Buschs Phantome: Katzen und Kalaschnikow

GELDERN. Bei Peter Busch wird ein „Mittel-R“ gern zum ‚ch‘. Lautverschiebung … „Die Geschichte von Machta O.“, erzählt Busch, „begann für mich mit diesem Koffer.“

Jede Menge

Busch – das muss man wissen – ist seit Jahrzehnten leidenschaftlicher Flohmarktgänger und kaum ein Flohmarktbesuch endet ohne einen Ankauf. Wer zum ersten Mal Buschs Atelier an der Karmeliterstraße in Geldern betritt, bekommt (und behält) einen Eindruck davon, was Sammeln bedeutet. „Das hier ist ja nur ein kleiner Teil der Sammlung“, pflegt Busch zu sagen, wenn man angesichts der Materialfülle Schwindelgefühle bekommt. „Da müssten Sie mal mein Lager sehen …“

-Anzeige-

Langer Faden, faules Mädchen

Eines Tages jedenfalls war da dieser Koffer. Busch sah ihn und wollte ihn haben. „Kein Problem“, so der Verkäufer, „aber der Koffer geht nur mit dem Inhalt.“ Busch kaufte den Koffer – an den Preis erinnert er sich nicht mehr – und entdeckte das Leben der Martha O.. „Das erste, was ich nach dem Öffnen sah, war so ein gesticktes Bild, wie man sie in den 50-ern in vielen Schlaf- und Wohnzimmern hängen hatte.“
Busch interessierte sich – bei ihm nicht selten – vor allem für die Rückseite des Stickbildes. „Ich bin durch die Martha darauf gekommen, mir viele solcher Bilder anzusehen: von hinten. Da erkennst du dann die unterschiedlichen Stile. Manche sehen auf der Rückseite ebenso akkurat aus wie von vorn – bei anderen ist die Rückseite eine Art Chaos. Früher hieß es ja: Langer Faden, faules Mädchen.“
Im Koffer der Martha O. fanden sich aber nicht nur Stickbilder. „Da gab es auch jede Menge Eintrittskarten zu Opernaufführungen – es gab Kinokarten und Eintrittskarten für Kunstaustellungen. Ich habe mich also gefragt: Wer mag diese Frau gewesen sein?“ Gelebt hat Martha O., so schätzt Busch, von circa 1915 („Sie kann auch fünf Jahre früher oder später geboren sein.“) bis zur Mitte der 90-er Jahre. „Natürlich waren auch Fotos in dem Koffer, aber ich weiß nicht, ob das junge Mädchen mit der Hochsteckfrisur Martha gewesen ist und der Bursche neben ihr vielleicht ihr Mann.“

Eine Berührungsreliquie aus dem Nachlass der Martha O. NN-Foto: Rüdiger Dehnen

Die Zugabe

Unzählige Stickbildvorlagen fand Busch, aber auch Stefan Austs „Baader-Meinhof-Komplex“ in einer Taschenbuch-Ausgabe. „Da fragst du dich natürlich schon, wie all das zusammengeht: Katzen und Kalaschnikow.“ Das Buch: gelesen und mit unzähligen Anmerkungen versehen. Dann erzählt Busch von der „Zugabe“. Als ich damals diesen Koffer kaufte, sagte der Händler: „Wenn du 10 Mark drauf packst, hätte ich eine interessante Zugabe.“
Busch zahlte und erhielt: eine farbig eingehäkelte Kalaschnikow. „Ich habe das Ding nie ausgepackt, aber die Form ist doch eindeutig“, sagt er, geht zu einem der Regale und zeigt das eingehäkelte Maschinengewehr. „Sieht doch genau aus, wie das Ding aus dem RAF-Logo“, sagt er. Haltstop: Die Waffe im RAF-Logo ist doch eine Heckler & Koch, oder? „Egal. Für mich ist das Ding unterm Gehäkelten eine Kalaschnikow“, sagt Busch.
Bezogen auf die Häkelästhetik geht es jedenfalls schwer in Richtung der in den 70-ern gängigen eingehäkelten Klopapierrollen, „die ja dieser Tage ein Revival erleben“. Busch hat ein Buch angelegt. In dem dicken, handgebundenen Ding, das vom Format ein bisschen an eine Gutenberg-Bibel erinnert, hat er zusammengetragen, was der Koffer hergab. „Da findest du die beklopptesten Zitate.“
Neben den Zitaten auf einer Seite: ein gestickter David-Stern. „Du sitzt vor so einem Kofferleben und fragst dich, wie all das zusammenpasst. Das Material könnte doch mehrere Leben füllen – Leben, die so unterschiedlich waren, dass man sie eigentlich nicht in einer Seele zusammendenken kann“, sagt Busch. Einer der Sprüche: „Wirf deine alten Schuhe nicht weg, bevor die Neuen fertig sind.“

Dali und Dampfnudeln

Und dann: Der Baader-Meinof-Komplex, Musicalkarten, Eintrittskarten für Ausstellungen. „Tanz der Vampire“ – Terrorismus; Dali und Dampfnudelrezepte. „Ich hätte die Martha schon gern kennengelernt und sie befragt, aber ich habe nur diesen Koffer.“ Kleines Echo aus einem bewegten Leben. „So enden wir doch fast alle. Wir werden, wenn alles gut läuft, zu einem Stück Erinnerung und wenn es schlecht läuft, verschwinden wir geräuschlos“, sagt Busch und klappt das Buch zu.

Auferstehung

Das Leben der Martha O. hat Busch für eine Ausstellung zu einem Objekt zusammengebaut. „Das war 2007 anlässlich einer Ausstellung der Gruppe ‚FormArt93‘ in Kempen, erinnert sich Busch. Die Auferstehung eines Phantoms …

NN-Foto: Rüdiger Dehnen
Vorheriger ArtikelAktionswoche rund um den “Tag der Ernährung”
Nächster Artikel7-Tage-Inzidenz im Kreis Wesel sinkt leicht