Stolz, müde, geschockt

KRANENBURG. Eigentlich ist doch Wochenende. Beine hoch und durch? Von wegen. Da stehen Martin Ebbers und Philipp Vervoorts in einem Meer aus Kartons. Ein Lastwagen parkt: Jetzt soll aufgeladen werden. Schon jetzt steht fest: Ein Lastwagen wird nicht reichen.

Vorher

Alles fing bei Facebook an. „Ich saß mit meiner Frau und den beiden Kindern beim Frühstück. Wir haben die Nachrichten von der Katastrophe gehört und meine Frau hat geweint.“ Da sitzen die einen beim Frühstück und an einem anderen Ort sortieren Menschen die Reste ihres Lebens. „Solche Bilder kennt man sonst doch nur aus dem Fernsehen“, sagt Vervoorts und meint: Solche Bilder – solche Katastrophen sind sonst irgendwie weit weg. Real aber nicht konkret. Und jetzt könnte man sich ins Auto setzen und wäre in drei oder vier Stunden mittendrin. „Dass es uns hier nicht erwischt hat, ist unser Glück.“

-Anzeige-

Liebe Kranenburger …

Vervoorts schreibt an die Kranenburger. Social Media macht‘s möglich: „Liebe Kranenburger, Ihr alle bekommt gerade mit, was in den Nachbarregionen los ist. Viel Wasser, verzweifelte Menschen. Viele haben einfach nichts mehr Wir finden das einfach nur schrecklich. Man merkt, wie wichtig es ist, für andere Menschen da zu sein und zu helfen. Ich bin begeistert, dass unsere Feuerwehr direkt unterstützt und hilft. Meine Frau und ich haben überlegt, wie wir helfen können. Wir haben Kontakt zu Daniel Cloosters und Martin Ebbers aufgenommen. Wir wollen spenden und hoffen auch auf Eure Unterstützung. Wir wollen kein Geld spenden, da wir denken, dass das nicht sofort hilft. Wir möchten die Menschen mit Anziehsachen, Lebensmitteln und Spielzeug unterstützen. Wir bieten an, die Spenden zwischen 8 und 13 sowie 14 und 18 Uhr am Freitag und am Samstag zwischen 10 und 13 Uhr bei Vervoorts, Klever Straße 34, anzunehmen. Am Sonntag fahren wir dann zum Roten Kreuz nach Duisburg. Ich zähle auf euch und danke schon jetzt herzlichst.“
Vervoorts postet seinen Aufruf bei „Du kommst aus Kranenburg, wenn“.

Überwältigend

Dann nimmt der Aufruf seinen Weg und einen Tag später sind Ebbers und Vervoorts überwältigt. Samstag: 11.30 Uhr. Auf der Klever Straße ist Hochbetrieb. Auf der Höhe von Vervoorts sind auch die Seitenstreifen zugeparkt. Zuerst denkt man, dass der Benzinpreis gefallen ist. Dann sieht man die Menschen mit Kartons und Tüten aus ihren Autos steigen.
„Wir hatten anfangs gedacht, wir fahren mit zwei VW-Transportern. Was sich jetzt hier abspielt“, sagen sie und zeigen auf die Kartons, „das hätten wir uns nicht träumen lassen.“ Verschiedene Firmen aus Kranenburg haben sich eingeklinkt: die einen stellen Lastwagen zur Verfügung, andere kistenweise Feuchttücher, wieder andere wollen sich den Spritkosten beteiligen. „Man kann das gar nicht alles aufzählen“, sagen die beiden. „Gerade kam eine Frau und hat mir 500 Euro in die Hand gedrückt.“

Der Albatros ist gestartet

Eine Hupe ist zu hören: Ein Lastwagen fährt auf den Hof. Das Packen beginnt. „Wir müssen jetzt erst mal weiter organisieren“, sagen Vervoorts und Ebbers. In der Nacht zum Sonntag soll der Konvoy Kranenburg verlassen. „Wir machen ein Bild und dann können wir ja morgen noch mal telefonieren“, sagt Ebbers. Wird gemacht. Am Samstagabend postet Philipp Vervoorts: „Der Albatros Kranenburg ist gerade gestartet. Vielen lieben Dank euch allen. Es ist der Wahsninn. Wir sind überglücklich über euren Einsatz. Wie versprochen werden die Sachen nach Ahrweiler gebracht, wo sie auch gebraucht werden.“

Nachher

Sonntag, 14 Uhr. Anruf bei Martin Ebbers. Niemand hebt ab. Dann eine Whatsapp-Nachricht: „Hallo, Herr Frost. Können wir gegen 14.45 Uhr telefonieren. Bin gerade erst wach. Wir waren erst um 6 Uhr heute morgen zurück.“
Martin Ebbers versucht die Beschreibung eines Katastrophe: „Sie können sich das nicht vorstellen. Baumstämme, die in der ersten Etage eines Hauses eingeschlagen sind, Campingwagen auf Garagendächern, Autos – übereinandergestapelt wie Matchboxwagen. Ich habe so etwas noch nie gesehen.“

40 Tonnen

40 Tonnen Spenden hatten die Kranenburger gesammelt. Und noch während am Samstag die Spenden angeliefert wurden, ging es darum, einen Ort zu finden, zu dem man all das bringen kann. Martin Ebbers: „Das war nicht wirklich einfach.“ Als die Kranenburger dann vor Ort waren – die Sachen sollten in einer Schule in Bad-Neuenahr-Ahrweiler gesammelt werden –, die nächste Überraschung: „Da war niemand Offizielles. Da waren ein paar junge Leute, die beim Land geholfen haben.“ In der Schule habe, sagt Ebbers, das Wasser gefühlt 2,50 Meter hoch gestanden. „Als wir kamen, war das abgelaufen, aber es roch muffig.“
Was macht das mit denen, die doch helfen wollten? Ebbers: „Wir haben ein paar Dinge lernen müssen, die wir beim nächsten Mal anders machen würden. Dazu gehört, dass wir die Dinge, die gebracht werden, künftig kontrollieren würden. Sie glauben nicht, was manche Menschen uns angeliefert haben. Da waren zum Teil Dinge dabei, die man nur noch entsorgen konnte.“

Das Richtige

Das aber gilt für die Mehrheit der Menschen, die gespendet haben, nicht. Ebbers: „Es war auch toll, wie die Leute mit angefasst haben. Und dann gab es – auch eine Minderheit – Menschen, die einfach nur dastanden und Fotos gemacht haben. Die haben dann quasi unsere Arbeit behindert. Sie können das ruhig schreiben in Ihrem Bericht“, sagt Ebbers. Da spricht trotzdem einer, dessen Stimme man anmerkt, dass er froh ist, genau das getan zu haben, was er getan hat. „Was die Kollegen und ich vor Ort gesehen haben, werden wir – da bin ich sicher – so schnell nicht vergessen.“ Noch in der Nacht stellte sich dann heraus, dass Neuenahr von der Bundeswehr abgesperrt worden ist.
Was passiert mit den Spenden, die es nicht rechtzeitig geschafft haben? Ebbers: „In Euskirchen hat die Firma Procter&Gamble auf ihrem Gelände jetzt ein riesiges Lager für die Spenden eingerichtet. Von dort aus werden die Dinge jetzt – sehr gut organisiert – weiter verteilt.“

Unglaublich, unbegreiflich

Noch am Freitag hatten Vervoorts und Ebbers sich die Aktion „ein bisschen kleiner“ vorgestellt. Jetzt, am Sonntag und einen Tag danach, ist es Ebbers wichtig, „dass die ursprüngliche Idee von drei Leuten stammt“: Philipp Vervoorts, Daniel Cloosters und Martin Ebbers. „Aber es ist auch wichtig, dass wir drei uns bei allen Unterstützern und Mithelfern bedanken möchten. Das wäre auch ohne einige Unternehmen vor Ort nicht gegangen.“
Und dann natürlich auch die Frage: Würden Sie`s wieder machen? „Klar selbstverständlich. Wir würden uns mit den Erfahrungen der letzten Tage dann allerdings auf Lebensmittel und Hygiene-Artikel beschränken.“ Und die Gefühle am Ende? „Geflasht, stolz, müde – aber auch schockiert über das Ausmaß der Verwüstung, die wir gesehen haben: unglaublich, unbegreiflich.“

Ein Bild der Verwüstung. Der Kranenburger Konvoy iat am Ziel. Foto: privat
Vorheriger ArtikelDemonstrationszug für mehr Akzeptanz
Nächster ArtikelKreis Kleve: 7-Tage-Inzidenz steigt auf 18,2