Menschen brauchen Perspektive

KLEVE/BERLIN. Klaus Frankens „Martinshorn“ auf der Titelseite der NN-Mittwochsausgabe – und wie es dann so ist: Man kommt ins Plaudern. Es geht um Kunst und Kultur und die Schwierigkeiten im Lockdown. „Mein Schwiegersohn betreibt eine Bar in Berlin“, sagt Klaus Franken und sofort entsteht die Idee: Fragst du mal in der Hauptstadt, wie es da läuft oder nicht läuft. Ein Gespräch mit Matthias Gembus.
NN: Sie sind Chef einer Bar in Berlin: Crack Bellmer. Erklären Sie mal, was wir uns darunter vorzustellen haben.
Matthias Gembus: Vielleicht noch eine Bitte vorneweg. Bei dem Wort Chef fühle ich mich nicht wirklich wohl. Das klingt so nach Hierarchie.
NN: Machen Sie einen anderen Vorschlag.
Gembus: Wie wär‘s mit Betreiber?
NN: Klingt zu mechanisch. Sie leiten die Geschicke.
Gembus: Das nehmen wir.
NN: Also: Was stelle ich mir unter dem Crack Bellmer vor?
Gembus: Also – wir sind eine Bar, aber auch ein Konzertraum, ein Ort für Theaterauftritte, Cabaret oder zu später Stunde auch ein Club. Wir sind also ein multifunktionaler Kulturspielort. Das Ganze befindet sich im RAW – einem ehemaligen Reichsbahnausbesserungswerk in Berlin Friedrichshain. Auf diesem Gelände gibt es aber auch noch andere Veranstaltungsorte, Künstlerateliers, Tonstudios und so weiter. Das Crack Bellmer hat übrigens eine Fläche von 150 Quadratmetern.
NN: Vor meinem Augen entsteht eine Art Kulturzentrum.
Gembus: Genau.
NN: Wann haben Sie angefangen?
Gembus: Eröffnet haben wir 2012, nachdem wir im Jahr davor das alles hier saniert haben. Selber machen steht bei uns ganz oben. Das Team umfasst derzeit 15 Mitarbeiter.
NN: Wenn Sie auf den ersten Lockdown zurückblicken – welche Erinnerungen haben Sie.
Gembus: Wir haben die Zeit des ersten Lockdowns für eine Sanierung genutzt. Die konnten wir gründlich angehen, weil wir die Zeit dafür hatten. Es war alles nicht so hektisch, wie es unter normalen Umständen gewesen wäre. Man hat ja sonst kaum die Möglichkeit, einen Raum komplett leer zu räumen, sich hinzustellen und in Ruhe zu überlegen, wie‘s gemacht werden soll.
NN: Und das Geld?
Gembus: Im Lauf der Jahre haben wir Rücklagen gebildet – zum Teil speziell für Investitionen. Das Sanierungsprojekt war eigentlich erst für das kommende Jahr angedacht, aber den Lockdown habe ich als Chance gesehen. Wir haben hier alles mal abgebaut, zurückgebaut und überlegt: Wie kann man‘s besser, schöner, neuer machen?
NN: Mit Corona im Hinterkopf?
Gembus: Klar – das haben wir mitgedacht. Unser Gedanke war: Das wird noch eine ganze Zeit so weitergehen. Ich galt da schon fast als großer Pessimist, denn ich habe gesagt, dass man vielleicht zum Jahresende damit rechnen könne, dass es besser wird.
NN: Was haben Sie geändert?
Gembus: Wir haben so geplant, dass wir einen Tanzbetrieb erst einmal für längere Zeit nicht mehr haben werden. Wir haben mehr Fläche geschaffen – Podeste abgebaut und damit die Möglichkeit geschaffen, den Raum noch multifunktionaler zu nutzen. Es ging darum, für alle Gegebenheiten vorbereitet zu sein.
NN: Okay. Projekt abgeschlossen. Laden wieder eröffnet und jetzt ist wieder Schicht.
Gembus: Sagen wir es mal so: Das war jetzt keine ganz so große Überraschung. Ich habe damit gerechnet, dass im Winter noch mal was kommt, aber irgendwie habe ich natürlich gleichzeitig gehofft, dass wir dran vorbei kommen. Mitte September hatte ich noch das Gefühl, das könnte alles noch eine ganze Zeit gut laufen. Natürlich war nicht alles super. Sie können sich vorstellen, dass sich Abstandsregeln und Maskenpflicht auf das Geschäft auswirken, aber mit staatlichen Hilfen konnten wir da einigermaßen überleben. Kostenmäßig heißt das: Plusminus Null. Trotzdem kam der neue Lockdown für uns überraschend. Mit einem kompletten Ausgehverbot hatten wir so nicht gerechnet.
NN: Wir wirkt sich das aus?
Gembus: Demotivierend – für das gesamte Team. Wir haben unheimlich viel Zeit und Engagement investiert, um den Laden corona-konform zu führen. So viel steht fest: Es ist längst nicht mehr so einfach wie es früher mal war – dazu gehört auch der Umgang mit unseren Gästen. Natürlich kostet es Nerven, die Leute immer wieder auf die geänderten Verhaltensregeln anzusprechen, immer wieder die Tische zu desinfizieren und was sonst noch alles dazugehört.
NN: Wahrscheinlich ist ja auch die Planung zum Problem geworden.
Gembus: Klar. Wir haben vorher in der Regel für ein halbes Jahr geplant. Jetzt planen wir für eine Woche. Wir sind da komplett aus unserer Komfortzone herausgerutscht.
NN: Ist denn eigentlich Ihr Team noch komplett oder mussten Sie Kündigungen aussprechen?
Gembus: Wir zahlen Kurzarbeitergeld und natürlich freut das die Mitarbeiter. Trotzdem gab es einige Mitarbeiter, die jetzt anderes geplant haben und nicht mehr dabei sind, aber Kündigungen mussten wir nicht aussprechen. Wir hatten zwei Minijobber, die wir nicht halten konnten.
NN: Der Lockdown-Lite ist für einen Monat angedacht. Was, wenn es dabei nicht bleibt? Wie lange kann ein Laden wie das Crack Bellmer überleben?
Gembus: Natürlich hängt das von den Unterstützungsleistungen ab. Sagen wir es so: Wir können es noch eine zeitlang durchhalten. Das hat natürlich auch etwas damit zu tun, dass ich gespart habe – Rücklagen, die eigentlich für andere Dinge gedacht waren.
NN: Altersvorsorge?
Gembus: Zum Beispiel. Das ist Teil des Geschäftsrisiko, mit dem Selbständige zu rechnen haben. Es ist noch nicht so, dass wir komplett mit dem Rücken zur Wand stehen.
NN: Wenn ich sage, dass Sie verhalten optimistisch sind, antworten Sie?
Gembus: Ich versuche immer, das Beste aus einer Situation zu machen, aber ich muss ehrlich sagen: Im Moment fällt mir wenig ein. Ich bin wieder bei der Planung: Es ist einfach unglaublich demotivierend, wenn man immer wieder umplanen und sich neu erfinden muss. Das kann man mal machen – einmal ist es womöglich ganz gut, aber es laugt aus, ein halbes Jahr und länger in einem solchen Prozess zu stecken.
NN: Also nicht verhalten optimistisch? (Lange Pause)
Gembus: Ich würde lieber sagen, dass ich nicht pessimistisch depressiv bin. Ich versuch‘s noch mal anders: Alles, was momentan passiert, verursacht und hinterlässt eine gewisse Leere. Das hat damit zu tun, dass die Gegebenheiten derart unklar sind. Wer weiß schon, was im Dezember, Januar, Februar, März sein wird? Das alles ist absolut unklar. Genau das ist im Team und bei den Mitarbeitern schwer zu vermitteln. Menschen möchten Perspektiven. Mit Perspektiven lässt sich arbeiten. Und leben. Wir sind ja angetreten mit einem kulturellen Plan. Es geht nicht in erster Linie ums Geldverdienen – das ist eher ein toller Nebeneffekt.
NN: Was bewegt Sie am meisten?
Gembus: Dass wir momentan kein kulturelles Angebot machen können, bewegt mich. Dass uns irgendwie die Hände gebunden sind, bewegt mich. Natürlich kann man kreativ werden, aber dazu muss man wissen, es wird in den nächsten Monaten so und so laufen. Wir denken von Woche zu Woche. Wir planen ein bisschen im voraus, aber festmachen kann man die Sachen erst kurz vorher.

Vorheriger ArtikelWeezer Heimatgeschichte auf 336 Seiten
Nächster ArtikelDietmar Heyde schwört, sich für Rheinberg einzusetzen