Otter-Versand oder: Es muss ja nicht gleich Liebe sein

KLEVE. Was soll man schreiben? Eine Liebeshochzeit wird das hier nicht. Alles ist am grünen Tisch geplant. Mit den Brautleuten hat niemand vorher gesprochen. Bis zum ersten Treffen sind es noch gut sechs Stunden …

Otti hoch im Norden

Romantik, denkt man, geht anders. Aber wer kennt sich schon aus mit dem Liebesleben der Zwergotter? Zwergotter (wissenschaftlicher Name: Aonyx cinerea) stammen ursprünglich aus Asien, haben eine Lebenserwartung von circa 15 Jahren und leben in Familienverbänden.
Otti – so der Name des Bräutigams – ist ein Jopi Heesters unter den Zwergottern: 20 Jahre ist er alt. Noch lebt er allein. Jetzt allerdings will man ihm ans Leder. Eigentlich ist es nicht das Leder – man will … wie soll man es jugendfrei formulieren … Nachwuchs.
Otti lebt hoch im Norden: Tierpark Cux-Art in Beverstedt. Von dort ist an diesem sonnetriefenden Sonntagmorgen Dr. Heinz-Christian Steiner Richtung Kleve aufgebrochen, um eine noch namenlose Zwergotterdame mittels Transportbox in die neue Heimat (und zum Gatten Otti) zu bringen. Nur die Liebe zählt? Mal sehen …

-Anzeige-

Transportbox für die Braut

Der Chef im Klever Tiergarten, Martin Polotzek, hat den Kollegen (auch Steiner ist Tierarzt) am Eingang zum Versorgungshof des Tiergartens empfangen. Jetzt geht es mit Schubkarre und Transportbox in Richtung Ottergehege. Mit dabei: Hilfstierpflegerin Lara Schmitt. Sie trägt einen Stoffcasher, der ein bisschen aussieht wie ein ziemlich groß geratener Klingelbeutel. „Wir müssen jetzt aus der Familie heraus unsere Otterdame fangen. Das wird nicht ganz einfach.“ Die possierlich aussehenden Tiere können ziemlich beißen. Schmitt kann das beurteilen, denn einer der Otter hat sie – ein halbes Jahr ist das her – böse am Bein erwischt.

Braut gechipt

Wie kann sie eigentlich wissen, dass am Ende auch die richtige Braut im Casher sitzt? „Das ist ganz einfach“, erklärt Martin Polotzek. „Alle Tiere sind gechipt. Ich habe hier einen Scanner und wir können damit sofort überprüfen, ob wir das richtige Tier gefangen haben.“ Klingt einfach. Ist es auch. Man muss halt nur das richtige Tier erwischen. Die Chancen stehen eins zu zehn. Das ist überschaubar, aber: die Familie besteht – zumindest für den ungeübten Beobachter – aus lauter eineiigen Zwillingen.

Die Hochzeitsreise beginnt im Casher. NN-Foto: Rüdiger Dehnen

Tiertauschliste

Was zahlen die Beverstedter eigentlich für die Braut aus Kleve? Martin Polotzek: „Nichts. Wir nennen das ‚offenen Tausch‘. Zoos in Deutschland, Österreich, Schweiz, Belgien und Niederlande versenden einmal im Monat eine Tiertauschliste. Da können einerseits Wünsche und andererseits Angebote eingetragen werden. Und wie gesagt: Es handelt sich um einen offenen Tausch.“
Mittlerweile ist die „Transfer-Abordnung“ am Otter-Gehege eingetroffen. Die Transportbox wird bereitgestellt. Alle Otter sind noch im Stall. Polotzek und zwei Kolleginnen setzen zur Ottersafari an. Circa fünf Minuten später ist das erste Tier gefangen. Der Scan ergibt: Leider kein Treffer. „Das war ein Bock“, sagt Lara. Der Bock wird ins Außengehege gelassen, wo er schnaubend (und wahrscheinlich erleichtert) verschwindet. Laras Kommentar: „Der Bock ist noch einigermaßen harmlos. Die Alte ist richtig schlimm.“

Früher …

Während Lara zum zweiten Fang ansetzt, plaudert Heinz-Christian Steiner aus dem Nähkästchen. Er ist Tierarzt in vierter Generation. Seit 120 Jahren wird in der Familie praktiziert. Jetzt ist auch seine Tochter mit dabei. Steiner ist 74 und ziemlich fit. „Als ich noch klein war, konnte man Zwergotter bei Karstadt für 50 Mark kaufen“, erinnert er sich. So ändern sich die Zeiten: jetzt kann man Karstadt kaufen …

Vollpension

Wie kann es denn eigentlich sein, dass der Beverstedter Bräutigam zum Methusalem geworden ist? „In Zoos werden viele Tier älter als in der freien Wildbahn.“ Vielleicht liegt‘s an der Vollpension.
Der zweite Otter ist gefangen. Wieder der Falsche. Ab ins Gehege: Da stecken jetzt schon zwei Kollegen die Köpfe aneinander und sehen sich die Vorgänge ziemlich genau an. „Sie sehen“, sagt Steiner, „sehr familienorientiert.“ Es werden noch zwei Otter gefangen: Jetzt schauen vier neugierige Otter zu und hören aus dem Stall den Freudenjubel, als endlich die Braut ins Netz, pardon: in den Casher gegangen ist. Jetzt wird sie in Steiners Transportbox verladen. Vorsicht beim Tragen der Box: Nur nicht mit den Finger zu nah ans Gitter kommen. Die Dame könnte beißen. Rauf mit der Box auf die Schubkarre und ab Richtung Versorgungshof. „Wir stellen die Box erst mal ins Futterhaus“, sagt Martin Polotzek. Er wird mit seinem Gast noch einen Rundgang durch den Tiergarten machen. Kollegengespräche. Erst danach wird die Braut samt Box ins Auto verladen.

Ottilie, vielleicht

„Haben Sie eigentlich schon einen Namen?“, fragt Polotzek. „Ottilie vielleicht.“ Das passt: Otti und Ottilie. „Vielleicht machen wir aber auch was mit der Presse und rufen die Leute auf, einen Namen zu vergeben.“
In circa fünf Stunden wird der Ottertransport in Beverstedt eintreffen. Dann werden Otti und Ottilie zum ersten Mal aufeinandertreffen. Sie werden sich kennen und hoffentlich mögen lernen. Späterer Nachwuchs erwünscht. Man wünscht alles Gute.

Na denn: auf nach Beverstedt. NN-Foto: Rüdiger Dehnen

P.S. Mail vom Tiergarten Cux-Art: Es war doch Liebe auf den ersten Blick

Wie üblich, haben wir die beiden Otter zum Kennenlernen aus Sicherheitsgründen in zwei Gehegen untergebracht, die durch ein 1,80 Meter hohes Gitter getrennt waren. Noch in der Nacht ist Olga (so heißt die Otterdame jetzt) über das Gitter geklettert, um zu Otti zu gelangen. Als wir die beiden Otter am folgenden Morgen im Außengehege gesehen haben, waren sie bereits ein Herz und eine Seele.
Mit freundlichen Grüßen aus Beverstedt: Dr. Heinz-Christian Steiner
Na bitte – happy together: Olga und Otti

Digitale Führung

P.S. Wer trotz Corona Lust auf einen Rundgang durch den Klever Tiergarten hat, sollte sich für die Online-Führung am kommenden Sonntag anmelden. (www.tiergarten-kleve.de Dann weiter zu: Angebote und Führungen.) Die Führung beginnt um 11 Uhr und dauert zwischen 60 und 90 Minuten. Anmeldung mit Email-Adresse, Namen und Anschrift an info@tiergarten.de, Stichwort: Digitale Sonntagsführung. Kosten: 5 Euro.

Vorheriger ArtikelManchmal hilft nur: Ohren zu und durch!
Nächster Artikel7-Tage-Inzidenz steigt im Kreis Kleve auf 75,8