Gegenwart von heute ist Zukunft von gestern

KRANENBURG. Vorsicht der folgende Text enthält Meinungsspuren. Es geht um Qualitäten: Aufenthaltsqualität, Lebensqualität. Was macht eine Stadt/Gemeinde liebenswert? Liebenswertigkeit beginnt bei der Liebenswürdigkeit. Wortklauberei? Ganz und gar nicht. Qualität ist kein grober Klotz. Feinarbeit ist gefragt.

Dauerbrenner

Zeit, zum Kern zu kommen. Da gibt es in Kranenburg ein Dauerbrennerthema mit dem Namen ‚Große Straße‘. Fragen tauchen auf und werden diskutiert. Ist eine Straße, auf der an einem Spätnachmittag schon mal 250 bis 270 Fahrzeuge pro Stunde gezählt werden, als „gute Stube“ geeignet? Was, wenn an einem Samstagnachmittag gegen 16.20 Uhr hochgerechnet 230 Fahrzeuge pro Stunde gezählt werden?

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Zentrale Angelegenheit

Die Zahlen stammen vom Kranenburger Initiativkreis „von Bürgern für Bürger“ und machen die Frage nach der Aufenthaltsqualität zu einer in jeglicher Hinsicht zentralen Angelegenheit. Der Initiativkreis sieht für den historischen Ortskern der Gemeinde mit dem glückbringenden Kranich im Wappen drei Problemzonen. Da wäre – siehe oben – der „hohe Durchgangsverkehr“. Der, so Heinz Nielen, finde auch zu Zeiten statt, in denen die Geschäfte an der Großen Straße nicht einmal geöffnet seien. „Dieses Verkehrsaufkommen bringt den Geschäftsleuten auf der Großen Straße also nichts, stellt aber für die Anwohner eine hohe Lärmbelästigung dar.“ Die Frage nach der Lebens- und Aufenthaltsqualität wird gestellt.

Sackgasse

Gibt es Abhilfe? „Die Große Straße soll unserer Meinung nach für den Durchgangsverkehr gesperrt werden“, so Nielen. Die Straße solle also zur Sackgasse werden. „Nicht, dass wir hier falsch verstanden werden: Man könnte auch künftig – von Kleve kommend – bis zum Marktplatz fahren, müsste aber dann quasi den Weg zurück nehmen.“ Die Ausfahrt am hinteren Kreisverkehr (Richtung Wyler also) würde ja ebenfalls gesperrt.

Wohnzimmer Große Straße

Es habe sich, sagt Lui Claahsen, gezeigt, dass die eigens zur Entlastung des Ortskerns gebaute Umgehung nicht genutzt werde. „Momentan ist unser Wohnzimmer eine Durchgangsstraße“.Das könne nicht der Idealzustand sein. Die Botschaft: „Wir müssen endlich wach werden.“ Die Verkehrssituation hat – der Denkweg ist nicht weit – Auswirkungen auf Lebens- und Aufenthaltsqualität und macht das Nachdenken über die Problemzone zwei – den Aufenthalt im historischen Ortskern – unumgänglich.

Tristesse

„Die jetzige Situation lädt nicht zum Verweilen ein“, heißt es in einem Positionspapier des Initiativkreises. Viele Häuserfronten seien in einem schlechten Zustand und die vielen (grauen) Poller rundeten die Tristesse ab, meinen Claahsen und Nielen.

Qualität zum Nulltarif?

Was „von Bürgern für Bürger“ als gewichtiges Argument für die „Sackgassenlösung“ anbietet, ist: „Es fallen praktisch keine Kosten an.“ Hier allerdings drängt sich die Frage auf, ob Qualität nur dann argumentiert werden kann, wenn sie kostenlos zu haben ist? Vielleicht ist auch hier Wachwerden das probate Mittel.

Nicht mehr wohl gefühlt

Alle Zukunft beginnt in der Gegenwart und es gilt nicht nur das Prinzip des Wachwerdens. Aufenthaltsqualität ist dauerhaft nicht zum Nulltarif zu haben.Das dritte Ortskernproblem ist aus Sicht des Initiativkreises der Wohnbereich. Es reiche nicht aus, durch Maßnahmen wie die Aufhängung fliegender Kraniche und das Aufstellen von Blumenpyramiden [beides Aktionen, die vom Initiativkreis angestoßen wurden; Anm. d. Red.] den Ortskern attraktiver gestalten zu wollen.
Lui Claahsen: „Wichtig ist die Aufwertung der Wohnsituation.“ Man sehe andernorts, wie es passieren könne, dass soziale Brennpunkte entstehen. „Wir erleben es, dass Kranenburger von der Großen Straße wegziehen“, so Heinz Nielen. Die Forderung: Für Bewohner eine langfristige Bindung an den historischen Ortskern zu schaffen. Die sozialen Strukturen, die noch vor Jahren vorhanden waren, seien nicht mehr ersichtlich. Ein Bewohner, der im Ortskern aufgewachsen sei, habe, so Nielen, sein Haus verkauft, da er sich nicht mehr wohl gefühlt habe.

Einzelhandel

„Gegensteuern können wir nur, wenn der Wohnraum qualitativ verbessert wird“, so Nielen und: „Der Initiativkreis wird noch in diesem Jahr Anträge stellen, dass Maßnahmen getroffen werden, die Große Straße für den Durchgangsverkehr zu sperren. Zu den Haushaltsberatungen wird zudem ein Antrag auf neue beziehungsweise andere Möblierung der Großen Straße gestellt.“
Eine weitere Idee erläutert Lui Claahsen: „Es geht um die Gewinnung von Einzelhändlern mit Qualitätswaren aus der Region. Die Waren sollten bezüglich des Preissegments für Besucher interessant sein.“ Teil des Ideenpools: Unverpacktläden oder ‚Outlets‘ (Katjes, Derby Star), sowie ein Fahrrad-(Reparatur)-Laden könnten Menschen in den Ortskern locken.

Bürgerbegehren?

Der Initiativkreis zeigt sich angriffslustig. Die Zeit sei reif, die Mehrheitsverhältnisse im Rat hätten sich geändert und somit seien die Aussichten, mit Änderungswünschen und -vorschlägen durchzudringen günstiger als früher. „Und so viel ist sicher: Wenn wir mit unseren Anträgen keinen Erfolg haben, wird es ein Bürgerbegehren geben“, so Nielen.

51 Prozent

Auf die Frage, wie der Wohnbereich im historischen Ortskern aufgewertet werden kann, bringt der Initiativkreis die Idee einer Wohnungsbaugesellschaft in Spiel. Heinz Nielen: „Die Gemeinde Kranenburg sollte dann einen Anteil von 51 Prozent erwerben, damit sie Einfluss auf die Wohnungssituation hat. Andere Bürger der Gemeinde könnten für eine Mitgliedschaft gewonnen werden. Die sanierungsbedürftigen Häuser sollten dann nach und nach aufgekauft werden.“ Eine weitere Idee ist laut Initiativkreis die Erstellung eines Konzeptes, das gut genug sei, Investoren zu gewinnen und dann auch Zuschüsse vom Land oder vom Bund zu bekommen.

“Soziale” Medien

Der Initiativkreis will bei der Suche nach Ideen vor allem auch über die Nutzung der sogenannten sozialen Medien möglichst viele Bürger einbinden. Wohin gilt es zu schauen? Die Zukunft ist unsicheres Versprechen. Das wird deutlich, wenn man sich klar macht, dass die Gegenwart von heute schließlich gestern noch Teil der Zukunft war. Es muss also um Gegenwarten gehen – alles andere bietet Gelegenheit zum Aufschub und wenn eines klar ist, dann das: Mit Aufschub ist niemandem geholfen. Und noch eines: Auch die Vergangenheit kann nicht das Ziel sein. Nichts kann oder soll werden wie es war.

NN-Foto: Rüdiger Dehnen

Daten zur Verkehrszählung des Initiativkreises. Ort: Geschäftslokal “von Bürgern für Bürger”, Große Straße

1. September (Dienstag) 2020: Zählungsdauer 30 Minuten (16.30 bis 17 Uhr): 128 PKW Richtung Wyler, 102 PKW Richtung Kleve.
10. Dezember (Dienstag) 2020: Zählungsdauer 60 Minuten (16 bis 17 Uhr): 100 PKW (NL), 105 PKW (D).
9. Januar Sonntag, 2021: Zählungsdauer 20 Minuten (17.25 bis 17.45 Uhr): 72 PKW
5. Juni (Samstag) 2021: Zählungsdauer 30 Minuten (16.30 bis 17 Uhr: 138 PKW.
24. August (Dienstag) 2021: Zählungsdauer 60 Minuten (16 bis 17 Uhr): 236 PKW.
Bei den Zählungen an den Wochentagen (16 bis 18 Uhr) liegt das Verkehrsaufkommen stündlich zwischen 210 und 260 Fahrzeugen.

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