„Ich bin ein lebensfroher Mensch geblieben“

Reiner Clouth hat Parkinson / Aufhören zu arbeiten wollte er dennoch nie

KREIS KLEVE. Es war eine einfache Frage, die Reiner Clouths Leben für immer veränderte. „Mein Sohn sagte damals zu mir: Wie hältst du denn deine rechte Hand?“, erzählt der 59-Jährige. „Ich hielt sie wie eine Pistole. Mein Sohn, der Intensivkrankenpfleger ist, meinte, dass das nicht normal sei. Auch meine Körperhaltung sei ungewöhnlich. Er riet mir, zum Neurologen zu gehen. Auch er wollte sich auf der Arbeit mal erkundigen.“ 

EUTB
Reiner Clouth sitzt vor seinem Gartenhaus. Trotz seiner Erkrankung führt er ein selbstbestimmtes Leben. Nur für den Arbeitsweg benötigt er mittlerweile Hilfe. NN-Foto: Theo Leie

Beim Neurologen erhielt Clouth im Jahr 2011 die Diagnose Parkinson – die ihm aber nicht seine positive Grundeinstellung nahm. „Ich war und bin ein lebensfroher Mensch“, sagt der Veerter. Auch zehn Jahre später führt er ein selbstbestimmtes Leben und arbeitet weiterhin – trotz starker körperlicher Beeinträchtigung sowie festgestellter Pflegebedürftigkeit – noch immer an seinem Arbeitsplatz in einem großen Unternehmen der chemischen Industrie. Geholfen hat ihm dabei auch die Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung (EUTB) des Paritätischen Wohlfahrtsverband im Kreis Kleve.

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Seit vielen Jahren engagiert sich Reiner Clouth in der Parkinson-Selbsthilfe. „Die Gespräche mit anderen Betroffenen tun einfach gut. Wir können uns austauschen und Tipps geben – zum Beispiel bei der Beantragung von Pflegeleistungen, die uns zustehen“, sagt Clouth. Anfang 2020 hielt eine EUTB-Beraterin einen Vortrag zur Teilhabe am Arbeitsleben in seiner Selbsthilfegruppe. „Dadurch bin ich zur EUTB gekommen. In meinen Rehas hieß es zuvor immer nur: Fahren Sie noch Auto? Dann sind Sie noch nicht bedürftig und zuschussberechtigt“, sagt Clouth.

Der Veerter muss jeden Tag einen Arbeitsweg von 40 Kilometern zurücklegen. „Das fällt mir aber zunehmend schwer – zumal ich auch im Berufsverkehr unterwegs bin, wo das Verkehrsaufkommen entsprechend höher ist“, sagt Clouth. Diesen könne er nicht mehr jeden Tag alleine bewältigen. Sich in den Vorruhestand zu begeben, sei aber auch keine Option. „Ich arbeite gerne und möchte auch noch ein paar Jahre arbeiten. Das habe ich auch damals direkt meinem Arzt gesagt. Denn im Kopf bin ich ja nach wie vor fit“, sagt Clouth, der zwar seine Schiedsrichter-Tätigkeit 2014 aufgeben musste („dafür war ich zum Schluss zu langsam“), aber ansonsten im Alltag noch sehr viel selbstständig meistert. „In der Reha und von meinem Arzt wurde ich gut eingestellt. Ich nehme mittlerweile fünf Tabletten am Tag. Im Gegensatz zu anderen Betroffenen, habe ich kein Zittern – nur wenn ich etwa einen Nagel in die Wand schlagen möchte und mich dabei anstrengen muss, bekomme ich ein leichtes Zittern. Aber das haben viele Gesunde ja auch“, sagt Clouth. 

Fahrassistenz

Für seinen Arbeitsweg stellte der Veerter in Zusammenarbeit mit der EUTB einen Antrag zur Fahrassistenz, der im ersten Schritt jedoch abgelehnt wurde. „Die Begründung lautete, dass ich zu viel verdiene und einen Zuschuss zahlen müsste – dann könnte ich jedoch auch aufhören zu arbeiten“, sagt der 59-Jährige. Die EUTB habe ihn daraufhin jedoch ermutigt, einen entsprechenden Widerspruch zu formulieren, der Erfolg hatte. Ende des vergangenen Jahres wurde die persönliche Fahrassistenz für seinen Arbeitsweg finanziert aus dem Persönlichen Budget bewilligt. Ebenso hat die Rentenversicherung die Kosten für den Umbau seines PKW übernommen, der ihm das Ein- und Aussteigen erleichtert.

NN-Serie zur Ergänzenden unabhängigen 
Teilhabeberatung / Teil 4
Die Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung (EUTB) unterstützt bei Fragen zur Teilhabe. Zum Beispiel erfahren Ratsuchende alles Wissenswerte zur Assistenz, zu Hilfsmitteln oder zum Teilhabeplan. Die Beratungsstellen beraten Menschen mit und ohne Behinderungen, die Unterstützung für ihre volle und gleichberechtigte Teilhabe benötigen. Ebenso sind sie offen für ihre Angehörigen und ihnen nahestehende Menschen. Die Beratungen sind unabhängig und kostenlos. Ausgebildete Berater mit und ohne Behinderungen arbeiten bei den Beratungsstellen gleichberechtigt zusammen und bringen jeweils ihr Fachwissen und ihre Erfahrungen ein. Kern der Beratung ist das „Peer Counseling“. Kurz gesagt: Betroffene beraten Betroffene. Die Berater sind dabei nur den Ratsuchenden verpflichtet und suchen gemeinsam mit ihnen nach geeigneten Wegen individueller Teilhabe. Sie achten und stärken dabei die Selbstbestimmung der Ratsuchenden, die sich unabhängig von ihrem Wohnort und ihrer Teilhabebeeinträchtigung an jedes EUTB-Angebot wenden können. Seit Januar 2018 wird ein Netzwerk von rund 500 Beratungsangeboten aufgebaut. Die NN wollen an dieser Stelle in einer vierteiligen Serie Ratsuchende vorstellen, denen die EUTB geholfen hat. Weitere Informationen gibt es online unter www.teilhabeberatung.de oder bei der Ergänzenden unabhängige Teilhabeberatung (EUTB) im Kreis Kleve, Nassauerstraße 1 in Kleve, Telefon 02821 780021, und online unter www.teilhabeberatung-kreis-kleve.de.

Noch konnte Clouth die persönliche Fahrassistenz allerdings nicht in Anspruch nehmen. „Ich arbeite seit der Corona-Pandemie im Home Office. Ich hoffe aber, bald in mein Büro zurückkehren zu können. Der Austausch im Büro fehlt mir schon sehr. Es ist einfach schöner, mit Kollegen sprechen zu können, als nur starr auf den Bildschirm zu schauen und Tabellen zu bearbeiten“, sagt der Veerter. Sobald er an seinem Arbeitsplatz zurückkehren kann, holt ihn ein Arbeitskollege morgens Zuhause ab. „Dann fahren wir gemeinsam mit meinem PKW zur Arbeit und nachmittags wieder zurück“, sagt Clouth. Da er seinen PKW für den Weg nutzen kann, wurde sein Antrag für die persönliche Fahrassistenz bewilligt.

Peer-Berater

Seine eigenen Erfahrungen möchte Reiner Clouth in Zukunft weitergeben. Dazu lässt er sich nun zum Peer-Berater ausbilden. „Ich denke, dass ich vor allem bei Pflegeanträgen anderen sehr gut helfen kann“, sagt der 59-Jährige. Auch möchte er anderen Betroffenen Mut machen. „Ich bin immer offen mit meiner Erkrankung umgegangen. Ich gehe heute zwar alles etwas langsamer als früher an, aber ich bin ein lebensfroher Mensch geblieben“, sagt Clouth.

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