KREIS KLEVE. Lange hat Doris Gradischnik aus Kleve gebraucht, ihren Weg durchs Leben zu finden. „Ich habe erst spät gelernt, mich mit meiner Hörschädigung auseinanderzusetzen. Von da an fiel es mir jedoch leichter, mich so anzunehmen, wie ich bin und meine Rechte einzufordern“, sagt die 60-Jährige, die seit ihrer Kindheit an einer hochgradigen Hörbeeinträchtigung leidet. Eine Freundin gab ihr den Tipp, sich bei der Ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung (EUTB) des Paritätischen Wohlfahrtsverbands im Kreis Kleve zu melden. Dort suchte sie eine Beratung für einen Änderungsantrag zur Schwerbehinderung, auch umgangssprachlich auch Höherstufungsantrag genannt, um sorgenfreier Leben zu können.
„Durch den Gesprächsverlauf zu meiner wechselhaften Lebensgeschichte und der Hörschädigung kam der Wunsch nach einer Teilerwerbsminderungsrente. Die kompetente Beratung half mir dabei, welche Schritte, Anträge, Arztbesuche und vieles mehr ich selbst erledigen muss, um den Anspruch auf Rente zu klären. Nach fast neun Monaten Wartezeit und mehreren Briefen, den Arztberichten und eine eigene Schilderung der Krankheitsgeschichte, wurde mir die volle Erwerbsminderungsrente zuerkannt“, schildert Gradischnik. Die EUTB sei dabei eine sehr gute Unterstützung gewesen, ohne ihre eigene Initiative wäre es aber auch nicht möglich gewesen. Die Kleverin möchte deshalb auch andere animieren, um ihre Rechte zu kämpfen: „Ich möchte Betroffenen Mut zur Selbsthilfe sowie alle Informationen zu technischen Möglichkeiten wie Hörgeräte, Cochlea Implantat oder Mikrofone, aber auch Kommunikationsassistenz unter anderem im Berufsleben mitgeben, die Hörgeschädigte annehmen können. Sie sollen alles, was ihnen zusteht, erhalten, um ihre persönliche Lebensqualität zu verbessern“, sagt Gradischnik.
Die Kleverin unterrichtet Gebärdensprache an der Hochschule Rhein-Waal (HSRW) und setzt sich dafür ein, dass die Gebärdensprache trotz technischer Hilfsmittel nicht ausstirbt. „Ich habe mich an der Hochschule beworben und daraufhin eine Einladung von Professor Barbara Hänel-Faulhaber bekommen, die an der Hochschule Gebärdensprache unterrichtete. Sie hat dafür gesorgt, dass ich einen Lehrauftrag bekam. Ich unterrichte einerseits Studierende aus dem Studiengang Kindheitspädagogik, die verschiedene Wahlpflichtfächer belegen. Die Gebärdensprache ist dabei ein Wahlpflichtfach. Andererseits gebe ich freiwillige, studienübergreifende Gebärdensprachkurse für alle interessierte Studierende. Im meiner Kindheit kannte ich eine gehörlose Freundin, die Gebärdensprache hat mich immer fasziniert und ich gebe das Wissen über die Gehörlosen -und Gebärdensprachkultur sehr gern weiter“, erläutert Gradischnik.
Die Nachfrage nach ihren Kursen sei groß. „Viele junge Leute möchten die Gebärdensprache lernen, weil sie das einerseits beruflich nutzen können, andererseits auch im eigenen Umfeld mit diesem Thema konfrontiert werden. Ich finde es auch sinnvoll, wenn alle Menschen die Gebärdensprache lernen können; von klein auf. Durch Studien hat man festgestellt, dass hörende Kinder auch davon profitieren: die Wahrnehmung wird besser gefördert, die räumliche Orientierung wird verbessert und der Wortschatz wird größer“, sagt Gradischnik. Wenn alle Kinder die Gebärdensprache lernen würden, werde die Kommunikation viel einfacher, auch für Flüchtlingskinder.
Endlich angenommen fühlen
„Die Gebärdensprache erleichtert sogar die Lautsprache und wird auch in der Behindertenarbeit eingesetzt. Die Gehörlosen selbst würden sich endlich angenommen fühlen, wenn alle Menschen mit der Gebärdensprache kommunizieren können. Studien belegen auch, dass das Lernen von verschiedenen Sprachen im Kindesalter zu mehr Verknüpfungen im Gehirn führen und die Leistungsfähigkeit verbessert wird. Mit der Gebärdensprache würde das Bildungssystem revolutioniert, weitaus effektiver ablaufen und die Inklusion besser gelingen. Ich hoffe wirklich, dass die Gesellschaft das in den nächsten Jahren umsetzen wird“, meint Gradischnik.