„Platt ist cool“: Agnes Jay schreibt ihr Wörterbuch fort

Ergänzungsband zum „Reeser Platt“ von 2017 ist nun erschienen

Reeser Platt
Die Autorin Agnes Jay im Kreises ihrer Mitstreiter (v. l.) Hermann Voß, Hermann Venhofen und Michael Hoffmann. Die Skulptur „Zwiegespräch“ ist auch auf dem Cover ihres Buches zu sehen. NN-Foto: MB

REES. Als Agnes Jay im Mai 2017 ihr Wörterbuch „Reeser Platt“ veröffentlicht, ist ihr eines bereits klar: Das Kapital ist noch längst nicht abgeschlossen. „Ich wusste, dass es noch einen Ergänzungsband geben würde“, verrät die pensionierte Lehrerin und Vorstandsmitglied im Reeser Geschichtsverein Ressa. Besagter Band ist nun erschienen: Auf 493 Seiten bietet das Buch nicht nur die Übersetzungen plattdeutscher Wörter ins Hochdeutsche, sondern auch Sprüche und Redewendungen sowie Reime, Lieder und Gedichte. „Wenn möglich, habe ich außerdem immer auch einen Bezug zur Stadt Rees hergestellt“, sagt Jay.

Agnes Jay hat genau mitgezählt: 48-mal hat sie sich mit ihren Mitstreitern Hermann Voß und Hermann Venhofen im Reeser Stadtarchiv getroffen, jedes Mal rund dreieinhalb Stunden mit Recherchen verbracht. Die wesentlichen Fragen zählt Jay auf: „Wie schreibt man ein Wort? Wie spricht man es aus? Wo kommt es her? Wann wird es angewendet?“ Und all diese Informationen haben es auch tatsächlich zu den einzelnen Einträgen ins Buch geschafft – und mehr: Denn bei Speisen hat Jay auch gleich noch ein Rezept dazugestellt. Zwar nicht mit detaillierten Mengenangaben, „aber wenn man ein bisschen kochen kann, kann man sie nachkochen“, sagt die Autorin mit einem Augenzwinkern.

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Platt ist vom Aussterben bedrohte Minderheitensprache

Ein wenig vergeht ihr die Freude allerdings, wenn sie an das Plattdeutsche denkt, das sich von einer jahrhundertelangen Muttersprache zu einer vom Aussterben bedrohten Minderheitensprache entwickelt hat. Für Jay ist es „ein kultureller Verlust, denn Dialekt hat viel mit regionaler Kultur zu tun“. Verschwindet ein Dialekt beziehungsweise das Platt, verschwindet auch ein Teil der regionalen Kultur.

Verkauf
Das Wörterbuch „Reeser Platt – Ergänzungsband“ gibt es für 26,90 Euro im Buchhandel und in der Tourist-Info am Reeser Markt. Mit dem Verkaufspreis werden nur die Druckkosten refinanziert. Die Sparkasse Rhein-Maas, der Landesverband Rheinland und der Reeser Geschichtsverein unterstützen das Werk ebenfalls.

In Rees lässt sich dies bereits beobachten. Schätzungsweise knapp zehn Prozent der Reeser sprechen noch das Reeser Platt – Tendenz abnehmend. „Bei den Proot-Platt-Abenden wird die Sprache zwar noch gepflegt“, sagt der Ressa-Vorsitzende Heinz Wellmann, „aber leider nicht weitergegeben.“ Dies passiere nur noch, wenn das Platt innerhalb der Familie weitergegeben wird, etwa wenn Großeltern mit ihren Enkeln Platt sprechen. Ein wenig neidisch blickt so auch Agnes Jay auf andere Regionen Deutschlands, etwa nach Friesland, wo das Platt sogar Bestandteil des Schulunterrichts ist.

Reeser Platt ist “ausdrucksstark und facettenreich”

Dabei kann Platt durchaus verbinden, wie Agnes Jay aus eigener Erfahrung weiß. 1966 zog sie von Rees nach Essen. „Was mich aber bis heute mit Rees verbindet, ist diese Sprache. Sie gibt es sonst nirgends, sie ist etwas so Spezielles.“ Das Reeser Platt sei ausdrucksstark und facettenreich, kenne durchaus auch aktuelle Begriffe (zum Beispiel „Lattekrüss“ für das als „Hashtag“ bekannte Schriftzeichen) und biete immer wieder einen Blick in die Geschichte der Stadt. Für Jay vermittelt das Reeser Platt „ein heimisch-positives Gefühl“. Doch viele lehnten es ab, da es nicht „die Sprache des gehobenen Volkes“ sei. „Dabei ist das Gegenteil der Fall“, versichert Jay. Sie selbst kenne viele gebildete Menschen, zum Beispiel auch Ärzte, die Platt sprechen.

Sprichwörter auf Platt beinhalten zudem nicht selten Lebensweisheiten, ergänzt Hermann Voß, der mit einer umfangreichen Sammlung an Sprüchen und Redewendungen im neuen Buch vertreten ist, die er über Jahrzehnte zusammengetragen hat. Ein vierter Mitstreiter ist übrigens der ehemalige Ressa-Vorsitzende Michael Hoffmann. Er hat zahlreiche Zeichnungen beigesteuert, mit denen Aufbau und Funktion alter technischer Geräte veranschaulicht werden.

Mit ihrem Ergänzungsband erneuert Agnes Jay ihr Anliegen: „Ich möchte das Platt bewahren, damit man es in vielen Jahren zumindest noch nachlesen kann. Denn: Platt is cool!“

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