Jagdscheinfieber

„Sehr geehrte Damen und Herren, hiermit gebe ich den Hinweis, dass der Klever Landrat Spreen am 6.6.2018 aufgrund einer vorsätzlich falschen Strafanzeige für die Auslösung zahlreicher weiterer Amtsdelikte verantwortlich ist, die erst mit der Einstellung der Strafsache am 23.4.2019 durch das Amtsgericht Emmerich ein Ende nahmen und beantrage, diesen Sachverhalt zu prüfen, zu bewerten, Feststellungen zu treffen und die Schlussfolgerungen mündlich mit der Staatsanwaltschaft und mir zu verhandeln.“

Herr K. geht die Sache offensiv an. Darf er, bitte, die Schöffen nach deren Beruf fragen? Die Vorsitzende zögert einen Augenblick lang. Dann erlaubt sie K.s Nachfrage. Die Berufe werden sich am Ende ohnehin neben den Namen der Schöffen im Urteil finden.

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Held oder Querulant

Wer ist Herr K.? Vielleicht tut das nichts zur Sache, aber diese Frage muss gestellt werden: Was ist er? Ist er ein Kämpfer für unser aller Freiheit und gegen die Willkür der Behörden, ist er ein Bauernopfer oder ist K. das, was man einen Querulanten nennen würde – ist er einer, der einen Krieg vom Zaum bricht, um zu seinem Recht zu kommen? Ist er ein Bedroher und Beleidiger? Eines steht fest: K. hat längst eine Rolle angenommen, die er auszufüllen gelernt hat. Man vermutet, dass er die Zeitungsberichte über seinen Prozess ausschneidet und sammelt. Viele, die berichten, sagt er vor Prozessbeginn auf dem Gang, haben ein Problem mit der Komplexität der Angelegenheit. Dazu komme, dass die Leser alles Veröffentlichte für die Wahrheit hielten.
Zu allem, was in dieser Hauptverhandlung stattfinden wird, hat ein ausgedehntes Präludium stattgefunden. Urteile sind gesprochen, Rechtsmittel eingelegt worden. Man hat vor dem Amtsgericht begonnen, steht nun vor dem Landgericht und K., der das Recht auf seiner Seite glaubt, wird – wenn hier und heute [aus dem ‚heute‘ wird nichts werden] kein Freispruch erfolgt – „noch 100 Jahre weitermachen”. Durch alle Instanzen wird er gehen. Noch 100 Jahre? K. wird anbauen müssen in seinem Leben. Er ist aufmüpfige 70 Jahre alt und er wird (siehe oben) nicht klein beigeben.

Was man Bedrohung nennt

K. hat den Landrat beleidigt. Er hat ihn bedroht. (Was man eben Bedrohung nennt.) Alles begann mit K.s Jagdschein. Der sollte verlängert werden und wurde es nicht. Will einer seinen Waffenschein verlängern, ist es nicht mit einem Antrag und einer Unterschrift getan.
„Für die Ausstellung bzw. Verlängerung des Jagdscheines werden durch die Untere Jagdbehörde Zuverlässigkeitsüberprüfungen durchgeführt. Bei Vorliegen von Eintragungen im Bundeszentralregister ist die Ausstellung bzw. Verlängerung des Dokumentes nicht immer möglich.”
K.s Antrag auf Verlängerung seines Jagdscheins wurde – es war im Jahr 2017 negativ beschieden.
„Mit Ihrem Schreiben vom 18. Juni 2017 […] teilen Sie mir mit, dass das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Kleve wegen Körperverletzung gegen Sie eingestellt wurde und Sie deshalb davon ausgehen, dass die Angelegenheit damit erledigt ist.”
K. soll also eine Körperverletzung zum Nachteil seiner Lebensgefährtin begangen haben. Eine Körperverletzung, hält er dagegen, habe nie stattgefunden. Erledigt allerdings scheint die Sache trotzdem nicht.
„Gemäß Paragraph 17 Absatz 6 des Bundesjagdgesetzes kann die zuständige Behörde dem Beteiligten die Vorlage eines amts- oder fachärztlichen Zeugnisses über die geistige und körperliche Eignung aufgeben, wenn Tatsachen bekannt sind, die Bedenken gegen eine Zuverlässigkeit […] oder die körperliche Eignung […] begründen.Einer rechtskräftigen Verurteilung bedarf es hierfür nicht. […] Aus Ihrer Strafakte geht hervor, dass Sie über ein hohes Aggressionspotential verfügen. Bereits im Jahr 2020 ist es zu Tätlichkeiten […] mittels eines Messers und eines Schraubendrehers gekommen.Dem aktuellen Strafbefehl zufolge ist es zwischen Ihnen und ihrer damaligen Partnerin […] über einen Zeitraum von fünf Jahren fortwährend zu vorsätzlicher einfacher Körperverletzung gekommen. In Ihrem Vernehmungsprotokoll haben Sie die Tätlichkeiten eingeräumt. Sie gaben an, diese seien durch Ihre Partnerin provoziert worden. […] Auch wenn es bislang zu keiner rechtskräftigen Verurteilung gekommen ist, lässt sich jedoch aus den Gesamtumständen die berechtigte Annahme ableiten, dass Ihnen die persönliche Eignung fehlen könnte.”

Die Schlacht beginnt

K. reicht Beschwerde ein. Die Schlacht beginnt. K. fühlt sich betrogen um das, was ihm zusteht. Man unterstellt ihm, sagt er, was niemals stattgefunden hat. All das geschieht im Namen des Landrats und wenn einer so etwas tut, ist er ein Lügner, ein Schurke, ein Ehrloser, ein Betrüger. Das ist K.s Meinung. (Handelt es sich um eine Beleidigung oder eine durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckte Aussage?) Dem Landrat, schreibt K., gehöre der A… aufgerissen. Zerlegt gehöre der. Das allerdings wäre dann eine Bedrohung. („Bedrohung ist ein Gefährdungsdelikt, mit dem das Begehen eines Verbrechens gegen eine Person oder der Person Nahestehenden angedroht wird.” Quelle: Wikipedia.)
Die Vorsitzende gibt K. zu verstehen, dass man sich vorstellen könne, die ‚Bedrohungen‘ als eher metaphorisch zu betrachten. Das liegt nahe, denn niemand darf ernsthaft annehmen, dass K. dem Landrat, der längst nicht mehr im Amt ist, den Allerwertesten aufreißen und den Mann zerlegen will. Es gehe, so die Vorsitzende, auch nicht darum, dass K. keine Email schreiben dürfe – es gehe um den Ton, der im Geschriebenen herrsche.

Untrennbar

Das sieht K. aber ganz anders. Inhalt und Ton: untrennbar. Hier und heute wird er seine Verteidigerin 50 seiner Mails vorlesen lassen. Die Vorsitzende soll einen Eindruck bekommen. „Wir ziehen das hier durch.” K. hat den längst den Punkt erreicht, an dem es kein Zurück gibt. Die wahrscheinlich entfallende Anklage einer Bedrohung ließe ja immer noch den Tatbestand der Beleidigung offen. Er, K., werde nicht einen Tagessatz zahlen. Er, K., sei bereit, nötigenfalls ins Gefängnis zu gehen. Da, so K., sei es ohnehin besser als im Altersheim. (Das könnte, läsen es die Falschen, der direkte Weg in eine neue Schlacht werden.)
K. möge sich, sagt die Vorsitzende, hinsichtlich der veränderten Sachlage mit seiner Verteidigerin besprechen. Die Verhandlung wird unterbrochen. K. wird, erfährt man später, auf das Angebot nicht eingehen. Alles oder nichts. Ganz oder gar nicht. Einlenken kann nur, wer die Anklage fallen lässt.
Zwischendurch fragt man sich, ob der Landrat überhaupt jemals von der Sache gewusst hat. Man darf Zweifel hegen. Das gilt zumindest für alles, was vor der ersten Anklage passiert ist – ändert aber nichts am Geschehenen. Man hat K. übel mitgespielt – hat ihm die Polizei ins Haus geschickt. (K. besitzt und verwahrt Waffen.) Die Sache hat sich entwickelt. Wer Wind sät … Schwer feststellbar, wer der Sämann war und wer der Acker. K. will sich, sagt er, nicht uneinsichtig zeigen. Auch er möchte die Sache beenden, aber eben nicht mit einer Verurteilung. Er wird sich nicht wegen Beleidigung verurteilen lassen. Was er gesagt, geschrieben hat: Gedeckt vom Recht auf die freie Meinungsäußerung. Zudem – auch das zeigt die Verhandlung – könnte es sein, dass im Zuge der ersten Anklage gegen K. Rechtsfehler begangen wurden. Schnell zeichnet sich ab, dass der Frieden, dem K. zustrebt, so nicht eintreten wird. Die Vorsitzende wird den Tatbestand der Beleidigung nicht fallen lassen. Das macht sie deutlich. Und noch einmal macht sie deutlich, dass es in diesem Verfahren nicht um den Verwaltungsakt gehen kann, der alledem zugrunde liegt. Es wird hier einzig um die Tatbestände Beleidigung und Bedrohung gehen.

50 Mails

Dann soll, sagt K., seine Verteidigerin nun 50 der knapp 70 Schreiben vorlesen, die er verfasst und versandt hat. Im Tagesrhythmus sind sie bei den Adressaten eingeschlagen. K. zerpflückt eines der Urteile gegen ihn. Er durchleuchtet ein Netzwerk: Alle Mitglieder dieses Netzwerkes – diesen Eindruck lässt K. entstehen – sind gegen ihn und seine Sache Verschworene.
Bevor die Lesung beginnt soll alles, was gelesen wird, für die Prozessbeteiligten kopiert werden. Das dauert seine Zeit. Zeit, die K. für informelle Gespräche mit dem Gericht nutzt. Mit vielem, was er sagt, tut er sich, denkt man, keinen Gefallen. So scheint es auch die Verteidigerin zu sehen, die irgendwann aufsteht, sich zwischen K. und der Richterbank blickdicht aufbaut und K.s Wortschwall zu bremsen versucht.
Dann beginnt das Lesen. Eine Stunde, 90 Minuten. Die Erfindung einer neuen Höchststrafe: Zuhörenmüssen. Die Verteidigerin rauscht durchs Geschriebene als gäbe es kein Morgen. Glücklich alle, die den Text ausgedruckt vor sich haben. Man spürt mit jeder neu vorgelesenen Mail eine anwachsende Aggression. Hat man nicht Besseres zu tun? Aber: K. will einen Eindruck vermittelt wissen. Eines bleibt im Hirn stecken: Hat sich da ein Jagdscheininhaber mit der Flinte ins eigene Knie geschossen?

Einstellung gegen Auflagen

Die Verteidigerin regt eine „Einstellung gegen Auflagen” an. Die Vorsitzende lässt erkennen, „dass das Gericht sich mit diesem Gedanken schwer tut”. Später, nach einer Unterbrechung, heißt es, dass eine Einstellung für „`n Appel und `n Ei” nicht in Frage komme. Wenn überhaupt gehe es um eine angemessene Geldstrafe. Der Staatsanwalt mag sich auf eine Einstellung – unter welchen Umständen auch immer – nicht einlassen.
Am Ende beantragt K.s Verteidigerin einen Freispruch. Was K. geäußert hat, ist, sagt sie, vom Recht auf die freie Meinungsäußerung gedeckt. Man hat K. übel mitgespielt. Erstaunlich, dass ein Landrat nicht einmal den Unterschiede zwischen einem Strafantrag und eine Strafanzeige zu kennen scheine. Der Eindruck: Vieles im Vorfeld sei nicht korrekt gelaufen. Die Folge: Alle Urteile gegen K. sollen aufgehoben werden. Freispruch.
Der Staatsanwalt gibt zu: Die Sache ist kompliziert. „Ein schwieriges Verfahren.” (Und ein schwieriger Angeklagter, denkt man, dann ein dickfettgroßes Aber. Es geht nicht darum, wie schwierig einer ist. Es geht um das Recht. Auch der Staatsanwalt sieht keine Bedrohung des Landrats. Aber die Beleidigungen müssen bleiben – allein schon wegen ihrer Häufigkeit. Sie zielen nicht auf das Amt – sie zielen auf die Person des Landrats. (Was soll einer machen, dem Unrecht widerfährt?, denkt man.) 150 Tagessätze à 150 Euro. Das beantragt der Staatsanwalt. K.s Schlussbemerkung: Ich fordere mein Recht. Ich bin kein Engel, aber ich bin unschuldig angeklagt. Alle Schuldigen, so K., seien benannt. Natürlich habe er immer wieder geschrieben und es sei doch gut, dass er sich nur mit der Schreibmaschine gewehrt habe. Wenn es einen Kohlhaas brauche, werde er die Rolle übernehmen. (Bitte nicht, denkt man, denn Kohlhaas hat es am Ende nicht beim Schreiben gelassen.) Herr K.s Fall zeigt deutlich, dass ein Urteil keine Bauchsache sein darf. K. ist kein angenehmer Zeitgenosse – er ist einer, der eine Schussfahrt angetreten hat und nun das Bremspedal nicht mehr findet. Wenn, was all das hier ausgelöst hat, nicht korrekt war, darf man K. nicht verurteilen.
„Der Angeklagte wird wegen Beleidigung in 32 Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 180 Tagessätzen zu je 25 Euro verurteilt. Ihm wird gestattet, die Geldstrafe in monatlichen Teilbeträgen von 150 Euro, erstmals fällig am 3. des auf die Rechtskraft des Urteils folgenden Monats zu zahlen. Im Übrigen wird der Angeklagte freigesprochen. Die Kosten des Verfahrens erster Instanz und die Kosten der Berufung des Angeklagten fallen dem Angeklagten zur Last, soweit er verurteilt ist; im Übrigen trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten. Die Kosten der Berufung der Staatsanwaltschaft und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten werden der Staatskasse auferlegt.“ Herr K. ist nicht zufrieden. Man wird von ihm hören.

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