NIEDERRHEIN. Sein Job ist oft anstrengend, manchmal auch ein wenig frustrierend. „Trotzdem ist es immer noch mein Traumberuf“, sagt Alexander Scholz lächelnd. Der 50-jährige Straelener ist Berufskraftfahrer bei der Spedition Gellen in seiner Heimatstadt. Seit 32 Jahren ist er auf Europas Autobahnen unterwegs, hat Länder wie Großbritannien, Italien, Österreich, die Niederlande vom Bock aus gesehen. „Ich sage immer: Ich arbeite nicht – für mich ist es mein Hobby“, verrät Scholz mit einem Schmunzeln. Doch er weiß auch: Sein Berufsstand steuert auf eine Krise zu, die – wie schon in Großbritannien – Deutschland ebenfalls betreffen kann.

In dritter Generation nimmt Scholz hinter dem Steuer Platz. Sein Großvater fuhr mit der Lkw Gemüse von Straelen nach München. „Das hat damals eine Woche gedauert“, erzählt Scholz, „ohne irgendwelchen Komfort. Sie mussten im Straßengraben schlafen, weil es noch keine Schlafkabinen gab.“ Auch sein Onkel fuhr Gemüse für einen lokalen Händler. „Ohne ihn hätte ich diesen Beruf wahrscheinlich nie ergriffen. Mit ihm habe ich zum ersten Mal im Lkw gesessen – da war ich sofort angefixt.“
Die Faszination für große Maschinen begleitet Scholz seit frühester Kindheit, auch reizte ihn seinerzeit die Aussicht auf weite Reisen. Der Vater sah den Berufswunsch seines Sohnes dagegen deutlich kritischer: „Er war technischer Zeichner und hat sich dagegen gewehrt, dass ich Lkw fahre. Er wusste durch meinen Opa, was es für die Familie bedeuten kann“, sagt Scholz.

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„Meine Frau hat von Beginn
an die Familie gemanagt“

Denn als Berufskraftfahrer, gerade im Fernverkehr, ist man viel unterwegs. Oft sitzt man am Wochenende hinterm Steuer, wenn der Freundeskreis feiert. „Der leidet sehr“, gesteht Scholz. Auch der Familie wird einiges abverlangt. Seit 30 Jahren ist Scholz verheiratet, hat zwei Kinder und zwei Enkel. „Ich muss es meiner Frau hoch anrechnen, dass sie von Beginn an die Familie gemanagt hat“, sagt er.
Doch der Familienaspekt ist es nicht, der ihn dieser Tage beschäftigt, wenn es um seinen Beruf geht. Auch Scholz weiß, dass Deutschland ähnliche Verhältnisse drohen wie Großbritannien: leere Regale in Supermärkten und geschlossene Tankstellen. Denn in der Bundesrepublik fehlen bereits heute zwischen 45.000 und 80.000 Fahrer, schätzen, die unterschiedlichen Berufsverbände, Gewerkschaften und Kammern. Bis Ende des Jahrzehnts könnten es laut einer Studie des Bundesverkehrsministeriums schon mehr als 185.000 sein.

„Wir müssen draußen bleiben!“

Alexander Scholz vor seinem Scania V8.NN-Fotos: Rüdiger Dehnen

Bei den Ursachen für den Fahrermangel sind sich Gewerkschaften und Kammern weitgehend einig: Die Löhne sind je nach Einsatzart unterdurchschnittlich, dafür gibt es unregelmäßige Arbeitszeiten, und die Arbeitsbedingungen gelten allgemein als schwierig. „Der Lohn ist unter vielen Fahrern ein Thema“, bestätigt Scholz. Seine Erfahrung ist: „Eigentlich kämpft jeder Fahrer bei seinem Bewerbungsgespräch selbst um sein Gehalt.“ Doch gibt es Dinge, die für ihn und seine Kollegen seiner Ansicht nach nicht minder schwer wiegen, etwa die Umgangsweise mit Lkw-Fahrern. Diese sind im besten Fall mitunter als „fragwürdig“ zu bezeichnen.
Ein Beispiel: In einem Zentrallager eines großen Lebensmittelhändlers hängt ein Schild mit der Abbildung eines Lkw und der Aufschrift: „Wir müssen draußen bleiben!“ Für Scholz ein Unding: „Warum schreibt man nicht einfach: ‚Zutritt nur für Mitarbeiter‘?“ Dass hier ein Lkw-Fahrer mit einem Hund gleichgesetzt wird, darüber kann er nicht lachen, zumal es eben den allgemeinen Umgangston wiedergibt – nicht immer, aber immer öfter klagen Fahrer über fehlenden Respekt. „Wir ‚alten‘ Fahrer haben ein starkes Kreuz und können das ab“, sagt Scholz, „aber jüngeren Fahrern geht das schon nahe. Sie fragen sich: Muss ich mir das wirklich antun?“ Der Zustand der deutschen Straßen, die zahlreichen Langzeit-Baustellen auf den Autobahnen, fehlende Lkw-Stellplätze und das Verhalten vieler Pkw-Fahrer gegenüber den „Brummis“ machen die Sache auch nicht angenehmer.

„Der Deutsche hat keine Zeit“

Letzteres scheint wieder ein speziell deutsches Phänomen zu sein, hat Scholz beobachtet: „In Ländern wie Großbritannien und den Niederlanden läuft das entspannter.“ Dort werde durch Pkw kaum gedrängelt. „Aber der Deutsche hat ja keine Zeit – nicht einmal, wenn er in Urlaub fährt.“ In den Niederlanden beispielsweise werde man nicht als Trucker oder Fernfahrer angesehen, sondern als Chauffeur. „Vor allem viele Pkw-Fahrer machen sich in Deutschland nicht bewusst, dass auch wir Fernfahrer den Laden am Laufen halten.“ Gewisse TV-„Doku“-Serien ziehen das Image der Lkw-Fahrer durch falsche Darstellungen noch weiter runter. „Da heißt es dann: ‚Dieser Fahrer ist seit 82 Stunden ohne Pause unterwegs.‘ Das stimmt aber nicht“, erläutert Scholz. „Er hat vielleicht nicht dreimal neun Stunden Pause gemacht, sondern nur 8.55 Stunden. Im Protokoll wird das dann allerdings nicht als Schichtpausen dargestellt.“ Im TV wird auf diese Zusatz-Info dann aber gerne verzichtet – und ein falsches Bild entsteht. Doch wie heißt es so schön? Es ist nicht alles schlecht. „Ich könnte mir keinen anderen Beruf für mich vorstellen“, versichert Alexander Scholz und wirbt für seinen Arbeitsplatz: „Wer gerne Auto fährt und sich für große Autos interessiert, der ist hier richtig.“ Wer sich für den internationalen Fernverkehr entscheidet, sieht zudem viele Länder. „Dann und wann hat man auch Zeit, die Städte zu erkunden, die man anfährt“, sagt Scholz.

Original-Michelin-Männchen

Er selbst hat beispielsweise Neapel, Rom und Bari kennengelernt; Kollegen haben die Sonne an Spaniens Stränden genossen, während sie auf einen Anschlussauftrag warteten. Wer sich für den Beruft des Kraftfahrers interessiert, sollte selbstständig und vorausschauend arbeiten können, belastbar sein – Stichwort Arbeitszeiten, aber auch beim Be- und Entladen – „und einen Partner haben, der diesen Beruf akzeptiert“, ergänzt Scholz. Technisches Interesse ist ebenfalls von Vorteil. „Da lernt man aber auch viel in der Ausbildung“, sagt Scholz. Dass er seinen Beruf als Hobby sieht, zeigt auch seine Zugmaschine, ein Scania V8 mit 520 PS. „Ich habe mir eine dezente lichttechnische Einrichtung gegönnt und zwei Original-Michelin-Männchen von 1966“, erzählt Scholz. „Es ist kein No-Name-Auto, nichts von der Stange.“ Diese persönliche Note macht seine Zugmaschine zu einem kleinen Stück Zuhause, wenn er mit seinem 40-Tonner wieder auf der Autobahn in Richtung Süddeutschland unterwegs ist.

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