ARD-Beitrag stellt ‘Klever Modell’ vor

KLEVE. Eine Geschichte ist kein Abstraktum. Das wäre wie ein Film ohne Darsteller. Die Gefahr: Manchmal identifiziert man den Inhalt mit den Darstellern: Eine irgendwie untrennbare Verquickung entsteht.

Ein ‘Patent’ aus dem Kreis Kleve

Am kommenden Dienstag berichtet die ARD um 23.45 Uhr über das Klever Modell – es handelt sich um eine Art Patent – entwickelt von und bei der Kreispolizeibehörde Kleve. „Echtes Leben: Die Nachricht vom Tod“ ist die Geschichte einer irgendwie perfekten Idee – entlang erzählt an einer Figur: Johannes Meurs. Meurs war Polizist – zuletzt jahrelang Hauptverantwortlicher für den Opferschutz der Kreispolizeibehörde Kleve. Vergangenheit. Und dann auch wieder nicht. Meurs ist (in den Ruhestand) gegangen – das „Klever Modell“ ist – zum Glück – geblieben.

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Todesnachricht

Kern des Klever Modells ist der Umgang mit Benachrichtigungen im Fall von unerwarteten Todesfällen. Wer eine solche Situation niemals erlebt hat (erleben musste), wird sich fragen, was es da groß zu regeln gibt. Wer mit Johannes Meurs und seinen Mitstreitern spricht, hörte haarsträubende Beispiele, die im Kreis Kleve dank des Klever Modells Vergangenheit sind. Aber die Kreispolizeibehörde (KPB) Kleve ist nur eine von 47 weiteren im Land Nordrhein-Westfalen. Immer wieder taucht die Frage auf, warum etwas, das einen essentiellen Unterschied zum Positiven bedeutet, nicht längst Teil eines landesweiten Vorgehens geworden ist. Im Text zur Dokumentation heiß es: „Was Meurs vor zwei Jahrzehnten bei einer Befragung von Angehörigen zu hören bekam, warf kein gutes Licht auf die Polizeiarbeit in Krisenmomenten: Keine Zeit, schlechte Erreichbarkeit, fehlende Informationen. Das sollte im Raum Kleve kein Angehöriger mehr erleben müssen. Meurs gründete am Niederrhein ein Bereitschaftsteam aus freiwilligen Polizisten. Immer zwei Kollegen stehen rund um die Uhr bereit, um Angehörige zu benachrichtigen und für sie da zu sein. Das Ermitteln übernehmen andere. Davon profitieren nicht nur die Angehörigen, sondern auch die Polizisten selbst. Intensiv vorbereitet zu sein auf diese belastende Aufgabe und das Gefühl zu haben, helfen zu können, ist auch Schutz für sie.“ Ein Stück Text für die Vorberichterstattung zur Reportage von Andrea Wiehager-Philippi und Britta Thein, in dem es auch um die Frage geht: Was wird aus dem Klever Modell? Antwort: „Das System zahlt sich aus. […] Was wird aus […]dem ‚Klever Modell‘? Warum ist es nicht längst Standard in allen deutschen Dienststellen?“

Es geht um die Sache

Meurs ist es wichtig, „dass der Beitrag nicht personenbezogen zu sehen ist. Es geht nicht um mich. Es geht um die Sache. Was bei der Kreispolizeibehörde Kleve entwickelt worden ist und funktioniert, braucht Aufmerksamkeit.“ Ein bundesweit ausgestrahlter Beitrag kann, denkt man, nur hilfreich sein, wenn man begreift, dass es um Zustände gehen muss und nicht um Zuständigkeiten.
Die Drehgenehmigung für die (acht Wochen dauernden) Dreharbeiten war nicht einfach. „Das lag allerdings vor allem an der Corona-Situation“, erinnert sich Andrea Wiehager-Philippi. Die Tatsache, dass das Klever Modell am Beispiel von Jonas Meurs beschrieben und erklärt wird, sieht Wiehager-Philippi nicht problematisch. „Wir haben natürlich lange vor Drehbeginn mit den Recherchen zum Thema begonnen und aus unserer Sicht war Meurs die Identifikationsfigur.“ Wichtig sei nun, so sehen es sowohl Meurs als auch Wiehager-Philippi, dass ein unglaublich wichtiges Thema in den Fokus der Öffentlichkeit gestellt werde. Es gehe um die Sache und nicht so sehr um die handelnden Personen.

… und jederzeit in der Mediathek

Ist es nicht schade, dass ein wichtiges Thema quasi ins Nachtprogramm „geschoben“ wird? Wiehager-Philippi: „Der Beitrag ist ja auch in der ARD-Mediathek zu sehen. Da schaut jeder, wann er möchte.“ [Der Beitrag wird nach neuesten Informationen bereits ab Sonntag, 6. Februar in der ARD-Mediathek zur Verfügung stehen.] Der Beitrag wird übrigens mit folgender „Schlusseinblendung“ enden: „Polizei ist Ländersache. Laut Innenministerium NRW haben hier nun einzelne Polizeibehörden vergleichbare Modelle wie die Klever eingeführt.
Noch 2022 sollen landesweite Qualitätsstandards erarbeitet und in allen Kreispolizeibehörden umgesetzt werden.“ Das klingt gut.

Das Klever Modell und der Opferschutz

Aus dem Archiv: Anmerkungen zum Klever Modell

Das Klever Modell hat nicht den Tod besiegt, aber es hat, so man denn angesichts des Sterbens davon sprechen kann, dem Überbringen von Todesnachrichten eine andere Form gegeben. Rund 20 Polizisten im Kreis Kleve arbeiten mit. Wenn heute ein Unfall mit Schwerstverletzten oder Toten passiert, läuft auf der Polizeiseite ein genauer festgelegtes „Programm“ ab. Und das sieht wie folgt aus: Die Leitstelle – also die Einsatzzentrale der Po-

lizei – benachrichtigt die beiden Kollegen vom Opferschutz, die jeweils eine Woche lang Bereitschaft haben. Die Opferschützer informieren die Rettungswache. Von hier aus wird ein Notfallseelsorger benachrichtigt. Rund eine Stunde und nicht länger sollte das Zeitfenster
geöffnet sein, das sich mit dem Überbringen der (Todes)Nachricht schließt. In dieser Zeit versuchen Japsers und seine Kollegen, ein Maximum an Informationen zusammen zu tragen. Diese Informationen beziehen sich sowohl auf die Angehörigen des Opfers als auch auf den
Hergang des Unfalls. „Die Angehörigen haben meist sehr schnell konkrete Fragen, und es ist unsere Pflicht, diese Frage möglichst genau beantworten zu können”, erklärt einer der Beamten.

NICHT PLANBAR
Seelsorger und Opferschützer vereinbaren einen Treffpunkt, tauschen die Informationen aus und fahren dann zur Benachrichtigung los – zu dritt. Alleine in einer solchen Situation zu stecken – das wissen die Kollegen längst – ist eine Arbeit, die niemand
leisten kann. Was im Augenblick des Überbringens passiert, ist ohnehin nicht planbar. Das Spektrum reicht von Aggression bis zum völligen Zusammenbruch. Es kommt auch vor, dass Angehörige nach kurzer Zeit sagen: „Ich bin okay. Sie können jetzt gehen.“ Eine Aufforderung, die nicht ohne weiteres befolgt wird. „Darauf reagiere ich in der
Regel mit ‘Ja, aber’: Ja, das ist klar, aber, wir würden gerne noch so lange warten, bis Sie jemanden benachrichtigt haben, der sich um sie kümmen kann.“

Ruhe und Sachlichkeit. Eben das ist es, was bei einem Einsatz wichtig ist. Das heißt nicht, dass da kein Mitgefühl wäre, Im Umgang mit dem Tod allerdings ist Professionalität eine schwere Belastung und man fragt sich, wie einer sowas wegstecken kann. „Das geht
nur, weil sich auch um uns jemand kümmert.“ Selbst mit dieser Hilfe ist noch immer genügend Belastung vorhanden, und die bleibt nicht in der Uniform stecken, wenn der Einsatz beendet ist.Was passiert, wenn jemand außerhalb des Kreises bei einem Unfall ums Leben
kommt? „Dann stellen wir zunächst Kontakt zu der entsprechenden Polizeidienststelle her und versuchen, mit den Kollegen zu sprechen, die vor Ort im Einsatz waren.“ Der Schmerz für Angehörige oder Lebensgefährten ist ein kaum nachvollziehbares Martyrium. Die Beamten sind angetreten, weitestgehende Unterstützung anzubieten und man kann froh sein, dass es das Klever Modell gibt, denn anderswo ist es noch immer üblich, dass „irgendwer“, der gerade im Einsatz ist, zur Benachrichtigung losgeschickt wird. Tod und Schwerstverletzung lösen bei den Nahestenden oft genug ein schweres Trauma aus, denn das Sterben gehört in einer Zeit, die wie keine andere wissenschaftliche Fortschritte gemacht hat, zu den Unsagbarkeiten. Der Tod findet im Fernsehen statt – hinter Mattscheibenglas und nicht in den eigenen vier Wänden.

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