Willkommen in Moyland

BEDBURG-HAU. Da also sitzt sie – die Neue. „Moin“, sagt die, die ab April die künstlerische Leitung in Moyland übernehmen wird. Ihre Ernennung: Endpunkt einer professionellen Auswahl und eines einstimmigen Votums von Vorstand und Kuratorium.

Leitungsduo

Dr. Antje-Britt Mählmann spricht über ihren künstlerischen Werdegang, sie spricht über Schwerpunkte ihrer künftigen Arbeit, sie spricht von der Freude auf die Zusammenarbeit mit dem Team, dem Vorstand und der Kollegin Julia Niggemann. Mählmann und Niggemann: das neue Leitungsduo. Für Kunst zuständig die Eine – für Personal und Verwaltung die Andere.

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Geistige Häfen

Natürlich ist es interessant zu erfahren, was jemand vorher gemacht hat. Es geht um geistige Häfen. Gleichzeitig fühlt man sich an Kinowerbung erinnert, wo es häufig nicht um einen neuen Film geht, sondern um den Film der Macher von Soundso. Hypnoseversuche. Qualität von gestern muss nicht Qualität von heute sein.

Zuletzt

Zurück zum „Moin“. Mählmann war zuletzt – eigentlich ist sie‘s noch – Leiterin der Kunsthalle St. Annen in Lübeck und war zuvor wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Kunsthalle Emden. Man erfährt, dass die Neue unter anderem eine Ausstellung zum Thema Flucht und Migration und die internationale Sonderausstellung „The American Dream“ kuratierte. „Als letzte Schau für die Lübecker Kunsthalle bereitet Mählmann derzeit ‚Female View‘ vor.“ Es geht um Kunstfotografinnen von der Moderne bis zum digitalen Zeitalter.

Ehrgeizige Ziele

Zurück zum Aufbruch: Mählmann hat ehrgeizige Ziele. Es müssen, sagt sie, mehr Besucher kommen zu Schloss und Park. Ob sie Zahlen nennen könne, fragt einer der schreibenden Kollegen. „Nein“, sagt Mählmann, aber „mehr geht immer“, sagt sie und: „Egal, wie hoch die Zahlen sind, wir verdoppeln.“ Eine stramme Ansage. Natürlich ist auch Missions-Lyrik zu vernehmen: Für das Museum Schloss Moyland sieht sie [Mählmann] „eine Öffnung hin zu einer beweglicheren und performativen Prozesshaftigkeit  vor“. So steht es im Pressetext. Na bitte – ein bisschen klingt das, mit Verlaub, nach einem Produkt aus der Textbausteinfabrik.

Performation, Vernetzung

Mählmann sieht Museen als Orte der Performation, der Vernetzung, der Kommunikation. Alles, was sie vorher gemacht habe, bringe sie mit an diesen Ort. Die Grenznähe sieht sie als Ansporn. Besucher aus den Niederlanden sollen mehr in den Blick genommen werden.

Gleichgewichtungen

Und dann das Gleichgewicht: Kunst – das ist für Mählmann die Summe aus Künstlerinnen und Künstlern. Es geht um Ausgewogenheit. „Darauf achte ich sehr.“ Mählmann spricht von kuratorischer DNA, vom Dialog mit der zeitgenössischen Kunst, vom Experimentierfeld, vom Museum als Raum für Innovation und von der Niedrigschwelligkeit, von Event-Kultur, von einem offenen Schloss, wo man mit Freude an der Kunst nachdenke. „Für die Arbeit mit Sammlungsbeständen versucht sie, jenseits der klassischen Forschung, Präsentation und Vermittlung, stets auch experimentelle Zugänge und Neuinterpretationen zu finden – vorzugsweise in enger Zusammenarbeit mit zeitgenössischen Künstler:innen.“ So steht es da: schwarz auf weiß. Mählmann, heißt es weiter, „möchte lebendiges künstlerisches und kunsthistorisches Wissen zusammenführen. In diesem Zusammenhang sind speziell auch Fotografie, Film, Installation und neue Medien von großem Interesse für die Bespielung des Gesamtensembles aus Ausstellungsräumen, Schloss und Park“.

Mikro-Ausstellungen

In die Ausstellungsplanung wird die Neue spätestens im Folgejahr eingreifen. Haltstopp. Schon 2022 werden, deutet sie den Kuratorenkollegen an, in deren Projekt Mikro-Ausstellungen und Performances „aufploppen“.  Das könnte, denkt man, spannend werden. Aber wie sagte der Niederrhein-Experte Hanns-Dieter Hüsch einst: Kann schön sein – muss aber nicht.

Höheres Maß an Identifikation

Ein letzter Blick auf die Ziele: Die Ziele der neuen Direktorin, heißt es, seien “außer der Öffnung des Hauses im Sinne der Ansprache erweiterter Zielgruppen auch die Maximierung der Besucherzahlen [check], die optimierte Ansprache des niederländischen Publikums [check], die Gewinnung neuer musealer und künstlerischer Kooperationspartner und eine stärkere Zusammenarbeit mit kunsthistorischen Instituten, Archiven und Kunsthochschulen der Region. Neue ‘dialogische und digitale Kunstvermittlungsformate’ sollen ebenfalls entwickelt werden und für ein noch höheres Maß der Identifikation des Publikums mit dem Haus und seinen Angeboten sorgen. Kunstevents und spektakuläre Installationen sorgen für weitere Belebung.” Jetzt müsste man die Vorgänger-Zielvorstellungen zur Hand haben. Vergleiche könnten sich als aufschlussreich erweisen. Fest steht: Es gibt viel zu tun im Kunstschloss und der Neuen möge nicht die Puste ausgehen.

Kommentar

De mortuis…: nichts Schlechtes über die Toten. Auch über die Neuen nicht. Sie sind ja Unbekannte…
Vielleicht gibt es Stühle, auf die man sich mit Vorsicht (oder gar nicht?) setzen sollte. Vielleicht gehört der Stuhl der künstlerischen Leitung des Museums Schloss Moyland dazu. Zwei van der Grintens haben Platz genommen. Das läuft außerhalb der Konkurrenz. Dann kam Christoph Schaden, dem keine lange Regierungszeit beschieden war. Ein lautloser Abgang. Es folgte: Peter Dehring. Endbestimmung: die Versenkung. Es kam Bettina Paust – eine aus den eigenen Reihen. Die große Hoffnung. Rettung aus dem Inneren. Sie hielt sich. Und dann wieder nicht. Es folgte eine lange Zeit des Vakuums. Ein leerer Stuhl. Kommissarische Leiterin: Barbara Strieder. Hier wäre auch noch Ron Manheim zu nennen. Auch ein Leitungskommissar. (Er ging 2008.) Zurück zur Strieder-Zeit, die ja – streng genommen – noch andauert: Es lässt sich nichts Aufsehenerregendes berichten aus dieser Zeit. Geräuschlosigkeit kann erholsam wirken.
Jetzt also – nach langer Vakanz: die Neue. Im April wird sie antreten. Die erste Vorstellung: jetzt – im Januar. Das Jahr bricht auf.
Längst weiß man – falsch: längst glaubt man zu wissen, dass, wer in Moyland die künstlerische Richtung vorgibt, als Gegenpart nicht die Kunst zu zähmen hat sondern all die hintergründigen Machtkonstruktionen, angesichts derer man und auch frau schnell zum Frühstücksdirektor in einem Schattenreich werden kann. Visionen? Damit ist es bekanntlich so eine Sache. Nein, frau muss vielleicht nicht zum Arzt (das sagte einst Schmidt-Kanzler), aber mit eben jenen Schattenkabinetten, die den Museumsgeist aufrecht erhalten, muss man eine Chemie entwickeln. Es geht um den Aufbruch ins Heiligtum.
Moyland hat goldene Zeiten erlebt. Immer lagen Glorie und Glosse nah beieinander. Was waren das für Zeiten, als Haus und Vorburg üppig bespielt wurden – als die Vorstellung des Jahresprogramms sich allein schon abendfüllend gestaltete. Und jetzt? Nichts in der Vorburg. Die Ausstellungshalle zum Depot umfunktioniert. Das Schloss: ausstellungstechnisch geschrumpft. Schade eigentlich. Aus dem Weltenspielplatz ist… ja was ist eigentlich daraus geworden? Die Antwort fällt schwer, denn das Nachdenken über Moyland – Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft – ist von Melancholie umspielt und von Trauer gesäumt. Aber jetzt kann ja – wieder einmal – alles anders werden. Der Pessimist denkt: Es kann nur besser werden. Ist das nicht der Optimist, der da spricht? Das hängt doch vom Standpunkt ab. Moyland – daran hat sich nie etwas geändert – hat Potenzial. Moyland ist ein Kunstdornröschen im Kampf mit den Unbilden des Sichselbstüberholenwollenmüssens. Soll man die Neue um ihren Platz beneiden? Wahrscheinlich nicht. Soll man alles Gute wünschen: Auf jeden Fall. Soll man Mut wünschen: Ganz bestimmt. Was legt man noch ins Begrüßungskörbchen: Ausdauer. Kommunikations-Talent bei der Ebenenverbindung. Richtungswillen. Bodenhaftung. Begeisterungsfähigkeit. Ist das hier ein Ausschreibungstext? Fast wär‘s denkbar. Zu spät: Die Stelle ist besetzt. Alles Gute für Schloss und Inhalte – für‘s Team und das, was man heute Spirit nennt.

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