Der Mantel des Grafen

KLEVE. Der ältere Herr mit der markanten Nase war längere Zeit unterwegs. Zwischendurch ist ihm einiges zugestoßen: Identitätsdiebstahl, Farbenraub –was halt so passiert. Am Beginn der Reise war der Mann 64 Jahre alt. Heute – 532 Jahre später – ist er es noch immer. So ist die Kunst.

Änderungen

Im Jahre 1489 malte ein unbekannter Künstler den Grafen Adolf von Kleve, Mark und Ravenstein. Ein Brustbild war‘s. Der Graf wurde 1425 geboren und starb 1492. Sein Bildnis lebt noch heute. So ist die Kunst.
In der langen Zeit zwischen damals und heute muss es allerdings Menschen gegeben haben, denen das Bild, so wie es war, nicht gefiel. Sie änderten es. Warum sie das taten, wird an anderer Stelle zu klären sein. Fest steht: Als das Bild nach langer Wanderschaft Anfang der 90-er Jahre des letzten Jahrhunderts nach Kleve kam, fehlten Dinge, die jetzt wieder zu sehen sind. Immerhin: Hier ist eine „Schuldige“ auszumachen: Marita Schlüter, Restauratorin. Das Restaurieren, repsketive Rekonstruieren von Bildern ist – wie soll man sagen – ein forensisches Unterfangen. Alles beginnt mit Untersuchungen. Man rückt dem Bild zu Leibe, aber passieren sollt halt nix, Die Mittel der Wahl: Streiflicht, UV-Strahlung, Infrarot-Untersuchung, Röntgen-Untersuchung.

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Kriminelle Energie

Für Marita Schlüter wurde klar: Das, was sie sah, war ein Stück entfernt von der Ursprungsversion. Ein Schrift im oberen Teil des Bildes: Quasi weggekratzt. Vor Gericht würde sie jetzt von hoher krimineller Energie sprechen und irgendwie hat es etwas mit dem eingangs erwähnten Identitätsdiebstahl zu tun. Ebenfalls „ausradiert“: ein Wappen. Wappen waren – nun ja – eine Art Nummernschilder, denn sie verrieten Herkünfte und Zugehörigkeiten.

Aufgebockt

Jetzt steht der rekonstruierte Graf aufgebockt in der Bibliothek des Museums Kurhaus und Marita Schlüter zeigt Fotos der Zwischenstadien ihrer Arbeit. Mehr als Hilfreich für die Recherche: Ein 1935 entstandenes (schwarzweiß) Foto des Bildes. Es zeigt Wappen und Inschrift. Das Wappen fand sich noch an anderer Stelle. Das erleichterte die Wiederauferstehung. Gefunden wurde das Foto von Gerard Lemmens. Eine solche Quelle, so viel ist sicher, macht aus Vermutungen Gewissheiten. 50 bis 60 Stunden habe sie an der Restaurierung des Tafelbildes gearbeitet, sagt Marita Schlüter. „Ich kann das nicht genau sagen, denn die Arbeit hat sich ja über Jahre hingezogen.“ Wichtig für die Arbeit heutiger Restauratoren: Alles, was getan wird, muss reversibel – also umkehrbar, zurücknehmbar sein. Das Wappen: mit Aquarellfarben „zurückgeholt“. „Viele Kleinigkeiten der Arbeit sind nur zu erkennen, wenn Sie nah ans Bild treten“, sagt Schlüter.

Alles Beste

Der Mann mit großer Nase ist, möchte man meinen, in gutem Zustand. Ob man ihn, käme er einem auf der Straße entgegen – erkennen würde, ist dennoch nicht mit Sicherheit zu sagen. Seinen schicken Mantel würde man kaum übersehen. Apropos Mantel. „Die Kosten für die Wiederherstellung des Bildes teilen sich die Stadt Kleve und der Freundeskreis“, erklärt Harald Kunde, Chef im Kurhaus. Und was hat das mit dem Mantel des Grafen zu tun: Er wird über die genaue Summe gebreitet. Nun gut – nichts Genaues weiß man nicht. Wichtig zu wissen allerdings ist, dass der Graf wohl im Herbst den Kontakt zum Publikum aufnehmen wird. Ab dann soll er für alle zu sehen sein die sich auf den Weg ins Museum Kurhaus machen. Dem Grafen wünscht man weiterhin alles Beste. Wie es aussieht, wird er uns alle überleben.

Marita Schlüter und die Bildnisse des Grafen. NN-Foto: HF
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