GELDERN/EMMERICH/KREIS KLEVE. In einer gezielt durchgeführten landesübergreifenden Aktion haben nordrhein-westfälische und niederländische Behörden am 12. und 13. Februar Kontrollen von Unterkünften im deutsch-niederländischen Grenzgebiet durchgeführt. Insgesamt sechs Sammelunterkünfte in Geldern und Emmerich wurden dabei in Bezug auf Bauvorschriften, Wohnqualität, Überbelegung und Hygienevorschriften überprüft.
Dabei bestätigte sich der Verdacht einer organisierten Einschleusung von Arbeitnehmern, vorwiegend aus Rumänien und Bulgarien, sowie Mieter- und Arbeitnehmerausbeutung durch Unternehmen der Leiharbeit im deutsch-niederländischen Grenzgebiet. Die festgestellten Rechtsverstöße sollen ordnungsrechtlich geahndet werden. In den kontrollierten Unterkünften wurden unter anderem erhebliche Brandschutzmängel, Schimmel, Schädlingsbefall, fehlende Stromversorgung und weitere bau- und wohnungsrechtliche Mängel festgestellt. Es werden zudem voraussichtlich Nutzungsuntersagungen für einige Unterkünfte erlassen. Eklatante Verstöße gegen Arbeitsschutzrecht (Mindestlohn, Arbeitszeiten, Kündigungsschutz) werden die niederländischen Behörden zusätzlich ahnden. Dort wo es einen Anfangsverdacht von Steuerstraftaten gibt, werden zudem die Strafverfolgungsbehörden eingeschaltet.

In Geldern und Emmerich fanden am Wochenende die Kontrollen von sechs Sammelunterkünften statt. Foto: Land.NRW/MHKBG

Über 140 Personen wurden an den beiden Kontrolltagen von je 40 Mitarbeitern unterschiedlicher deutscher und niederlän-discher Behörden im Rahmen der Kontrollaktion kontrolliert und über ihre Schutzrechte aufgeklärt. Neben einer Vielzahl von kommunalen Behörden, wie Bauaufsicht, Wohnungsaufsicht, Ordnungsamt, lokale Feuerwehr und Gesundheitsamt, war auch der Arbeitsschutz der Bezirksre-gierung Düsseldorf, die Steuerfahndung sowie der staatliche niederländische Arbeitsschutz beteiligt. Für die Sicherheit der insgesamt 80 Mitarbeiter sorgten Aufgebote der Kreispolizeibehörde Kleve und der Bundespolizei. Die Kontrollaktion wurde vom Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes Nordrhein-Westfalen initiiert und koordiniert. Ministerin Ina Scharrenbach: „Mit der grenzübergreifenden Kontrollaktion von Sammelunterkünften ist uns ein Schlag gegen die menschenunwürdige Unterbringung von Arbeitnehmern gelungen. Die Landesgrenzen dürfen kein Hindernis sein, um gegen ausbeuterische Strukturen vorzugehen. Mit der erstmalig grenzübergreifend durchgeführten Kontrollaktion haben wir die Scheinwerfer auf prekäre Arbeits- und Wohnverhältnisse gerichtet und illegale Strukturen aufgedeckt, um Betroffene aus den menschenunwürdigen Bedingungen zu befreien.“

-Anzeige-

Modellregion Kreis Kleve

Auch Silke Gorißen, Landrätin Kreis Kleve, begleitete den Einsatz. Sie betont: „Skrupellose Unternehmer schlagen auf perfide Weise Profit aus der Not vieler Arbeitsmigranten aus Südosteuropa. Durch seine Nähe zu den verarbeitenden Betrieben in den Niederlanden ist der Kreis Kleve besonders stark von Zuwanderungen betroffen. Die Situation dieser Menschen können wir nicht tatenlos hinnehmen. Als Modellregion hat der Kreis Kleve die Möglichkeit, das Landesministerium bei der Bekämpfung der untragbaren Zustände mit Nachdruck zu unterstützen.“ Gelderns Bürgermeister Sven Kaiser dankte dem Ministerium von Ministerin Ina Scharrenbach für die Koordinierung dieses groß angelegten Einsatzes: „Zusammen mit den Mitarbeitenden unserer Verwaltung wurde die Aktion seit Monaten im Hintergrund akribisch vorbereitet. Wie in vielen Kommunen nahe der niederländischen Grenze beschäftigt uns die Leiharbeiter-Problematik auch in Geldern schon seit längerer Zeit. Die jetzt durchgeführte Aktion ist deshalb auch ein deutliches Signal an die Hintermänner dieses Systems, dass die Landesregierung und die betroffenen Kommunen nicht nur jetzt, sondern auch in Zukunft Hand in Hand entschlossen gegen dieses System des Menschenhandels und der Ausbeutung vorgehen werden, um die bestehenden Missstände zu bekämpfen.“
Viele Arbeitnehmer sind in Sammelunterkünften grenznah auf der deutschen Seite untergebracht und arbeiten auf der niederländischen Seite – jeweils unter prekären Bedingungen, erklärt das Ministerium. Sie würden in den Niederlanden unter unwürdigen Arbeitsbedingungen beschäftigt. Vor allem Leiharbeitsunternehmen, vorwiegend mit Geschäftsbeziehungen in die fleischverarbeitende Industrie, würden solche Strukturen aufbauen. Alleine im Kreis Kleve (mit den Städten Geldern und Emmerich) gehen Schätzungen davon aus, dass etwa 2.000 Arbeitsmigranten betroffen sind.
„Die grenzüberschreitende Kontrollaktion war und ist ein erster wichtiger Schritt, um Missstände auf beiden Seiten der Grenze aufzudecken und zu bekämpfen. Nur so lassen sich auf Dauer angemessene Arbeits- und Wohnbedingungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Griff kriegen“, so Ministerin Scharrenbach weiter.

„Wohnraumstärkungsgesetz ist ein scharfes Schwert“

Mit dem zum 1. Juli 2021 eingeführten Wohnraumstärkungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen wurden die Kommunen bei der Überprüfung von Gebäuden und Unterkünften, die für die Unterbringung von Arbeitnehmer genutzt werden, in ihren Befugnissen gestärkt. Das Ministerium für Heimat Kommunales, Bau und Gleich-stellung hat zudem parallel dazu Strukturen für eine koordinierte Zusammenarbeit mit den Niederlanden entwickelt. Nun erfolgte die Kontrollaktion auf deutschem Boden. Den Grundstein für die durchgeführten Maßnahmen wurden im Dezember 2020 im Rahmen der Regierungskonsultationen mit den Niederlanden gelegt.
„Das Wohnraumstärkungsgesetz ist ein scharfes Schwert, was wir den Kommunen an die Hand gegeben haben, damit sie Missstände beseitigen können. Wir helfen ihnen, wie bei der jetzigen Kontrollaktion dabei, es auch zu nutzen. Deshalb war das erst der Anfang. Weitere Aktionen wie diese werden folgen, damit wir den Sumpf von ausbeuterischen Strukturen trockenlegen und menschenunwürdige Unterkünfte auflösen“, kündigt Ministerin Scharrenbach an.

Vorheriger Artikel7-Tage-Inzidenz im Kreis Kleve liegt bei 1.120,6
Nächster ArtikelVon der Keimkraft des Krieges