten aufwartete. Adrian erzählt, er habe „auch mal fünf Tage Kunst studiert“. Adrian erzählt von einem Herrn namens Trini Trimpop und begegnet dem ahnungslosen Fragelächeln des Schreibers mit der Erklärung: „Den Trimpop gibt es wirklich. Das können Sie googeln.“ Und tatsächlich: Der Trimpop war Gründungsmitglied der Toten Hosen. Später managte er die Band.

Der Zufall ist verlässlich

Adrian kennt ihn: Das hat mit einem BMW zu tun, den Adrian von Trini bekam. Adrian hatte nämlich mal – es ist schon länger her – einen Abschleppwagen … aber das ist schon die nächste Geschichte. „Der Zufall ist verlässlich“, sagt Adrian. Ein großer Satz. Zurück zu Frau Elbin. Als die Künstlerin Elbin – mittlerweile weiß man’s – 2009 starb, suchte sich die Katze Elbin neue Betreuer. Die zogen irgendwann weg – es kamen wieder neue. „Aber die hatten zwei Hunde.“ Kein Umgang für eine greise Katze. „Frau Elbin tauchte dann – es muss vor circa drei Jahren gewesen sein – bei mir auf“, erzählt Adrian.

Frau Elbin und die Monroe. NN-Foto: Rüdiger Dehnen

Monroe, Elbin und Duchamp

Über Frau Elbins Katzenappartment an der Wand: Ein Bild der Monroe. Jemand darauf einen einen Namen geschrieben: ‚R. Rose Selavy‘. Schon wieder ein Rätsel? „Schauen Sie mal bei Duchamp nach“, empfiehlt Adrian und man erfährt beim Googeln, dass R. Rose Selavy ein Alter Ego von Duchamp war. Adrian, erfährt man, hat auch mal Kunsttransporte gemacht.

30 Minuten und danach

Längst fragt man sich: Wer war/ist also Frau Elbin? Adrian sitzt in seiner Werkstatt: ein Ort – von der Decke bis zum Boden mit Kuriositäten angefüllt. Alles hat (eine) Geschichte und nach 30 Minuten glaubt man, sich im Kopf eines Fantasy-Schriftstellers zu befinden, der hier – assistiert von Frau Elbin – sein Leben ausprobiert. „Kommen Sie wieder“, sagt Adrian beim Abschied. Frau Elbin schläft längst wieder auf ihrer Fußbodenheizung.

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