Ehrliche Reue im „Schlüsseldienst-Prozess“

Das Klever Landgericht verhandelt den Fall nach BGH-Urteil erneut

KLEVE/GELDERN. Mehr als 66 Millionen Euro sollen zwei Angeklagte – ein 60-jähriger Gelderner und ein 41-jähriger Weezer – in den Jahren 2007 bis 2016 mit der „Deutschen Schlüsseldienstzentrale“ (DSZ) erwirtschaftet haben. Lediglich 36 Millionen Euro gaben sie jedoch laut Urteil im sogenannten „Schlüsseldienstprozess“ aus dem August 2018 in ihrer Steuererklärung an. Mehr als fünf Millionen Euro Umsatzsteuer sollen sie so dem Fiskus vorenthalten haben (die NN berichtete). 

Unter anderem wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs, Steuerhinterziehung und Vorenthalten sowie Veruntreuen von Arbeitsentgelt wurde der 60-Jährige 2018 zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten und der 41-Jährige zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Der Bundesgerichtshof (BGH) hob dieses Urteil jedoch in Teilen auf, weshalb die erste große Strafkammer des Landgerichts Kleve den Fall seit Montag erneut verhandelt.

-Anzeige-
Schlüsseldienst-Prozess
Der 60-jährige Gelderner (m.) wurde 2018 zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Er sitzt noch immer in Untersuchungshaft. NN-Foto: SP

Beide Seiten hatten nach der Urteilsverkündung im August 2018 Revision gegen das Urteil eingelegt. Der Bundesgerichtshof gab den Angeklagten in Teilen Recht und hob in 404 Fällen die Verurteilung zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt sowie in 65 Fällen der Verkürzung von Lohnsteuer auf. Als Begründung führte der Bundesgerichtshof an, dass die Berechnung der Höhe der nicht aufgeführten Sozialversicherungsbeiträgen an Rechtsfehlern leide. Unter anderem sei in den besagten Fällen nicht überprüft worden, ob die Monteure der „Deutschen Schlüsseldienstzentrale“, für die die beiden Angeklagten keine Steuern und Sozialversicherungsabgaben leisteten, kirchensteuerpflichtig gewesen seien. Bei der Berechnung der Abgaben sei die Kirchensteuer jedoch berücksichtigt worden.

Die Revision der Staatsanwaltschaft hatte sogar in vollem Umfang Erfolg: Der Bundesgerichtshof änderte das Urteil aus dem Jahr 2018 dahingehend ab, dass die Angeklagten des gewerbsmäßigen Bandenbetruges in Tateinheit mit Wucher schuldig sind.
Zum Hintergrund: Die beiden Angeklagten führten ab 2007 die in Geldern ansässige „Deutsche Schlüsseldienstzentrale“. Der 41-Jährige war als Geschäftsführer eingetragen, während der 60-Jährige aber die maßgeblichen Entscheidungen getroffen haben soll. Mit Werbeanzeigen inserierte die DSZ bundesweit unter anderem in Telefonbüchern. Die Anzeigen erweckten unter anderem aufgrund vermeintlicher Festnetznummern den Eindruck, dass Kunden bei ortsansässigen Schlüsseldiensten anriefen. In Wirklichkeit wurden die Anrufe jedoch zur „Deutschen Schlüsseldienstzentrale“ nach Geldern weitergeleitet. Von dort aus gaben Callcenter-Mitarbeiter die Aufträge an Monteure weiter. Nach Meinung des Gerichts waren diese schein-selbstständig, da sie konkrete Anweisungen der DSZ bekamen.

Überzogene Rechnungen

Die Monteure, die meistens eine lange Anfahrt hatten, öffneten vor Ort die Tür und stellten überzogene Preise für ihre Arbeit in Rechnung. Teilweise führten sie sogar unnötige Arbeiten aus oder beschädigten absichtlich das Türschloss, um die Rechnung weiter in die Höhe zu treiben. Die Staatsanwaltschaft sah darin den Tatbestand der Wucher erfüllt; die Wirtschaftsstrafkammer des Klever Landgerichts jedoch nicht, da sie keine Zwangslage bei den Kunden erkannte. Der Bundesgerichts sah dies wiederum anders und verwies darauf, dass das Ausnutzen einer Zwangslage keine Existenzbedrohung voraussetze.

Die erste große Strafkammer des Landgerichts Kleve möchte an insgesamt drei weiteren Verhandlungstagen bis zum 21. Dezember den vorliegenden Fall neu bewerten und eine an den Stellen, an denen der Bundesgerichtshof das Urteil vom August 2018 aufgehoben hat, eine neue Strafzuweisung finden. Der 41-jährige Weezer hofft darauf, dass seine Freiheitsstrafe auf bis zu drei Jahre verkürzt wird. Da er bereits zwei Jahre in Untersuchungshaft saß, müsse er damit nicht mehr erneut ins Gefängnis.

Neue Perspektive

Seit seiner Entlassung nach der Urteilsverkündung im August 2018 habe er versucht, sich wieder etwas Neues aufzubauen. Mittlerweile arbeite er für ein großes Unternehmen im Kundenservice. „Der Kontakt zu den Kunden macht mir immer noch Spaß“, sagte der gelernte Einzelhandelskaufmann am Montag. Er wolle nach Abschluss des Prozesses einen Neuanfang machen. „Dafür habe ich den ersten Schritt bereits getan. Ich habe eine neue Perspektive und will die Sache hier beenden“, sagte der 41-Jährige.

Die vergangenen vier Jahre seien hart für ihn gewesen. „Ich bin am Morgen des 3. August 2016 ohne Vorwarnung aus meinem Leben herausgerissen worden. Dann saß ich für zwei Jahre in Untersuchungshaft. Danach wurde der Fall vor dem BGH erneut verhandelt. Mittlerweile ist meine Inhaftierung vier Jahre her. Ich will nur, dass die Sache jetzt irgendwie zum Abschluss kommt“, sagte der 41-Jährige, der in den vergangenen Monaten Gespräche mit der Staatsanwaltschaft führte. „Er hat erhebliche Aufklärungsarbeit geleistet und ehrliche Reue gezeigt“, sagte Staatsanwalt Hendrik Timmer. Er signalisierte, dass die Staatsanwaltschaft daher eine Freiheitsstrafe von drei Jahren für den 41-Jährigen in Betracht ziehen könnte.

52 Monate U-Haft

Anders bewertete Timmer die Situation beim 60-jährigen Angeklagten. Er habe bisher keine Aufklärungsarbeit geleistet und auch keine Reue gezeigt. Der Gelderner sitzt mittlerweile seit 52 Monaten – mehr als vier Jahre – in Untersuchungshaft.

Der Prozess wird am 25. November fortgesetzt.

Vorheriger Artikel7-Tage-Inzidenz im Kreis Kleve bei 121,3
Nächster ArtikelCharlottes Lächeln