“Wir warten alle, dass es endlich losgeht”

Christoph Gerwers, Sprecher der Bürgermeister-Konferenz im Kreis Kleve, im NN-Interview über die Ergebnisse des Impfgipfels, das Impfzentrum und die Entwicklung der Corona-Pandemie im Kreis Kleve.

Corona Impfzentrum Kalkar
Die Impfzentren sind seit Ende September geschlossen. Ab kommender Woche soll es regelmäßig Impfangebote in den Kommunen geben. Foto: privat

REES. Ein großes Versprechen, eine große Enttäuschung. Ein positives Signal, kaum mehr als ein Placebo. Die Reaktionen auf den Berliner Impfgipfel am vergangenen Montag fallen deutschlandweit sehr unterschiedlich aus. Wie aber sieht es im Kreis Kleve aus? Christoph Gerwers, Bürgermeister der Stadt Rees und Sprecher der Bürgermeisterkonferenz im Kreis Kleve, ordnet im NN-Interview die Ergebnisse des Impfgipfels ein und spricht über das Impfzentrum in Kalkar sowie die Entwicklung der Corona-Pandemie im Kreis.

Herr Gerwers, im Vorfeld des Impfgipfels gab es die Kritik, die Kommunen seien vom Bund nicht ausreichend über das weitere Vorgehen und geplante Maßnahmen informiert worden. Haben Sie das ebenso empfunden?
Christoph Gerwers: Nein, diesen Eindruck hatte ich nicht. Wir sind zwar nicht der erste Ansprechpartner gewesen, das war beim Thema Impfen und Einrichtung des Impfzentrums der Kreis Kleve. Dieser hat uns als Kommunen aber von Beginn an sehr ausführlich über die Entwicklungen in Sachen Impfzentrum informiert. Die Zusammenarbeit mit dem Kreis und den anderen Kommunen läuft aktuell wirklich gut. Ein wenig anders sieht es beim Thema Impfterminvergabe aus.

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Was genau meinen Sie?
Gerwers: Der Kreis hat uns von Anfang an mitgeteilt, dass die Vergabe von Impfterminen über die Kassenärztliche Vereinigung laufen wird. Darüber waren wir nicht glücklich. Wir hätten uns gut vorstellen können, dass der Kreis dies organisiert. Ich bin auch davon überzeugt, dass er es deutlich besser organisiert hätte. Aber das ist nicht unsere Entscheidung gewesen, sondern die der Landesregierung – man kann darüber diskutieren, ob es die richtige Entscheidung war.

“Wir müssen Probleme, die uns auffallen,
in die richtigen Gremien kommunizieren”

Gerwers Corona
Christoph Gerwers, Bürgermeister der Stadt Rees und Sprecher der Bürgermeister-Konferenz im Kreis Kleve.
Foto: Stadt Rees

Unter anderem Dietmar Bartsch von den Linken hatte gefordert, dass auch Oberbürgermeister und Landräte am Impfgipfel hätten teilnehmen sollen. Ein Wunsch, dem Sie sich angeschlossen hätten?
Gerwers: Ob ein Oberbürgermeister, der an einem solchen Impfgipfel teilnimmt, wirklich hilfreich ist, möchte ich bezweifeln. Wichtig ist, dass wir die Dinge hier vor Ort vernünftig organisieren und dass wir die Dinge, die uns auffallen und wo wir Probleme sehen, in die richtigen Gremien kommunizieren können. Wenn wir beispielsweise feststellen, bei der Kassenärzt­lichen Vereinigung klappt die 116117 nicht, müssen wir das frühzeitig der Landesregierung mitteilen und sagen: Wir haben große Sorgen, dass die Hotline nicht funktionieren könnte und dass auch die Online-Anmeldung Probleme bekommen wird. Wenn wir dann gehört werden, ist alles noch gut gelaufen – wir müssen aber nicht bei jedem Gipfel dabei sein.

Wie bewerten Sie die Ergebnisse des Impfgipfels, sowohl als Bürgermeister der Stadt Rees als auch als Sprecher Ihrer Kollegen im Kreis?
Gerwers: Wir hatten keine hohen Erwartungen an den Impfgipfel. Wichtig ist, dass man noch einmal miteinander gesprochen hat, sowohl die Verantwortlichen in der Bundes- und den Landesregierungen als auch die Hersteller der Impfstoffe. Und dass man erreicht hat, dass jetzt noch nachdrücklicher mehr Impfstoff produziert wird. Wichtig ist auch, dass wir unten – also auf kommunaler und Kreisebene – verlässliche Angaben erhalten, wie viele Impfdosen wann zur Verfügung stehen werden, damit wir dann entsprechend die Impfungen koordinieren können. Aber viel mehr war nicht zu erwarten. Dass nach einem solchen Impfgipfel auf einmal genug Impfstoff vorhanden ist, konnte und durfte man nicht erwarten.

“Die Kreise haben gute Arbeit geleistet. Da ist
es ärgerlich, wenn später geimpft werden soll”

Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, erhofft sich mehr Planungssicherheit für die Kommunen in Sachen Impfzentren. Eine aus Ihrer Sicht berechtigte Hoffnung?
Gerwers: Die Botschaft lautet ja: Ab dem zweiten Quartal steht deutlich mehr Impfstoff zur Verfügung. Die Impfzentren stehen seit dem 15. Dezember bereit. Es musste alles sehr schnell gehen, da haben die Kreise und die kreisfreien Städte richtig gute Arbeit geleistet. Jetzt warten wir alle darauf, endlich impfen zu können. Da ist es natürlich ärgerlich, wenn der Impfstoff nicht vorhanden ist und erst später geimpft werden soll. Denn gerade die Über-80-Jährigen wollen jetzt dringend geimpft werden.

Sie haben die Helfer- beziehungsweise Mitfahrbörsen angesprochen. Haben Sie die Sorge, dass die Bereitschaft in der Bevölkerung, sich hier zu engagieren, schwinden könnte, wenn es nicht bald losgeht?
Gerwers: Habe ich nicht. Es ist ja nur um eine Woche nach hinten verlegt worden. In Rees beispielsweise haben wir aktuell 22 Helfer, die bereit sind, einen älteren Mitbürger zum Impfzentrum zu fahren – das werden sie auch am 8. Februar tun. Wir haben zwei Personen, die bereits angekündigt haben, dass sie keine Möglichkeit haben, nach Kalkar zu kommen. Die werden wir auch dorthin bringen. Eine Person hat allerdings noch nicht mal einen Impftermin, weil sie bei der Hotline einfach nicht durchkommt. Das zeigt: Die Problematik, nach Kalkar zum Impfzentrum zu kommen, ist klein im Vergleich zu dem Problem, überhaupt einen Impftermin zu bekommen.

Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrund die erneute Forderung beispielsweise der FDP-Kreistagsfraktion nach einem zweiten Impfzentrum im Südkreis?
Gerwers: Die FDP ist meines Wissens auch Teil der Landesregierung. Und wenn die FDP-Kreistagsfraktion möchte, dass es einen einzigen Kreis im Land Nordrhein-Westfalen gibt, der ein zweites Impfzentrum bekommt, dann müsste sie sich nicht an die Landrätin wenden, sondern an die Landesregierung – und hier speziell an ihre Minister. Davon abgesehen haben wir über ein zweites Impfzentrum gesprochen, und selbst NRW-Gesundheitsminister Laumann hätte lieber eine dezentrale Lösung gehabt. Aber das war schon allein aufgrund des Impfstoffes – der von Biontech muss beispielsweise bei -70 Grad gelagert werden – nicht möglich. Deshalb gab es die Vorgabe des Landes: Pro Kreis oder kreisfreier Stadt ein Impfzentrum.

“Für die Fahrt zum Impfzentrum einen Bus
einzusetzen ist schon rein praktisch völliger Nonsens”

Auch die Mitfahrbörsen werden nicht flächendeckend positiv bewertet. Was sagen Sie zu Forderungen, der Kreis müsste die Anreise zum Impfzentrum organisieren?
Gerwers: Das Problem ist, dass die Termine ja nicht städteweise vergeben werden – was auch eine Überlegung unsererseits war. Dann hätte man ein Shuttlebus-System organisieren können. Tatsächlich aber muss man ja schon froh sein, wenn beide Elternteile zum gleichen Zeitpunkt zum Impfzentrum gebracht werden und geimpft werden können – geschweige denn eine ganze Stadt. Das heißt als Beispiel: Es fahren heute einer aus Rees, zwei aus Goch, einer aus Wachtendonk und fünf aus Rheurdt zum Impfzentrum – und dafür soll man einen Bus einsetzen? Das ist schon rein praktisch völliger Nonsens. Es gibt allerdings noch einen ganz anderen Aspekt.

Bitte.
Gerwers: Ich finde, es ist eine tolle Sache, dass wir nach weniger als einem Jahr überhaupt einen Impfstoff haben. Das hat zuvor noch nie geklappt. Es ist eine großartige Leistung. Vor diesem Hintergrund kann ich auch diese Impfskepsis nicht nachvollziehen: Viele Menschen unternehmen tolle Fernreisen – auch in Länder, in denen es zum Beispiel Malaria oder Hepatitis gibt – und lassen dafür alle notwendigen Impfungen über sich ergehen. Dafür sind wir also bereit, alle Risiken dieser Welt einzugehen. Aber für eine Impfdose, die unser Leben schützt, sind wir nicht bereit, uns eine Dreiviertelstunde ins Auto zu setzen und nach Kalkar zu fahren.

Der Einzelhandel wünscht sich eine Perspektive, wann wieder mit Öffnungen zu rechnen ist.
Gerwers: Das kann ich gut nachvollziehen. Als potenzieller Kunde würde ich es auch begrüßen, wenn die Einzelhandelsgeschäfte in irgendeiner Form wieder geöffnet werden würden. Auf der anderen Seite weiß keiner von uns, wie sich dieses britische und auch das südafrikanische Virus hier verhält. In erster Linie geht es nun mal um den Schutz von Leib und Leben, daher muss man sehr sorgfältig abwägen.

“Im Prinzip haben wir die Krise
im Kreis Kleve recht gut bewältigt”

Wie ist der Kreis Kleve aus Ihrer Sicht durch den zweiten Lockdown gekommen?
Gerwers: Bislang ganz gut. Es gibt sicherlich Punkte, wo man hätte besser sein können, beispielsweise anfangs bei der Kontaktnachverfolgung. Aber das ist inzwischen geklärt und funktioniert. Im Prinzip haben wir die Krise recht gut bewältigt. Wir liegen mit unseren Werten im unteren Landesdurchschnitt, die Infektionszahlen sinken. Daher ist die Entwicklung insgesamt positiv.

Sie sagten es, die Werte sinken. Würden Sie sich auch für Lockerungen aussprechen, wenn die Inzidenz unter 50 sinkt.
Gerwers: Auf jeden Fall. Als erstes würde dies natürlich die Schulen und die Tageseinrichtungen betreffen, aber auch den Handel. Da gab es zum Teil ja wirklich gute Hygienekonzepte, die gut geeignet waren, das Risiko möglicher Infektionen zu minimieren. Das Problem sind vielmehr die Bürgerinnen und Bürger, die sich nicht an die Regeln halten. Die meisten Menschen tun es, aber es gibt immer auch diejenigen, die unvorsichtig und leichtsinnig sind.

Ein Beispiel?
Gerwers: Wir haben hier in Rees aktuell das Thema, dass aufgrund des Hochwassers weniger Platz auf der Rheinpromenade zur Verfügung steht. Und am vergangenen Wochenende war der Teufel los: Aus der ganzen Region sind Leute nach Rees gekommen, um Hochwasser zu gucken – aber dabei wurden keine Abstände eingehalten, keine Masken getragen. Das ist im höchsten Maße unvorsichtig, da muss man entsprechend reagieren. Ansonsten bin ich aber, wenn die Zahlen sinken, dafür, dass man lockert.

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