Die Vergessenen

Ein Anruf aus der Schweiz. Es ist Frau Z. Sie ist die Lebensgefährtin eines Mannes, dessen derzeitiger Wohnsitz die Krohnestraße in Kleve ist – genauer gesagt ist es die Justizvollzugsanstalt.

„Sie haben ja neulich über den Prozess gegen den Herrn X. geschrieben“, beginnt Frau Z., um dann zu fragen: „Der Herr X. ist schwer vorerkrankt und mich würde jetzt interessieren, wie es jetzt für ihn mit einer Impfung aussieht.“ „Das kann ich Ihnen leider nicht sagen, aber ich werde versuchen, etwas herauszufinden. Geben Sie mir ein paar Tage Zeit.“ Es ist der 22. April.

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Wir brauchen etwas Zeit

Freitag, 23. April: Anruf bei der Pressestelle des Kreises Kleve. „Wir brauchen etwas Zeit und melden uns schnellstmöglich bei Ihnen.“ Anruf beim Pressesprecher der JVA Geldern. „Herr Y. ist erst am Montag wieder im Haus.“ „Herzlichen Dank. Ich melde mich dann am Montag wieder. Ein schönes Wochenende und bleiben Sie gesund.“ Anruf bei der Pressestelle des Justizministeriums. Der Pressesprecher ist nicht zuständig – verweist aber an den Kollegen, der für Vollzugsangelegenheiten zuständig ist. Auf Anhieb könne er dazu nichts sagen, erfahre ich vom stellvertretenden Pressesprecher. Er werde sich schlau machen. „Bis wann brauchen Sie eine Antwort? Ich denke, dass ich es heute nicht mehr schaffen werde.“ „Es wäre schön, wenn Sie mir bis Dienstag antworten.“

Zwei Modelle

Denkbar in Bezug auf Impfungen sind eigentlich zwei Modelle. Modell 1: Jeder Gefangene hat für die Zeit seiner Inhaftierung einen Wohnsitz im jeweiligen Kreis. Gefangene der Justizvollzugsanstalten Kleve und Geldern würden demnach in die Impfzuständigkeit des Kreises Kleve fallen.
Modell 2: Das Justizministerium, beziehungsweise die Vollzugsdirektion, erklärt eine eigene Zuständigkeit.
Muss denn in einer JVA überhaupt geimpft werden? Natürlich. In Nordrhein-Westfalen sind längst Corona-Fälle – sowohl bei Bediensteten als auch bei Inhaftierten – bekannt. Impfung tut also Not – erst recht für Inhaftierte mit Vorerkrankungen.

Im Hinblick …

Der stellvertretende Pressesprecher der Vollzugsdirektion schafft es dann doch noch am gleichen Tag. „Im Hinblick auf Ihre telefonische Anfrage […] kann ich Ihnen Folgendes mitteilen: Allgemein richten sich die Impfungen von Gefangenen nach den durch die Coronavirus-Impfverordnung vorgegebenen Priorisierungen. Die Justizvollzugsanstalten ermitteln die Anzahl der impfwilligen priorisierten Personen. Die praktische Durchführung der Impfungen erfolgt dann in Abstimmung zwischen der jeweiligen Justizvollzugsanstalt und den Impfzentren vor Ort. Dabei kommen Impfungen von Gefangenen sowohl in Impfzentren als auch in den Justizvollzugsanstalten, zum Beispiel auch durch die dortigen medizinischen Abteilungen, in Betracht. Letztlich folgt dies der jeweiligen örtlichen Abstimmung.“

Wie besprochen

Montag, 26. April. Antwort von der Pressestelle des Kreises Kleve: „Wie besprochen die Antwort des Kreises Kleve auf Ihre telefonische Anfrage, wie Häftlinge in den JVAs bei der Impfung priorisiert sind: ‚Den Mitarbeitern der Anstalten wurde bereits ein Impfangebot gemacht, sofern sie im medizinischen Bereich arbeiten. Gefängnis-Insassen fehlen in der Impfverordnung. Nach Rücksprache des Kreises Kleve mit dem Landes-Gesundheitsministerium (MAGS) greifen dort ebenfalls die bekannten Priorisierungs-Kriterien (also aktuell: Alter über 70 Jahre, Vorerkrankungen, etc.). Der Kreis Kleve wird je nach zur Verfügung stehendem Impfstoff entsprechend Impfangebote aussprechen. Da immer noch zu wenig Impfstoff vorhanden ist um alle priorisierten Gruppen zeitnah impfen zu können, wird die Impfung in den kommenden Wochen organisiert. Der Kreis Kleve nimmt hierzu Kontakt mit den JVAs auf.“

Kann das sein?

Das klingt gut, aber da ist dieser eine Satz, der irgendwie erstaunlich wirkt: „Gefängnis-Insassen fehlen in der Impfverordnung.“ Kann das sein? Offensichtlich. Vielleicht muss man der Frage ein Wort hinzusetzen: Wie. Wie kann das sein?
Telefonat mit dem Pressesprecher der JVA Geldern. Ob und wie viele Gefangene in der Anstalt bereits geimpft seien, unterliege dem Datenschutz. Dann wieder die Wortkombination: schlau machen, Rückmeldung.

Prioritäten

Ein Blick in die Impfverordnung, Paragraph 2, Absatz 2: – Schutzimpfungen mit höchster Priorität haben „Personen, die in stationären oder teilstationären Einrichtungen sowie in ambulant betreuten Wohngruppen zur Behandlung, Betreuung oder Pflege älterer oder pflegebedürftiger Menschen behandelt, betreut oder gepflegt werden oder tätig sind“. Sind Gefangene ‚Personen in teilstationären Einrichtungen‘?
Zurück an den Anfang: Was fehlt eigentlich Herrn X.? Anruf in der Schweiz. Ergebnis: Herrn X. wurden im vergangenen Jahr vier Stents gesetzt, er leidet unter Asthma, ist übergewichtig und hat zu hohen Blutdruck. Herr X. hat einen Antrag auf Impfung gestellt.

50 Gefangene in der Priorisierungsgruppe 2

28. April: Antwort des Pressesprechers der JVA Geldern auf die Anfrage vom 26. April. „In der Justizvollzugsanstalt Geldern befinden sich aktuell rund 50 Gefangene, die nach ärztlicher Einschätzung in die Priorisierungsgruppe 2 entsprechend § 3 CoronaImpfVO (Schutzimpfung mit hoher Priorität) einzuordnen sind. Diese Gefangenen wurden mit ihrem Einverständnis durch den hiesigen Anstaltsarzt zur Impfung angemeldet. Derzeit befindet sich die Justizvollzugsanstalt Geldern mit der Kreisverwaltung Kleve in Abstimmung, um die Gefangenen innerhalb unserer JVA durch den Anstaltsarzt impfen zu lassen, sobald der notwendige Impfstoff zur Verfügung steht. Dieses Verfahren ist vergleichbar mit der Möglichkeit, sich beim eigenen Hausarzt impfen zu lassen.“

Infizierten-Zahlen

28. April: Erneute Anfrage an die Vollzugsdirektion mit der Bitte um Infizierten-Zahlen. Antwort: „Über den gesamten Verlauf der Pandemie wurden in NRW bis zum 23. April 2021 334 Gefangene positiv auf das Corona-Virus getestet. Es wurden bis zu diesem Zeitpunkt zudem 363 Bedienstete positiv getestet. Zahlen über erfolgte Impfungen liegen mir nicht vor bzw. werden zentral nicht erfasst.“

Columbo

28. April: Es ist wie bei Columbo. Man hat dann doch noch eine Frage. Wie sieht es mit Testungen im Vollzug aus? Antwort von der Pressestelle der Vollzugsdirektion: „Die nordrhein-westfälische Justiz unterbreitet ihren Beschäftigten ein Testangebot, das diese auf freiwilliger Basis nutzen können.
Für alle Beschäftigten der Justiz NRW – einschließlich des Justizvollzugs –, die in Präsenz mindestens einmal pro Woche ihre Dienststelle aufsuchen, stehen bis zu zwei Selbsttests pro Woche bereit. Hiervon sind im Justizvollzug ebenfalls alle Gefangenen sowie Arrestantinnen und Arrestanten umfasst.
Darüber hinaus werden anlassbezogene Tests durchgeführt. Diese sind beispielsweise vorgesehen bei Vorstellungen in externen medizinischen Einrichtungen oder nach Langzeitausgängen oder bei Verlegungen in Therapieeinrichtungen. Zudem wird aus medizinischen Gründen bei Kontakten zu Infizierten oder bei entsprechenden Symptomen getestet.“

Konzept abgestimmt

28. April: Anfrage beim Pressesprecher der JVA Kleve bezüglich geplanter (oder erfolgter) Impfmaßnahmen im Hinblick auf Gefangene. Antwort vom 29. April: „Für die Durchführung der Impfung von Gefangenen wurde durch das Ministerium der Justiz NRW ein Konzept mit dem Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales abgestimmt. Die Anstalt nimmt auf der Grundlage dieses Konzepts und der Corona-Impfverordnung eine Priorisierung der Gefangenen vor. In Abstimmung mit dem Impfzentrum des Kreises Kleve werden die Inhaftierten durch den anstaltsärztlichen Dienst in der JVA Kleve geimpft. Weiterhin bieten wir den Gefangenen wöchentlich zwei Selbsttests an.“

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