Schlüsselfrage: Wem nützt es?

KLEVE. Peter Baumgarten ist einer, der den Dingen gern auf den Grund geht. Wen wundert‘s? Der Mann war „im ersten Leben“ Polizist. Seit dem 1. Januar 2019 kann er das Leben ruhiger angehen lassen: Ruhestand. Baumgarten aber gehört nicht zu denen, die einfach mal abhängen.

Haus Neuland

Haus Neuland ist eine Bildungsstätte. Baumgarten war erstmals dort, als er ein Seminar zum Thema „Vorbereitung auf den Ruhestand“ belegte. „Ich kann mich noch gut erinnern, dass Spötter damals sagten: Als Beamter musst du dich nicht auf den Ruhestand vorbereiten, oder?“ Baumgarten nahm es mit Humor.
„Seitdem ich damals dort war, bekomme ich regelmäßig den Newsletter mit den jeweils aktuellen Seminar-Angeboten geschickt“, sagt Baumgarten. Als er von einem Seminar mit dem Titel „Verschwörungstheorien in Zeiten von Corona“ erfuhr, musste er sich einfach anmelden. Keine Angst – das „muss“ entspringt keiner Zwangshandlung. „Es hat etwas mit Interesse zu tun und auch damit, dass ich den Umgang mit dem Virus zumindest für etwas halte, das diskutiert werden kann“, sagt er und erklärt, dass er nicht das Virus an sich anzweifle. „Es geht darum, wie wir als Gesellschaft mit dieser Herausforderung umgehen, denn eine Herausforderung ist das natürlich.“

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Das Milieu ist alles

Die Schulmedizin, so Baumgarten, sei für seinen Geschmack zu sehr und zu einseitig mit dem Gedanken des Eliminierens befasst und nicht so sehr damit, den Ursachen auf den Grund zu gehen. „Die Mikrobe allein ist nichts – es ist der Nährboden“, sagt Baumgarten. Ein Zitat. Louis Pasteur soll das gesagt haben. Aber da fängt es schon an. Auf wen oder was ist Verlass? Wie seriös sind Informationen? Googelt man „Pasteur Mikrobe“, findet man (es gibt viele Seiten, die das Zitat verwenden): „Die Mikrobe ist nichts, das Milieu ist alles.“

Keine Angst vor dem Zweifel

Wenn Baumgarten mittlerweile über Verschwörungstheorien nachdenkt, steht vor allem ein Gedanke im Zentrum: „Was bringt einen Menschen dazu, …?“ Zitate hat er auch gesammelt: „Zweifle nicht an dem, der dir sagt, dass er Angst hat. Hab‘ aber Angst vor dem, der dir sagt, er kennt keine Zweifel.“ (Erich Fried).
„Natürlich gibt es auch im Zusammenhang mit Corona – aber eben nicht nur da – aberwitzige Verschwörungstheorien. Wenn ich auf irgendeine Verschwörungstheorie treffe, beginne ich zunächst mit der Recherche. Das ist unumgänglich. Nur, weil sich etwas irgendwo im Internet findet, muss es ja noch längst nicht wahr sein.“ Der Eindruck: Menschen glauben zu viel und zu schnell. Durch das vorschnelle Übernehmen von sogenannten „Fake-News“ sieht Baumgarten durchaus Gefährdungspotenzial. Im Seminar lernte er unter anderem, eine der Schlüsselfragen zu stellen. „Wenn jemand etwas in die Welt setzt, sollte einer der ersten Fragen immer lauten: Wem nützt es?“ Natürlich kann es auch um die Frage gehen: „Wem schadet es.“

Wie kann es sein?

Wie kann es sein, dass viele Menschen heute für Verschwörungstheorien anfälliger zu sein scheinen als das früher der Fall war. Baumgarten: „Natürlich habe ich nicht studiert. Eine Meinung habe ich trotzdem. Wenn ich mich umsehe, erscheint es mir, dass in der Gesellschaft die gegenseitige Wertschätzung zurück geht. Menschen stehen im täglichen Leben mehr und mehr unter Druck und sind auf der Suche nach einem Ventil. Die sozialen Medien bieten Möglichkeiten, den eigenen Frust nötigenfalls komplett anonym irgendwo abzukippen. So etwas kann gefährliche Folgen haben.“
Man denkt an Pasteur: Das Milieu ist alles.
Was Baumgarten bedenklich stimmt, ist das Maß, mit dem persönliche Freiheiten im Fahrwasser von Corona eingeschränkt werden. „Heute habe ich einen Artikel gelesen, in dem ein schwedischer Forscher sagte, der Umgang der Deutschen mit Corona sei wie ein Fliegenjagd mit dem Hammer. Das ist ein Bild, das uns nachdenklich stimmen muss.“ Sagen wir es so: Man sollte darüber reden. Trotzdem gilt: Bei allen vermeintlich einfachen Lösungen ist zumindest Vorsicht geboten.

Mehr als Schwarzweiß

Aber es ist wie so oft im Leben: Jedes Ding hat zwei Seiten und es ist wichtig, beide in Augenschein zu nehmen. „Das Böse gewinnt an Gewicht, wenn das Gute nichts unternimmt“, sagt Baumgarten und ist sich klar, dass man auch eine solche Äußerung nicht einfach als Schwarzweißfilm sehen darf. „Natürlich möchten doch die meisten von uns lieber zu den Guten gehören.“ In der Rückschau lassen sich viele Dinge leicht einordnen. In der Gegenwart braucht es Mut, sich den Dingen zu stellen – zu reden, den Konsens zu suchen und zu finden. Es ist nicht damit getan, das Erstebeste als Lehrmeinung anzusehen.

Wach bleiben

Baumgarten findet es erschreckend, „dass es da draußen Menschen gibt, die einfach zum Spaß absurdes Zeug in Soziale Medien posten, nur um zu sehen, wie andere darauf reagieren.“ Das sei in Zeiten, in denen Nachrichten in Sekundenschnelle den Erdball umrunden, ein Spiel mit Feuer. „Es geht darum, wach zu bleiben.“ Das alles ist schnell gesagt oder geschrieben, aber die Suche nach dem Widersprüchlichen in der Welt verlangt Zeit und nicht selten auch Mut. Eben das ist einem wie Baumgarten anzumerken.
Letzte Frage: Wo ist eigentlich „Haus Neuland“? Antwort: „In Bielefeld.“ Nä, ne?

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