„Es hat von Anfang an gepasst“

Annewil Falk (19) aus Kleve ist seit knapp 17 Monaten als Au Pair in den USA

Annewil mit ihren beiden „Kindern“ in Downtown Seattle.

KLEVE. Richtiges „Heimweh“ hatte Annewil Falk noch nicht. „Es gibt aber Momente, in denen ich gern mit meiner Familie sprechen würde“, sagt die 19-Jährige. Face to face. Nicht per Skype oder am Telefon. Seit Juli 2019 ist Annewil in den USA. Im Sommer hat sie ihr „Au Pair“-Jahr um weitere zwölf Monate verlängert. Wenn sie zurückkommt, wird sie wahrscheinlich studieren. „Vielleicht auf Lehramt“, sagt sie. Die meisten ihrer Schulkameraden haben bereits zum Wintersemester angefangen. Unter Druck gesetzt fühlt sich Annewil dadurch nicht. „Ich lerne hier sehr viel“, ist sie überzeugt.

Gesehen hat die 19-Jährige in den vergangenen eineinhalb Jahren schon so einiges – bis Corona kam. San Francisco, Vancouver, ein Roadtrip von Washington D.C. hoch bis Boston. Und Silvester auf Hawaii. „Das war cool“, sagt Annewil. Freunde ihrer Gasteltern hätten sie mitgenommen. Erlebnisse, die immer im Gedächtnis bleiben werden. Mit ihren Gasteltern hat es Annewil gut getroffen. „Das hat von Anfang an gepasst“, sagt sie. Auch mit den beiden Kindern, vier und sechs Jahre alt, kommt sie gut zurecht. Annewil macht ihnen Frühstück, bringt sie zur Schule und zum Sport, geht mit ihnen spazieren. Gemeinsam kochen, backen, spielen – „eigentlich gibt es immer etwas zu tun“, sagt sie.

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Annewils Gastmutter bekommt bald Zwillinge

Ein „Familienfoto“, entstanden in Nashville – alle freuen sich auf die Zwillinge, die bald zur Welt kommen sollen.
Fotos: privat

Langweilig wird es auch in Zukunft nicht. Ganz im Gegenteil. „Meine Gastmutter bekommt bald Zwillinge“, freut sich die junge Frau aus Kleve auf den Nachwuchs. Deshalb ist es in letzter Zeit auch etwas ruhiger geworden. „Wir halten Abstand und versuchen, unsere Kontakte zu reduzieren“, sagt Annewil. Aus Angst, die Schwangerschaft zu gefährden. Wegen der steigenden Corona-Zahlen wird in vielen Städten bald wieder das öffentliche Leben heruntergefahren.

„Hier in Nashville sollen die Schulen bis nach Neujahr geschlossen bleiben“, sagt Annewil. Trotzdem ist ihr Eindruck, dass sich viele Amerikaner nicht von Corona beeindrucken lassen. „Freiheit ist hier ein großes Thema“, sagt sie. Die ließe man sich nicht nehmen. Sie selbst habe auch noch nicht gesehen, dass Kontrollen stattfinden. Einschränkungen nach europäischem Maßstab seien auch deshalb schwer denkbar, weil man in den USA sehr stark auf eine funktionierende Wirtschaft fokussiert sei.

Umzug nach Nashville

Das erste Jahr hat Annewil mit ihrer Gastfamilie in Seattle, der größten Stadt im Nordwesten der Vereinigten Staaten, gelebt. Im Frühjahr ist sie zusammen mit der Familie nach Nashville umgezogen. Hier hat sie eine ganz andere Seite von Amerika kennengelernt. Das Klima, das Essen, der Akzent, die Leute – Tennessee bezeichnet sich zusammen mit den Staaten Alabama, Kentucky, Louisiana und Mississippi als „Deep South“. Und der „tiefe Süden“ ist sehr traditionell. Nashville ist die Hauptstadt Tennessees – und vor allem bekannt als Wiege der Country-Musik. In Downtown Nashville reihen sich die Clubs und Bars aneinander. „Man hört überall die Live-Musik, wenn man da entlang läuft“, sagt die 19-Jährige. Ein Konzert hat sie noch nicht besucht. „Es soll aber viel weniger los sein als vor Ausbruch der Pandemie“, hat sie gehört.

Wahlen in Amerika erleben

Spannend war es für Annewil, die Wahlen mitzuerleben. Wahlmänner, Primaries und Swing States – dass das amerikanische Wahlsystem kompliziert ist, war Annewil durchaus bewusst. Ein TV-Duell, bei dem sich die beiden politischen Gegner gegenseitig übel beschimpfen und Angst vor Ausschreitungen – so etwas kennt sie aus Deutschland aber nicht. „Hier gibt es nur zwei Parteien. Entweder, man ist Republikaner oder Demokrat. Einer gewinnt, der andere verliert.“ Annewil kann nachvollziehen, weshalb die Menschen aneinander geraten, wenn es um Politik geht und sie versteht auch, weshalb der Wahlkampf deutlich aggressiver abläuft. Oder zumindest so wirkt. „Das kommt immer sehr dramatisch rüber“, weiß sie. Um elf Wahlleute geht es in Tennessee. Die großen Städte Nashville und Memphis konnte Joe Biden bei den Wahlen am 3. November für sich gewinnen, im Rest des Staates, den ländlichen Regionen, hatte er allerdings keine Chance.

Donald Trump kam am Ende insgesamt auf 60,6 Prozent der Stimmen, Biden auf 37,4 Prozent. Damit konnte sich der republikanische Kandidat im Bundesstaat Tennessee zum sechsten Mal in Folge durchsetzen. Annewil erklärt, dass dieses Ergebnis auch mit der Religiösität der Menschen zu tun hat. Gerade bei den Evangelikalen (Trump ist Presbyterianer), den meist weißen, konservativen Protestanten, gilt der noch amtierende Präsident als Beschützer der christlichen Religionsfreiheit. Wie reagiert das „rote“ (die Farbe steht für die Republikaner) Tennessee auf den Wahlsieg Bidens? „Viele seiner Anhänger sind dankbar dafür, dass Trump die letzten vier Jahre Präsident gewesen ist“, ist Annewils Eindruck. „Sie akzeptieren das Ergebnis und setzen darauf, dass Trump, wenn Gott es will, in vier Jahren erneut antritt und gewinnt“, sagt sie.

Amerika ist unglaublich vielseitig

Dann wird Annewil allerdings schon längst wieder zuhause in Deutschland sein. „Darüber bin ich auch froh“, sagt sie. Sie ist nicht davon überzeugt, dass eine zweite Amtszeit Donald Trumps dem Land gut tun würde. In die Vereinigten Staaten auszuwandern ist für Annewil aber ohnehin keine Option. „Ich mag den coolen Lifestyle“, räumt sie ein. Für immer bleiben will sie trotzdem nicht. „Ich habe mich ganz bewusst damals für Amerika entschieden, weil es ein guter Ausgangspunkt ist, um möglichst viele andere Dinge zu sehen“, erklärt Annewil. Deshalb hat sie auch in den zurückliegenden Monaten darauf verzichtet, „Urlaub zu Hause“ zu machen. „Aktuell sind allerdings auch Tripps durch die USA keine Option“, weiß sie. Damit hat sie sich aber arrangiert. „Ich genieße es momentan sehr, viel Zeit mit meiner Gastfamilie zu verbringen“, sagt sie. Mit ihrer „richtigen“ Familie spricht sie regelmäßig und auch mit einigen Freunden hält sie Kontakt. „Eigentlich sind fast alle direkt nach dem Abitur erstmal ins Ausland gegangen oder haben etwas anderes gemacht“, sagt Annewil. Raus aus dem Schulalltag. Sie selbst ist sehr zufrieden mit ihrer Entscheidung, als Au Pair zu arbeiten. „Amerika ist unglaublich vielseitig“, sagt sie.

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