Könnte echt sein …

KLEVE/KALKAR. „Muss man wirklich anreisen? Nur für eine Verhandlung? Es würde doch auch anders gehen. Was soll denn das? Einfach skypen: Den Ausweis in die Kamera halten – dann wäre doch klar, wer man ist. Eine Posse ist das doch. Hunderte Kilometer ist man angereist. Am Vortag schon. So ein Quatsch.“

Ist das der?

Zwei Angeklagte, fünf Zeugen. Einer heißt Lüpertz. Ist das denn der Lüpertz? Der Malerfürst? Ja. Ist er. Bekannt aus Medien und Museen. Es wird um Kunst gehen, oder das, was Laien einerseits und Experten andererseits dafür halten. Original und Fälschung also: Was für ein Thema! Es wird um Gläubigkeit gehen – um Erfahrung und am Ende um enttäuschte Liebe und verlorenes Geld. Kunstkauf ist ein Appell an die Eitelkeit. Den Lamborghini kann jeder haben, wenn die Zahlen auf dem Konto stimmen. Aber der Richter an der Wand? Ein Unikat. Da liegt der Reiz: Mit der Kunst in die Einmaligkeit aufzusteigen. Ein Parkplatz neben der Unsterblichkeit. Kunstwerke erzielen astronomische Summen. Der Kunstmarkt: Ein Spielplatz.

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Eine Urkunde

Vor Gericht, das sei noch erklärt, ist ein gefälschtes Bild, so es denn mit einer Signatur versehen wurde, eine Urkunde. Es wird also um Urkundenfälschung gehen und um die Inverkehrbringung einer gefälschten Urkunde. Was heißt hier eine? 19 Fälle sind angeklagt. Entstandener Schaden: 85.500 Euro. Kunst aus der Oberklasse. Lüpertz gehört zu den Big Ten der deutschen Kunstszene.

Aus steuerlichen Gründen

Zwei Männer, Herr X. und Herr Y. sollen – behauptet die Anklage – Urkundenfälschung begangen (also Fälschungen selber hergestellt) und die Fälschungen sodann verkauft haben, um sich zu bereichern.
Es geht um die Kunst des Herrn Lüpertz, der es vorgezogen hat, von seiner Zeugenladung keinen Gebrauch zu machen. Der Fürst ist nicht erschienen. Man hat schon erlebt, dass Zeugen in einem solchen Fall mit einer Geldstrafe belegt wurden. Das Fernbleiben des Herrn L. wird festgestellt. Mehr nicht. Gelten Sonderregelungen? Das wird anderweitig zu klären sein. Von den fünf Zeugen bleiben also vier übrig. Zwei von ihnen sind die Anzeige-Erstatter. Herr B.: Galerist aus dem Süden. Er gibt als Beruf Rentner an. Frau B. ist die Besitzerin der Galerie. Mehr nicht. Die Geschäfte führt ihr Mann. Aus steuerlichen Gründen. Den B.s jedenfalls sind (hört man richtig?) 85.500 Euro Schaden entstanden. Sie haben ja Fälschungen erworben, die ihnen von X. und Y. verkauft wurden. Die sollen – siehe oben – die Fälschungen selbst gemalt/gezeichnet und mit der Signatur des Malerfürsten versehen haben.

Hundebiss

Herr X. ist Rentner und war einst Grafiker, Herr Y. ist Altenpfleger. Die beiden also sollen die Fälschungen hergestellt haben. Herr Y. ist schnell raus aus der Nummer: drei linke Hände. Kunst ist ja nur sein Hobby. Herr X. wäre ein Kandidat, wenn da nicht dieser Hund gewesen wäre, der X. in die Hand biss und diese damit einsatzunfähig machte. Herr X. zeigt grausige Fotos eines zerbissenen Daumens. Okay, denkt man: Urkundenfälschung mit einer solchen Hand dürfte unmöglich sein.
Bleibt der Vorwurf: X. und Y. wussten, dass sie Gefälschtes zum Verkauf anbieten. Kurz vorher noch die Frage: Wenn sie‘s nicht selber gemalt/gezeichnet haben – woher stammt die Kunst?

Das Feldmann-Phantom,

Imaginär betritt ein Herr Feldmann die Arena. Aus dem Ruhrgebiet soll er stammen. Sammler soll er sein. Einer, der – um nach Thailand auszuwandern – seine Sammlung versilbert. Schnäppchenpreise. Feldmann kommt eines Tages in die Galerie in Kalkar. Man lernt sich kennen. Später dann bietet der Mann aus dem Ruhrgebiet Lüpertz zu Schnäppchenpreisen an. „Kam Ihnen das nicht komisch vor?“, fragen Richerin und Staatsanwältin. „Nein“, antworten X. und Y..

Kunstpreise: Immer in Schwankung begriffen. „Sie müssten doch Genaueres über Herrn Feldmann wissen. Der hat Ihnen schließlich Kunst zum Verkauf überlassen.“ Das staunende Publikum (es ist einzig der Verfasser dieses Berichts) erfährt: „Das ist so üblich.“ „Einer, der Ihnen Kunst überlässt, lässt sich das nicht quittieren?“ Erstaunen liegt in der Luft. „Das ist nicht üblich.“ Aha. Andere, denkt man, stellen sich zum Goldwaschen in einen Fluss oder graben Berge um. Es scheint auch anders zu gehen. Gewinnspanne beim Verkauf: 100 Prozent. Gern auch mehr. Darf‘s denn eine Quittung sein? Nicht nötig. Danke. So erfährt man es und sollten nun Galeristen sich in ihrer Ehre gekränkt fühlen, sei mitgeteilt, dass all das eben so gesagt wurde. Natürlich hatte sich auch Herr B. einen Gewinn versprochen. Die Wertschaffungsspirale. War er, B., sicher, echten Lüpertz zu kaufen? Ja. War er.

Zertifikate

Abenteuerlich? Vielleicht. Aber: flugs anschnallen – es kommt noch besser. Zu den Lüpertz-Werken gab es Zertifikate von der Galerie. Echter Lüpertz. Stempel drauf. Fertig. Der Galerist bescheinigt dem Bild nach bestem Wissen und gutem Glauben, dass es echt ist. Und ja: Herr X. war sicher, dass er da mit echtem Lüpertz handelt. Das ist, denkt man, noch fantastischer als es klingt. Der Kunstmarkt: Ein Durchlauferhitzer. Bei Aktien sollte man beim Manipulieren der Kurse Vorsicht walten lassen. Am Kunstmarkt laufen die Hasen anders.
Aber wie ist das nun: Konnte X. wissen, dass er falschen Lüpertz verkaufte? Herr C. sagt „Nein“. C. ist Assistent des Malerfürsten. Eigentlich ist C. die rechte Hand des Meisters. Seit 40 Jahren arbeitet er für ihn. C. sagt, er kenne sich aus. Kunstexperten sind – wie soll man sagen – Graphologen: Sie kennen sich aus mit Künstlerhandschriften – mit dem Duktus, mit den Sujets. Richterin und Staatsanwältin outen sich: Sie sind keine Kunstexpertinnen. Kennen sich nicht aus.

Auf 3. Blick – vielleicht …

Herr C. wird gefragt, ob er Herrn X., den er seit 25 Jahren kennt, zutrauen würde, die Fälschungen, die hier in Rede stehen, zu erkennen. C. sagt „Nein“. X. wird sich freuen. Er hat ja gesagt: „Für mich stand die Echtheit außer Frage.“
Und C. sagt: „Auf den ersten Blick ist das Lüpertz. Auf den zweiten Blick auch.“ Erst beim dritten Blick wird es also interessant und niemand weiß, wie oft X. hingeschaut hat. C. jedenfalls hätte sich, sagt er, in einem solchem Fall rückversichert. X. hielt das nicht für nötig. Er war doch sicher. Könnte echt sein. Das ist nicht strafbar. Ein Geschäftsmodell? C. sagt auch noch, dass er lieber nicht wissen möchte, wie viel Gefälschtes in den großen Museen der Welt an den Wänden hängt oder in den Archiven liegt. „Mancher Fälscher ist ja besser als der Meister, den er kopiert.“

Verdacht

Zurück zum Fall: Das Ehepaar B. hatte sich irgendwann an den Malerfürst gewandt und um Begutachtung einiger Werke gebeten. Verdachtsmomente waren entstanden. Man packte die Lüpertz-Werke in den Wagen, legte sie dem Fürsten vor und der sonderte aus. Manches von ihm – anderes nicht. Auf der Gefälscht-Seite landeten … die Arbeiten der B.s, die sie in Kalkar erworben hatten. Sie erstatteten Anzeige. Die Galerie wurde „hoch genommen“. Die Sache kam ins Rollen: Betrug im ganz großen Stil?

Freispruch?

Und jetzt? Die Urkundenfälschung? Vom Tisch. Der Betrug? Auch. Es müsste ja ein Vorsatz da gewesen sein. Der ist nicht nachzuweisen. Das sieht auch die Staatsanwältin so. Sie plädiert auf Freispruch. Sie braucht kaum fünf Minuten.
Eigentlich, denkt man, könnte jetzt X.s Verteidiger aufstehen und sich dem Wunsch nach Freispruch anschließen. Von wegen. Es muss geredet werden. Lang. Und breit. Ein Plädoyer für die Galerie. Da ist er: der doppelte Wortsinn. Die Verteidigerin von Y. macht es kurz. „Ich muss die Geschichte nicht zum dritten Mal erzählen“, sagt sie und man möchte ihr um den Hals fallen. Dreieinhalb Stunden sind seit dem Startschuss vergangen.
Auch die Richterin macht es kurz. Sie muss nicht lange überlegen: Freispruch aus tatsächlichen Gründen. Den B.s kann das nicht gefallen. 85.500 Euro sind, pardon, zum Teufel.
X. und Y. haben ohne Vorsatz gehandelt. Herr Feldmann bleibt ein Phantom. Schlechte Karten für die B.s. Herr B. weiß nicht, was mit den Fälschungen zu tun ist. „Muss ich die jetzt vernichten?“ „Sie sollten die zumindest nicht in den Handel bringen“, sagt die Richterin. „Oder Sie sagen, dass die nicht echt sind“, sagt der Verteidiger.

Schtonk

Man denkt an Schtonk – diese wunderbarste alle (deutschen) Komödien. Es geht im Zentrum um die Hitlertagebücher. Uwe Ochsenknecht gibt den Kunstfälscher Kujau. Der hat lange begriffen, dass mit brauner Kunst gut Kohle zu machen ist. Also fälscht er ein Portrait der Eva Braun. „Der Führer hat es gemalt“, erzählt er einem steinreichen Fan. Der kauft das Bild für 10.000 Mark und als Ochsenknecht gerade dabei ist, den echten Hitler im Schloss seines Kunden an die Wand zu hängen, nähert sich der mit einem sehr seriös gekleideten alten Herrn. Es ist Herr Professor Soundso – erster Sachverständiger in Sachen Führerkunst. Dem Fälscher, man sieht es, bricht der kalte Angstschweiß aus. „Auch Experten können sich mal irren“, bereitet er seinen Untergang vor und der Experte erwidert: „Das überlasse ich dann Ihnen, Herr Kollege.“ Es gibt jetzt, denkt man, keinen Ausweg mehr … Experte: „Das ist zweifellos ein unbekanntes Bild.“ Ochsenknecht: „Was anderes habe ich nie gesagt. Auch mir war es bisher unbekannt.“ Experte: „Ihnen vielleicht, Herr Kollege, aber mir nicht.“ Ochsenknecht: „Ihnen nicht?“ Experte: „Nein. Ich war nämlich dabei, als er es gemalt hat.“

Wunschbilder

Genialer ist nie über den Kunstbetrieb und seine Eitelkeiten berichtet worden. Jeder Experte ist besser als alle anderen. Und natürlich kann, wer die richtige Diagnose stellt, glänzen und … Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Vielleicht demnächst auf Lüpertz und die anderen verzichten und das Wunschbild beim Künstler des Vertrauens aus dem Atelier kaufen. Wenn der sich dann selbst gefälscht hat, ist es auch egal. In Wien – das sei für Liebhaber erwähnt – befindet sich on der Löwengasse 28 das Fälschermuseum. Ein Rat von dort: Wenn einer kommt, dir die Mona Lisa anbietet und sagt, im Louvre hinge die Fälschung, ist Vorsicht geboten.
Herr und Frau B. werden mit einem Verlust leben müssen. X. und Y. dürfen zufrieden sein. Haben Sie Schulden?“, hatte die Richterin X. gefragt und der antwortete: „67.000 Euro. Beim Finanzamt.“

Infos

Das Fälschermuseum in Wien

Ein interessantes Buch, in dem es um Wissen und Intuition geht ist “Blink!” von Malcolm Gladwell. ISBN: 978-3-492-24905-8 (Piper, 2007)

NN-Foto: Rüdiger Dehnen
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