KREIS KLEVE. Der Wandel der Arbeitswelt ist tiefgreifend und schwer einzuschätzen, wie die Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Wesel, Barbara Ossyra, sagt. In einem Pressegespräch gab die Agentur nun unter dem Titel „Quo vadis Arbeitsmarkt? Wie entwickeln sich die Beschäftigungschancen in den Kreisen Wesel und Kleve?“ einen detaillierteren Blick auf die aktuelle Situation preis. Krisen, Klimawandel, demografische Entwicklung, Strukturwandel, Automatisierung und Digitalisierung: all diese Punkte laufen auf die Sicherung von Fachkräften hinaus.

Eine Chance bieten die Investitionen in den Klimaschutz, wie in erneuerbare Energien, den Stromnetzausbau und in den Aufbau einer nachhaltigen Verkehrsinfrastruktur. Demnach wird geschätzt, das hierdurch bis 2030 in Deutschland 359.000 Erwerbstätige hinzukommen.

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Ein anderer Megatrend ist die Digitalisierung, die zuletzt noch durch Corona weiter angeschoben wurde. Neue Technologien bieten laut der Agentur für Arbeit Chancen, um Fachkräfte-Engpässe abzufedern. Dazu gehören zum Beispiel der 3D-Druck und automatisierte Entscheidungsverfahren. Julian Dupont von der Arbeitsmarktbeobachtung – eine nur in NRW existierende Institution – gibt noch einige grundlegende Aussagen mit auf den Weg: So hätten digitalisierte Unternehmen, etwa im Gesundheitswesen, zuletzt eher Stellen auf- statt abgebaut. Anders als oft befürchtet gingen viele Arbeitsplätze also gar nicht verloren, aber der Trend bewege sich in Richtung Höherqualifizierung: Die Arbeitsweisen und Anforderungen würden sich ändern, zunehmend gehe es um den Umgang mit der Technik. Im Bereich der Verkäuferausbildung hat sich zum Beispiel die Richtung E-Commerce herausgebildet. Es ist also ein Strukturwandel erkennbar: von der Produktion hin zur Dienstleistung.

Zunehmende Automatisierungsmöglichkeiten

Ein wichtiger Punkt ist in diesem Zusammenhang das sogenannte, durch reifende Technologien weiter steigende Substituierbarkeitspotenzial. Das bedeutet: ein bestimmter Prozentsatz der Tätigkeiten in einem Beruf könnte maschinell automatisiert werden. Das betrifft besonders Helfertätigkeiten in Fertigungsberufen, aber selbst Tätigkeiten der Ärzte, wenngleich in wesentlich geringerem Maße. Bei Verkäufern etwa beträgt das Potenzial 83 Prozent, wobei diese Zahl bei zunehmender Beratungstätigkeit niedriger ausfällt. Denn: „Je näher etwas am Menschen stattfindet, desto weniger wird automatisiert.“ Das betrifft vor allem beratende und pflegende Berufe. Im Kreis Kleve ist der Anteil der Beschäftigten mit hohem Substituierbarkeitspotenzial mit 35,9 Prozent etwas größer als im Kreis Wesel mit 35,4 Prozent. Der Anteil der Beschäftigten, deren Tätigkeiten ein geringes Potenzial zugrunde liegt, liegt bei 25 und 25,6 Prozent, mit mittlerem Potenzial bei 39,1 und 39 Prozent.

Auch wenn diese mögliche Automatisierung das Potenzial birgt, in Zukunft mehr Personal überflüssig werden zu lassen und der Trend weiter Richtung Höherqualifizierung geht, betont Dupont, dass einfache Berufe wie Helferstellen nicht einfach komplett wegfallen würden. Längst nicht alle Unternehmen würden das, was möglich ist, auch umsetzen. Eine Rolle spielen laut Dupont nämlich noch ethische, juristische und ökonomische Erwägungen.

Baby Boomer verlassen den Arbeitsmarkt

Eine Herausforderung, die den Fachkräftemangel weiter verschärfen wird, ist die demografische Entwicklung. Nach Zahlen des Statistischen Landesamts NRW entwickelt sich die erwerbsfähige Bevölkerung im Kreis Kleve bis 2050 um sieben Prozent zurück, im Kreis Wesel wird die Zahl auf −16,4 geschätzt. In den nächsten zehn Jahren treten auch viele Baby-Boomer den Ruhestand an. Vor allem betrifft das die Bereiche Handel, verarbeitendes Gewerbe und das Gesundheits- und Sozialwesen. Damit verliert der Arbeitsmarkt viel erfahrenes Personal. „Es wird eine große Aufgabe, sie zu ersetzen“, sagt Dupont. Bausteine, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, sieht er in der Digitalisierung, Automatisierung und Qualifizierung junger Menschen, aber auch in der Zuwanderung.

Für die Agentur für Arbeit verlegt sich der Fokus immer mehr von der reinen Vermittlung auf die Beratung hin zur Weiterbildung für Erwachsene angesichts der fortschreitenden Entwicklung in den Berufen. Ossyra und Dupont sprechen beide davon, auch mehr auf die nicht ausgeschöpften Potenziale zu blicken: Frauen, Studienabbrecher, Langzeitarbeitslose und Menschen mit Behinderung.

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