XANTEN. Das Stolperstein-Projekt in Xanten nähert sich der Vollendung: Heute verlegte der Projektgründer und Künstler Gunter Demnig mit der Initiative „Stolpersteine in Xanten“ unter der Schirmherrschaft der Eine-Welt-Gruppe Xanten zehn neue Stolpersteine an vier Orten. Da die Schulen traditionell zu den Gedenktagen beitragen, wurde die Verlegung dieses Mal von der Marienschule und dem Stiftsgymnasium inhaltlich begleitet. Im Sommer 2023 folgen zwei weitere Stolpersteine.
Mehr als 90.000 Stolpersteine in 29 Ländern Europas: das ist die aktuelle Gesamtbilanz des Projekts, um das Gedenken an das Schicksal der Opfer des NS-Regimes nachhaltig wachzuhalten. Die ersten Stolpersteine fanden in Xanten bereits 2006 und 2007 ihren Platz. Bis zum nächsten Sommer wächst ihre Zahl auf 46.

Erinnerung an jedes Leid

Einige Wissenslücken schloss zuletzt noch die Wissenschaftlerin Christiane Müller mit ihrem Buch „Zeuge sei dieser Steinhügel“. Darin thematisiert sie die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Xanten und zeichnet die Wege Xantener Juden nach. Zum Beispiel jener Menschen, denen die Flucht ins Ausland gelang. Damit hat sie auch die Stolperstein-Initiative beeinflusst, wie Dr. Wolfgang Schneider von der Eine-Welt-Gruppe Xanten verrät.
Um das ganze Spektrum der NS-Opfer abzudecken, rücken die Messingtafeln dieses Mal nicht die ermordeten Menschen in den Fokus, sondern die aus ihrer Heimat vertriebenen. Dazu gehört zum Beispiel Hannah Seldis, auf deren Familie neben der Familie Oster der Fokus der heutigen Veranstaltung lag.
Hannah Seldis war damals Schülerin auf der Marienschule. 1998 erzählte sie bereits eindrucksvoll von ihren Erlebnissen während der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938: Dem Tag, an dem ihr mit ihrer Familie die Flucht über Mainz gelang. „Noch ganz knapp vor Kriegsbeginn nach Chile. In einem der letzten Schiffe, die in See stachen“, erzählt Schneider. In den 50er Jahren führte ihr Weg sie schließlich nach Israel. Zwei Mal stand die Familie Seldis Willi Fährmann als Augenzeugen zur Verfügung, dessen Ergebnisse übrigens eine Grundlage für Müllers Buch bildeten.
Die Schülerinnen der 10. Klasse der Marienschule zitierten aus diesem Buch und haben Hannah Seldis‘ Erinnerungen an die Schulzeit in Ausschnitten präsentiert. Die vier Seldis-Gedenkstafeln sind nun auf der Marsstraße 71 in den Boden eingelassen.
Die Schüler der 9. und 11. Klasse des Stiftsgymnasiums begleiteten ihrerseits die Verlegung auf der Marsstraße 65, wo vier Stolpersteine von nun an an die Familie Oster erinnern werden. Diese hatte bereits 1932 einen schweren Stand in Xanten, zog dann nach Düsseldorf und wanderte von dort aus 1936 nach Palästina aus. Die Schüler lasen nicht nur die entsprechenden Inschriften der Steine vor, sondern zeichneten auch mit den wichtigen Stationen die Lebensläufe nach sowie das Verhältnis der Familie Oster zu ihren Mitmenschen.
Jeweils ein weiterer Gedenkstein fand zudem an der Orkstraße/Südwall und an der Scharnstraße 14 seinen Platz. Die Verlegung der zwei anderen Stolpersteine im Sommer soll abschließend von der Willi-Fährmann-Gesamtschule begleitet werden.

Gegen das Vergessen

Nicht nur Bürgermeister Thomas Görtz betont, dass man auch heute noch mit Aufklärung gegen Vorurteile und Parolen ankämpfen müsse, damit sich die Verbrechen der Vergangenheit nicht wiederholen. „Aktionen gegen das Vergessen sind heute wichtiger denn je“, weiß auch Corinna Dickmann, Leiterin des Stiftsgymnasiums, angesichts antidemokratischer Bestrebungen und Fremdenfeindlichkeit. Man müsse an die Menschen erinnern, die durch den Verlust der Demokratie macht- und schutzlos geworden seien. Umso mehr lobt sie die Schüler, von denen die Initiative, etwas tun und verstehen zu wollen, oft selbst ausgehe – auch von den sehr jungen Schülern. Großen Eindruck hätten früher die Besuche von Zeitzeugen hinterlassen, die jedoch immer seltener möglich seien.
Auf andere Optionen greift deshalb auch die Marienschule zurück, deren Rektor Michael Lemkens die Sichtweise seiner Kollegin teilt. Im Zuge der Aufklärung besuchen die Schülerinnen seit 2016 jedes Jahr das KZ Auschwitz. Hinzugekommen ist mittlerweile auch die AG „Auschwitz mit eigenen Augen“. Wesentlicher Bestandteil ist hier, den Toten ein Gesicht und etwas von ihrer Würde zurückzugeben – auch in Bezug auf Xanten.
Mehr Informationen zur Initiative gibt es unter www.stolpersteine.eu. Gerne gesehen sind auch weiterhin Sponsoren für die restlichen Steine.
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