“Viel los in meinem Kopf.”

Da wäre dieser Albtraum: Sie wollen dich wegsperren. Sie sagen, du leidest an einer Schizophrenie. Du siehst es anders. Je mehr du dagegen sprichst, um so heftiger zieht die Schlinge sich zu …

Keine Erklärung

All das gilt für Herrn K. nicht. Er hört keine Stimmen und ja: sie haben ihn mehrmals zwangseingewiesen – zehn Mal alles in allem –, aber das hatte mit persönlichen Krisen zu tun. Er wollte wieder in Arbeit. Er ist auch weg von den Drogen: Cannabis und Amphetamine. Seit zwei Jahren nimmt er nichts mehr. Er möchte doch wieder zur Bundeswehr. Dass die Drogentests in der Anstalt wiederholt positiv ausfallen – dafür hat er keine Erklärung. Es könnte natürlich etwas mit dieser Nummer in seinem Wehrpass zu tun haben: dreimal die 6 – der Satan. Dass er Schattenboxen geübt hat, um für den Kampf gegen Putin fit zu sein: nichts stimmt. Die Medikamente: höchstens mit Nebenwirkungen versehen – ansonsten unnütz. Also: abgesetzt. Selbstdiagnose.

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ABER

Ja – da sind diese beiden Sachen: Er hat ein Auto mit Cocktailsauce aus dem Supermarkt beschmiert und dem Besitzer des Wagens anschließend mit der leeren Glasflasche attacktiert. Der Mann musste genäht werden. ABER: Der Mann hat angefangen. Er hat ihn, K., geschlagen. K.muss sich wehren.
Und die Sache mit der Frau, die ihn eine zeitlang bei sich wohnen ließ: Es war nicht so, wie es ihm vorwirft. K. soll die Frau „über einen Zeitraum von 30 Minuten immer wieder im Bereich des Gesichts, des Nackens und des Rückens geschlagen haben. Dabei soll er als Schlagwerkzeug einen Karabinerhaken eingesetzt und die Geschädigte mit Füßen getreten haben. K. soll die Geschädigte mit Handschellen gefesselt und an der Flucht aus ihrer Wohnung gehindert haben. Aufgrund einer psychischen Erkrankung soll der K. zur Tatzeit schuldunfähig gewesen sein.“ Jetzt droht ihm die unbefristete, geschlossene Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Paragraph 63 Strafgesetzbuch).

Das Gesetz

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit oder der verminderten Schuldfähigkeit begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, dass von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um […] erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

Rettung statt Angriff

K. sieht die Sache anders. Er hat die Geschädigte retten wollen. „Die wollte sich das Leben nehmen.“ K. musste das verhindern. Ein Polizist, der K. am Tatort antraf, sagt aus: „Der war wie in einer anderen Welt.“ Ohnehin sind reichlich Zeugen geladen. Manchen hört K. schweigend zu – bei anderen möchte er eingreifen und wird von seinem Verteidiger „eingefangen“.

Nicht am Platz

Da sitzt man und ist kein Diagnostiker. Da ist die unsichtbare innere Schablone – die Vorstellung vom Ver-rückt-sein. Es ist in K.s Denken vielleicht nicht alles an den Plätzen, die man für die angemessenen hält. Deckt sich, was man denkt, mit der Schablone? War K. bei den Vorfällen schuldunfähig? Es geht hier und heute nicht um das Absitzen einer urteilsterminierten Strafe in einer Vollzugsanstalt. Wenn sich K. zum Zeitpunkt der in Rede stehenden Vorfälle im Zustand der Schuldunfähigkeit befand, geht es für ihn um die unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus.

Auffälligkeiten

K. hat zwar zunächst in einer Justizvollzugsanstalt gesessen, ist aber später in ein psychiatrisches Krankenhaus verlegt worden. Man hatte Auffälligkeiten in seinem Verhalten festgestellt. K. sagt, es gehe ihm seither besser, sagt aber auch, dass die vielmaligen Zwangseinweisungen im Vorfeld allesamt quasi unbegründet waren. Es ging ihm persönlich schlecht – ja – aber er ist nicht schizophren. Er hat auch seinen Vater angegriffen. Die Eltern haben ein Annäherungsverbot erwirkt. Er höre, sagt K,, keine Stimmen.
Ein Gutachter stellt K., sollte er nicht behandelt werden, keine gute Zukunft in Aussicht. Eigentlich geht es um die Gefährdung der Allgemeinheit. K.s Taten – von einem zunehmenden Maß an Härte geprägt. Nach dem Vorfall mit der Freundin soll K. im anschließenden Polizeigewahrsam gefragt haben: „Ist die Frau tot? Kann ich zurück in die Wohnung?“ Der vernehmende Beamte macht einen Vermerk. Eine solche Frage muss erwähnt – muss festgehalten werden.

Keine Bewährung. Oder doch?

Der Staatsanwalt sieht die Vorwürfe als erwiesen. Nein – die Unterbringung nach Paragraph 63 kann nicht zur Bewährung ausgesetzt werden. Der Haftbefehl muss aufrecht erhalten werden. K.s Verteidiger sieht den Vorfall mit dem Flaschenangriff anders. Es habe sich auch um eine Notwehrhandlung seines Mandanten gehandelt haben können. K. hatte angegeben, zuerst geschlagen worden zu sein und sich nur gewehrt zu haben. Auch beim zweiten Vorfall handele es sich nicht eindeutig um eine Körperverletzung. Sein Mandant sehe ein, dass etwas getan werden muss. Die Unterbringung nach Paragraph 63 könne zur Bewährung ausgesetzt werden. K. tut alles leid. Er schließt sich den Ausführungen seines Verteidigers an.

Unterbringung

Am Ende beschließt das Gericht K.s geschlossene Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Zu groß: die potentielle Gefährdung für die Allgemeinheit, die ja – das sagt das Gericht nicht – auch eine Gefährdung für K. darstellt. K.s Zustand wird künftig in regelmäßigen Abständen überprüft werden.
Es geht bei der Unterbringung gemäß Paragraph 63 StGB immer auch um die Verhältnismäßigkeit. Das Gericht setzt die Vollstreckung der Unterbringung gemäß § 67b StGB zur Bewährung aus, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Zweck der Maßregel auch dadurch erreicht werden kann. Dieser Eintrag findet sich im Internet. K. in einer Justizvollzugsanstalt unterzubringen wäre der falsche Ansatz und außerdem nur dann möglich gewesen, wenn er, was geschah, im Zustand der Schuldfähigkeit begangen hätte.
Man wünscht K., dass Hilfe möglich ist. Man wünscht, dass er irgendwann nach einer der regelmäßigen Überprüfungen seines Zustandes einen Weg zurück in ein selbstbestimmtes Leben aufgezeigt bekommt. K. über sich selbst: „Viel los in meinem Kopf. Viele Baustellen.“

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