Verleger gesucht

REES. Iskan Toluns weißer Wohnzimmerschrank ist gut gefüllt. Hinter Glas: Familienbilder und Bücher – jede Menge Bücher. Da geben sich Nietzsche, Goethe und Dostojewski die Hand. Die Nietzsche- und Dostojewski-Titel muss man erraten: es sind türkische Übersetzungen. „Goethe ist ein toller Autor“, sagt Iskan Toluns. „Die Leiden des jungen Werthers“ hat er im Original und in der türkischen Übersetzung gelesen. Zwischen den Großen: eine Reihe von Büchern, deren Autor Iskan Tolun heißt.

Leselust

Tolun ist 54 Jahre alt. 1985 kam der Kurde aus der Türkei nach Deutschland. „Ich war Arbeiter“, sagt er. Es ist der Tag, an dem sein neuer Roman erscheint. Es ist der 7. „Ich arbeite aber schon am nächsten Buch“, sagt Tolun. Wenn ein Buch fertig ist, muss er sich gleich hinsetzen und mit einem neuen beginnen. „Mein erstes Buch habe ich noch mit dem Kugelschreiber verfasst“, sagt er. Mittlerweile benutzt er zum Schreiben ein Tablet.
Wie fing es an mit dem Schreiben? „Das war im Jahr 2010“, blickt Tolun zurück. „Meine Eltern wurden damals sehr krank. Ich habe sie gepflegt. Damals habe ich mit dem Lesen angefangen. Und irgendwann dachte ich: Wenn ich so viel lese, warum sollte ich es nicht mit dem Schreiben versuchen?“ Toluns Eltern sind mittlerweile verstorben – Lese- und Schreiblust sind geblieben.

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Einen Verlag in Deutschland finden

Tolun schreibt in seiner Muttersprache. „Alle meine Bücher sind bisher nur auf Türkisch erschienen“, sagt er. Der Wunsch: Einen Verlag finden, der seine Bücher in Deutschland veröffentlicht. „Meine Nachbarn fragen mich oft, wann denn eines meiner Bücher auf Deutsch erscheint.“
Eines von Toluns Büchern trägt den Titel „Mein lieber Gott!“ Fragt man den Autor nach seinem Glauben, sagt er, dass eine solche Frage ohne Bedeutung ist. „Ich sehe Menschen als Menschen“, sagt er. Aber hat denn nicht, was einer glaubt oder nicht glaubt, Einfluss auf das Denken, das Schreiben? Die Frage bleibt unbeantwortet.

Ragip Zarakolu

Für sein neuestes Buch „Die Lektion“ hat Ragip Zarakolu den Klappentext verfasst. Zarakolu ist Verleger und Bürgerrechtler und Tolun ist stolz, von ihm ein „moderner Volksdichter“ genannt zu werden. „Beim Lesen habe ich die Luft der 50-er Jahre in der Türkei als eine Übergangszeit vom herkömmlichen Lehnsystem in die Modernität einatmen können, in Antep und deren Dorfland. Es gefiel mir, wie er [Tolun] die Natur segnete und auch, wie er die mythologischen Bestandteile einbaute. Auch die Pogrome in der Türkei 1915, 1937/38 in Dersim und am 6./7. September 1955 in Istanbul spiegelten sich im Hintergrund ohne Übertreibung wider.“ Zarakolu schreibt schließlich, er sei der Meinung, Toluns Buch sei gut für eine Verfilmung geeignet.
Man möchte eintauchen können in die literarische Welt von Iskan Tolun, aber da ist dieser Graben aus Sprache: Toluns Bücher sind (noch) unübersetzt.

So weit bin ich noch nicht

Ist denn damit zu rechnen, dass Tolun das nächste Buch auf Deutsch schreibt? „Ich spreche ganz gut“, sagt er, „aber Sie wissen, dass man als Schriftsteller eine Sprache sehr gut beherrschen muss. So weit bin ich noch nicht.“
So bleibt es bei dem Wunsch, ein deutscher Verlag möge Interesse an Toluns Werken finden. Dann könnten demnächst auch die Nachbarn lesen, was Tolun schreibt. Wie verteilt er Lesen und Schreiben? „Tagsüber wird gelesen, nachts schreibe ich“, sagt er. Und wo bleibt Raum für den Schlaf? Wenn er nachts schreibe, lege er sich gegen fünf ins Bett. „Ich störe ja niemanden“, sagt der Vater von fünf Kindern. Und wie wichtig sind Bücher? Tolun zitiert Cicero: „Ein Raum ohne Buch ist wie ein Körper ohne Seele.“ Das muss nicht kommentiert werden.
Zum Gruppenfoto mit Bücherschrank nimmt Tolun zum ersten Mal die Maske ab: Sie gibt ein freundliches Lächeln frei. „Danke, dass Sie hier waren“, sagt er.

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