RHEURDT. Es war eine Hilfsaktion, die bleibenden Eindruck auf beiden Seiten hinterlassen hat: Nach rund zwei Wochen sind Martin Broekmann und Waldemar Krawczyk aus der Ukraine nach Rheurdt zurückgekehrt, wo sie die Bevölkerung mit tausenden Konservendosen unterstützt haben. Broekmann kann viel über die Reise erzählen, im Guten wie im Schlechten. Eines haben aber alle Erfahrungen gemeinsam: starke Emotionen.

Angefangen hat alles an einem Donnerstagmorgen mit dem russischen Angriff auf das größte Atomkraftwerk der Ukraine. In diesem Moment stand für Broekmann fest: „Wir müssen etwas tun.“ Sein Projekt nahm schnell Gestalt an: Zwei Stunden später war schon die erste Skizze seiner Hilfsaktion fertig, die mittlerweile unter dem Namen „5.000 Mahlzeiten“ in Form von 2.500 Konserven zum ersten Mal erfolgreich anlief. Freitag und Samstag entwickelte er, unterstützt von seiner Tochter, die Idee in den Sozialen Netzwerken weiter, am Sonntag trafen die ersten Konserven ein. Bis zum Mittwoch waren es rund 1.000, nach zwei Wochen 4.700 Konserven und 17.000 medizinische Masken, die die Gemeinde spendete. „Da konnten wir aus der Sache nicht mehr raus.“ Sicher, der Respekt vor der Gefahr war da, aber als ehemaliger Feuerwehrmann gilt für Broekmann die Devise: „Wir rennen da rein, wo andere rausrennen.“ Schutzhelme, Atemmasken, Feuerlöscher und Verbandszeug hat er als Schutzmaßnahmen trotzdem eingepackt.

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1.500 Kilometer

Am 23. März startete die 1.500 Kilometer lange Tour: Mit einem Dreieinhalb-Tonnen-Anhänger, 3.000 Konserven, den Masken sowie Schokolade und Kinderspielzeug machten sich die beiden auf den mit Rückschlägen gepflasterten Weg zur Stadt Kovel. Hinter Warschau gerieten sie in einen Verkehrsunfall, der ihren Anhänger stark deformierte. Notdürftig repariert, blieb das Auto später komplett liegen – Motorschaden. Der mit 5.000 Euro bezifferte Schaden liegt mittlerweile schon bei 6.500 Euro.

Dafür, dass es schließlich weitergehen konnte, sorgte ihr Kontakt vor Ort: Viktor Kozak schickte ihnen einen 24 Tonnen schweren LKW samt Helfern. Damit war das Unglück aber noch nicht überwunden. An einem der sechs Kontrollpunkte wartete ein Angstmoment in Gestalt eines bewaffneten Soldaten. „Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich eine auf mich gerichtete Kalaschnikow im Anschlag gesehen“, sagt Broekmann. Als er auf eine Wiese mit anderen Soldaten gelotst wurde, nahm die Anspannung weiter zu, löste sich aber, als einer der Soldaten ihre Weiterreise erlaubte. „Das sind Deutsche, lass sie gehen“, habe es geheißen.

Am Ziel

Am 25. März erreichten die beiden schließlich ihr Ziel und verteilten noch im Dunkeln rund 500 Konserven an Soldaten der Heimatverteidigung. Die erste Nacht im Hotel, unterbrochen durch Sirenengeheul und Raketen, die über das Hotel flogen, gewährte ihnen einen beängstigenden Einblick in die allgegenwärtige Sorge vor einem Angriff. „Es war eine bedrückende Situation“, sagt Broekmann. Trotzdem: „Wir wurden sehr herzlich empfangen!“ Hilfslieferungen waren zwar schon aus der ganzen Welt eingetroffen, teils sogar mit handgeschriebenen Briefen, aber dass private Helfer selbst anreisten, überraschte die Ukrainer.

Broekmann besuchte in den kommenden Tagen unter anderem Soldaten der 2. und 3. Linie, das Zentralkrankenhaus, das Rathaus, eine Kaserne und eine Schule. Fotos bekam er nur über Umwege, aus Angst vor einer GPS-Ortung. „Die Angriffe laufen über GPS und WhatsApp“, erläutert er. Auch wenn es in Kovel bisher noch keine Kriegshandlungen gab, sind die Bewohner vorbereitet: Sie bewachen die Stadt und verhüllen Schilder, um im Fall der Fälle die Orientierung zu erschweren.

Es hat sich gelohnt

Ein Aufeinandertreffen mit evakuierten Müttern und Kindern zeigt eindrucksvoll das Wechselbad der Gefühle, dass die Rheurdter erlebten: Es wurde gelacht und geweint, Hoffnung und Angst stehen Seite an Seite. Die erwähnte Begegnung begann zwar mit unsicheren Blicken, die Stimmung lockerte sich aber schnell, als sie unter den Kindern Süßigkeiten und Spielzeug verteilten. „Es war eine beglückende Erfahrung. Die Kinder waren sehr dankbar, das vergisst man nicht mehr.“ Und obwohl es die beiden Rheurdter waren, die mit Hilfsgütern anrückten, hielten auch die Bewohner an ihrer Gastfreundschaft fest und teilten mit ihnen, was sie noch hatten.

Interessant war für Broekmann zu erfahren, dass die Kinder, egal ob in andere Länder geflüchtet oder vor Ort, noch nach Kräften online unterrichtet werden. Gleichzeitig stellen aber auch Lehrer und Freiwillige in der von ihm besuchten Schule zehn bis zwölf Stunden pro Tag Tarnnetze her. „Alle halten zusammen.“ Das bestätigte auch der General einer Kaserne: „Wir leben zusammen und wir sterben zusammen“, zitiert Broekmann diesen. Eine dahingesagte nationalistische Parole sei das aber nicht, weiß er jetzt besser denn je.

Nicht das Ende

Auch wenn die beiden gerade erst zurückgekehrt sind, soll es nicht die letzte Fahrt gewesen sein. Natürlich, die Reise sei schwierig gewesen, „aber neben der Geburt meiner Tochter der beglückendste Moment in meinem Leben.“ Zwar gehen die Ukrainer von einem Sieg aus, rechnen aber auch mit heftigen Gegenmaßnahmen der Russen. Für Broekmann steht jedenfalls fest: „Wir haben Freunde gefunden und die lässt man nicht im Stich.“

Übrig sind derzeit noch 1.600 Konserven. Wenn der Anhänger wieder bereit ist, soll eine zweite Lieferung zeitnah in die Ukraine gehen. Dann aber ergänzt durch Schlafsäcke, deren Bedeutung Broekmann durch seine Besuche in den Gräben, Bunkern und an den Linien aus erster Hand erkannt hat. „Die sind dort Mangelware.“ Wenn die Zeit gekommen ist, startet er im Vorfeld eine weitere Social-Media-Kampagne, um gezielt zu sammeln.

Für die Reparaturkosten sind bereits Spenden in Höhe von 1.000 Euro eingegangen. Wer etwas beitragen möchte, kann sich auf der Facebook-Seite von „5.000 Mahlzeiten“ informieren. Gespendet werden kann über Paypal oder persönlich.

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