NIEDERRHEIN. Kraft tanken und die Gemeinschaft stärken: Wenn der Verein Herzenswunsch Niederrhein zur Auszeit einlädt, dann stehen ganz bewusst Spaß und Lebensfreude an erster Stelle. Trotz oder gerade wegen des Schicksals, das die Kinder eint. Natürlich dürfen sie zwischendurch auch mal traurig sein. „Dafür haben hier alle Verständnis, denn jedes Kind weiß, wie es ist, wenn man einen lieben Menschen verliert“, sagt Bianca van Hardeveld, die 1. Vorsitzende des Vereins, der wichtige Trauerarbeit leistet: „Wir reden über unsere Gefühle und es macht mich sehr stolz, wenn ich sehe, wie offen die Kinder und Jugendlichen sind.“

Mara kuschelt mit den Ziegen. Die Kinder lieben den kleinen Streichelzoo. NN-Foto: vs

Mara (11) hat es besonders das (auf Außenstehende vielleicht etwas rabiat wirkende) „Kettcar-Fangen“ angetan. Mit waghalsigen Manövern flitzen die Doppelsitzer über den Hof und versuchen sich gegenseitig zu kapern. „Ich war fünf Jahre alt, als mein Vater gestorben ist“, sagt sie. Ein Verkehrsunfall. Ganz plötzlich war er nicht mehr da. „Mein Vater ist am Nikolaustag früh morgens gestorben“, sagt Lenny (10). Ein Herzinfarkt. „Sie haben ihn noch kurz wiedergeholt, aber dann ist er doch gestorben“, weiß er. Zwar hat der Papa nicht mehr mit ihm zusammengewohnt, „aber an die Ferien mit ihm kann ich mich noch gut erinnern. Wir haben oft Siedler gespielt und schöne Ausflüge gemacht.“ Paul (9) hätte seine kleine Schwester gerne noch besser kennengelernt. Er war vier Jahre alt und sie erst zwei, als sie an Leukämie starb. Ihre Erkrankung hat das Leben der Familie lange geprägt. Deswegen ist Paul auch froh, wenn er mal „alleine“ unterwegs und nicht zuhause ist. Dort erinnert ihn viel an diese Zeit. „Es ist schön, dass hier Kinder sind, die das verstehen, wenn ich mal traurig bin“, sagt Paul. Jetzt gerade ist er allerdings überhaupt nicht traurig. Er genießt es, mit seinen Freunden zu spielen.

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Zwölf Kinder und vier Erwachsene verbringen das lange Wochenende gemeinsam auf dem Poenenhof in Uedem. Eine spannende Nachtwanderung stand schon auf dem Programm, am Morgen gab es eine Planwagenfahrt (inklusive überhaupt nicht „trauriger“ lauter Beschallung) und eine Bauernhofrallye mit (Plastik)Kuh-melken und Co. steht auch noch an. Zwischendurch wird gebastelt und getobt – hier haben die Kinder im Alter von sieben bis elf Jahren reichlich Platz und vom Trampolin bis zum Streichelzoo gibt es einiges zu entdecken. „Das ist eine tolle Sache“, finden Barbara Boekholt und Jutta Lübbering von der Kirchengemeinde St. Stephanus in Kessel, die dem Verein stellvertretend für den Ortskirchenrat eine Spende mitgebracht haben. 500 Euro wurden beim diesjährigen Fastenessen und beim Basar eingenommen – und der Erlös fließt traditionell in einen guten Zweck. „Das Geld ist hierfür ganz wunderbar angelegt“, sagen die beiden und freuen sich über den herzlichen Empfang. „Als wir angekommen sind, dachten wir, ihr wäret einfach eine sehr große Familie, die Urlaub macht“, sagen sie und fühlen sich gleich wohl.

„Je früher die Kinder zu uns kommen, desto besser können wir ihnen helfen“, klärt Bianca van Hardeveld die Gäste in Sachen Trauerarbeit auf. Am Anfang stehen Einzelgespräche, später geht es dann in die Trauergruppen. Ab etwa fünf Jahren können die Kinder mit der Gruppen-Situation zurechtkommen. Für die Jugendlichen ab zwölf Jahren gibt es ebenfalls monatliche Treffen und darüber hinaus Theater- und Trommelworkshops, Ausflüge und Ferienfreizeiten. „Unser Verein finanziert sich komplett durch Spenden“, sagt die Vorsitzende. Für die Familien ist die Begleitung kostenfrei. Sie selbst kann sich noch gut daran erinnern, wie verloren sie sich gefühlt hat, als ihre Oma gestorben ist. „Ich war da zwar schon 17 Jahre alt, aber wenn man vorher nie mit dem Tod konfrontiert wurde, kann es auch in dem Alter noch sehr belastend sein“, ist sie überzeugt, dass viele Erwachsene ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Deshalb sei es wichtig, die Kinder und Jugendlichen möglichst zeitnah aufzufangen und ihnen die Chance zu geben, über ihre Gefühle zu reden. Ihr ist bewusst, dass das für die Angehörigen nicht immer möglich ist. Weil sie selbst mit ihrer Trauer beschäftigt sind oder erstmal „nur funktionieren“, wenn das ganze Familien-Gefüge zusammengebrochen ist.

„Gott sei Dank ist der Tod heute kein Tabu-Thema mehr“, findet van Hardeveld. Trauerarbeit gewinne zunehmend an Wertschätzung. Trotzdem würde sie sich wünschen, dass mehr Betroffene das Angebot auch annehmen und nicht warten, bis sich der angestaute Frust Bahn bricht. Der Bedarf sei in jedem Fall vorhanden, „auch wenn wir während der Corona-Zeit nur eingeschränkt agieren konnten“, bedauert Bianca van Hardeveld. Doch jetzt startet der Verein wieder durch: Vor einigen Wochen wurde das „Herzenswunsch-Appartement“ im Herzen der Stadt Kalkar endlich auch offiziell eröffnet und schon bald steht die Ferienfreizeit mit den „Großen“ an. Für sie geht es in diesem Jahr nach Brandenburg in ein Feriendorf mit Badesee. Geplant sind auch Infoveranstaltungen in Grundschulen und Kindergärten sowie Fortbildungen für Lehrer und Erzieher.

Fragen zur Trauerbegleitung beantwortet Bianca van Hardeveld unter Telefon 0151/ 65625815, bei Fragen zum Vereinkann man sich in der Verwaltung unter 0151/ 23652538. Infos zu den Angeboten findet man auf der Vereins-Homepage (die bald auch überarbeitet wird) unter www.herzenswunsch-ndrh.de.

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