ArToll oder: Im Freien denken

BEDBURG-HAU. Die Schilder vor dem Haus sind neu. Sie weisen Wege: nach Berlin, London, Amsterdam, Hamburg, Paris, Köln, Wuppertal, Bedburg-Hau und Huisberden. Die Großen und die Kleinen. So stehen sie vor dem ArToll Haus.

Niemand zuhause

Es ist Sommer. Jetzt, denkt man, würden sie beim ArToll zum großen Sommerlabor einladen und anschließend in den Räumen des Hauses Ergebnisse präsentieren. Man geht hinein: Alles ist leer. Niemand zuhause. Hall wohnt in den leeren Räumen. Da liegt das Plakat: ‚Outside ArToll‘ steht darauf. Man denkt an die Schilder zurück. 2021 wird im Freien gedacht. Frei gedacht wurde immer schon, wenn es um ArToll ging. Jetzt geht man zurück – an die frische Luft und plötzlich sieht man die Kunst im Grünen. Manches ist unübersehbar – anderes tarnt sich in Unscheinbarkeit, aber: auch Unscheinbarkeit kann trügen. Kunst taucht auf wie aus der Dämmerung. Man muss halt hinschauen.

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Nichts ist wie es war

Seit eineinhalb Jahren ist nichts passiert am Standort der Kunst – nichts jedenfalls, das so ist, wie es früher war. „Wir haben aus diesem Grund deutsche und niederländische Künstler eingeladen, Werke zu präsentieren“, sagt Wolfgang Paterok, der Vorsitzende des Kunstlabors. Am 15. Juli hat der Aufbau begonnen. Am Sonntag um 15 Uhr ist Eröffnung: Ein Maskenball.
19 Künstler stellen ihre Arbeiten aus: Riette van Dijk, Ger Driessen, Regina Friedrich-Körner, Ingrid Geerdink, Andreas Hetfeld, Georg Janthur, Dirk Knickhoff, Anke Land, Anja Middelkoop, Matthijs Muller, Sigrid Neuwinger, Per Pennings, Kees van Raay, Ulrike Scholder, Anja Maria Strauss, Martje Verhoeven, Elaine Vis, Katja Wickert.

Adieu, Dini

Und dann ist da der eine Name, hinter dem ein Kreuz steht: Dini Thomsen, denkt man – die alte Dame des Labors – hat die Seiten gewechselt. Ihre Stelzenhäuser sind mit einem Mal Grüße aus einer anderen Welt. Dini ist tot. Irgendwie schwingt Trauer mit: eine traurige Melodie. Adieu, Dini.
Kunst schert sich nicht um Sein oder Nichtsein. Kunst ist da und flattert mit den Flügeln. Darum geht es. „Meine Arbeiten müssen mich und den Betrachter berühren oder treffen; meine Intention ist der intensive Austausch. Geschichten über Vertreibung, Such, Heimat, Schutz, Sehnsucht“, schreibt Dini. Da stehen ihre „Behausungen“. Ein Echo.

Achtung Baustelle!

Dann tritt man den Weg ums Haus an und tatsächlich: Manche Arbeit entdeckt man erst beim zweiten Hinsehen – oder beim Dritten. Johan Geerlings‘ Baustelle entpuppt sich hinterhältig als Kunstwerk. Eigentlich hatte man an eine Glasfaserbaustelle gedacht. Ein Zelt: Im Inneren wachsen Kabel aus einem Schacht. Irgendjemandetwas hämmert irgendwo unten. „Achtung Baustelle!“ heißt Geerlings‘ Installation, die sich – möchte man meinen – dem Übersehenwerden widmet. „Es sieht aus, als ginge es um die Verlegung von Glasfaserkabeln. In Wirklichkeit werden Tunnel gegraben wie unter der ehemaligen Berliner Mauer. […] Tunnel der Verbindung und Einbildungskraft“, heißt es in einem Text. Na bitte – da haben wir es wieder: Kunst als Aufforderung zum Weiterdenken, Weitergraben, Weiterentdecken. Das Kino ist ein Loch im Boden.

Kunst ist Umgebung

Man schleicht ums Haus und steht mit einem Mal vor Bahren – aufgebaut auf einer Veranda. Die Seele klemmt sich ein. Was man sieht, ist nur schwer ohne die Umgebung zu denken. Im Kopf liegen Opfer auf den Bahren. Der Atem stockt. Geschichte zieht durchs Hirn. „Macht Sie das traurig?“, fragt Martje Verhoeven. „Ja. Das tut es. Man kann die Kunst nicht ohne die Umgebung denken“, sage ich.
Aber: Niemand soll denken, „Outside ArToll“ sei ein Ort der Trauer. Die Ausstellung ist ein Ort des Denkens. Zwei Figuren sitzen auf einer blauen Bank – irgendwie sitzen sie wie hingegossen. Sie sitzen seit Ewigkeiten, denkt man – und sie werden immer dort sitzen.
Andere Figuren finden sich hoch in den Bäumen. Skulpturen stehen auf der grünen Wiese hinterm Haus und alles scheint sich mit allem zu unterhalten. „Wir hatten kein Thema vorgegeben“, sagt Wolfgang Paterok. Trotzdem entstehen Akkorde im Kopf – bei jeder Runde, die man dreht, klingen sie anders. Immer wieder landet man bei diesen Schildern: ‚Kunst ist überall‘, sagen sie – oder besser: ‚Ihr nehmt, was ihr sehr, überall hin mit.‘ Zu sehen ist ‚Outside ArToll‘ bis zum 3. Oktober. Wer am Sonntag zur Eröffnung geht, sollte die Maske nicht vergessen. Eines hat Corona uns gelassen: Noch muss niemand blickdichte Brillen tragen. Es gibt viel zu sehen.

Sigrid Neuwinger – „Durchbruch“.NN-Foto: HF
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